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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Herr Biedermann und die Annexion.

Herr Redacteur! Unter den mannigfachen Angriffen, welche mein in den
Preußischen Jahrbüchern enthaltener Aufsatz über die Lösung der Schleswig-hol-
steinischen Frage hervorgerufen, zeichnet sich die Beurtheilung von Herrn Pro¬
fessor Biedermann in Ur. 42 und 43 der Deutschen Allgemeinen Zeitung be¬
sonders aus, sowohl durch ihren Achtung gebietenden Umfang als auch durch
einen unverhältnißmäßigen Aufwand von sittlicher Entrüstung. Wichtiger ist
mir, daß Herr Biedermann seine Ansicht in einem in Leipzig vielgelesenen Blatte
ausgesprochen hat. Ich glaube an der Pleiße noch einige Freunde zu besitzen,
und Sie werden, Herr Redacteur, in der Ordnung finden, daß ich ein leipziger
Blatt ersuche, seine Spalten einer Erwiderung zu öffnen.

Zuvörderst muß ich Herrn Biedermann bitten, wenn über ernste vaterlän"
dische Angelegenheiten verhandelt wird, weniger von meiner Person und mehr
zur Sache zu sprechen. In einem Athem wirft er mir vor: ängstliche Rück¬
sichtsnahme, Mangel an Glaube" an mich selbst, vermcssnen Muth der Ver¬
zweiflung, trage Thallosigleit, endlich und vor allem leidenschaftliche Heftigkeit.
Ich bekenne, daß ich beim Besprechen vaterländischer Dinge leicht warm werde;
mir ist es nicht gegeben, über Deutschlands trübste Zeit mit derselben breiten
Gemächlichkeit zu reden, wie über die Schicksale Hinterindiens. Aber wenn
meine Weise zu schreiben wenig gemein hat mit der epischen Ruhe und Fülle
der Leitartikel der D. A. Zeitung -- folgt daraus, daß meine Gegner der Mühe
überhoben sind, meine Gründe zu widerlegen? Herr Biedermann und andere
Gesinnungsgenossen scheinen in der That diese Schlußfolgerung gezogen zu
haben. Mir ist noch kein Blatt zu Gesicht gekommen, das auch nur versucht
hätte, die Bedenken zu widerlegen, welche ich gegen die Lebensfähigkeit eines
herzoglichen Schleswig-Holstein unter preußischer Oberhoheit ausgesprochen habe.

Ich habe versucht zu beweisen, daß durch die von Herrn Biedermann er¬
sehnte sogenannte bundesstaatliche Unterordnung Schleswig-Holstein ein Vasallen¬
staat Preußens werden würde. Statt dies zu widerlegen, ruft man von allen
Seiten, das sei schmählicher Hohn. Ich aber habe im trockensten Ernste geredet
und ich bitte meine Gegner, sich bei den beiden, mit den Institutionen des
Bundesstaates praktisch vertrauten Völkern zu erkundigen, ob diese in der Un¬
terwerfung der Herzogthümer unter die Militärhoheit Preußens irgend etwas
zu entdecken vermögen, was dem Bundesstaate gleicht. Ich bin überzeugt, jeder
Schweizer, jeder Nordamerikaner wird aus diese Frage nur mit verwundertem
Lächeln antworten. Ich habe sodann ausführlich nachgewiesen, daß ein von


Herr Biedermann und die Annexion.

Herr Redacteur! Unter den mannigfachen Angriffen, welche mein in den
Preußischen Jahrbüchern enthaltener Aufsatz über die Lösung der Schleswig-hol-
steinischen Frage hervorgerufen, zeichnet sich die Beurtheilung von Herrn Pro¬
fessor Biedermann in Ur. 42 und 43 der Deutschen Allgemeinen Zeitung be¬
sonders aus, sowohl durch ihren Achtung gebietenden Umfang als auch durch
einen unverhältnißmäßigen Aufwand von sittlicher Entrüstung. Wichtiger ist
mir, daß Herr Biedermann seine Ansicht in einem in Leipzig vielgelesenen Blatte
ausgesprochen hat. Ich glaube an der Pleiße noch einige Freunde zu besitzen,
und Sie werden, Herr Redacteur, in der Ordnung finden, daß ich ein leipziger
Blatt ersuche, seine Spalten einer Erwiderung zu öffnen.

Zuvörderst muß ich Herrn Biedermann bitten, wenn über ernste vaterlän«
dische Angelegenheiten verhandelt wird, weniger von meiner Person und mehr
zur Sache zu sprechen. In einem Athem wirft er mir vor: ängstliche Rück¬
sichtsnahme, Mangel an Glaube» an mich selbst, vermcssnen Muth der Ver¬
zweiflung, trage Thallosigleit, endlich und vor allem leidenschaftliche Heftigkeit.
Ich bekenne, daß ich beim Besprechen vaterländischer Dinge leicht warm werde;
mir ist es nicht gegeben, über Deutschlands trübste Zeit mit derselben breiten
Gemächlichkeit zu reden, wie über die Schicksale Hinterindiens. Aber wenn
meine Weise zu schreiben wenig gemein hat mit der epischen Ruhe und Fülle
der Leitartikel der D. A. Zeitung — folgt daraus, daß meine Gegner der Mühe
überhoben sind, meine Gründe zu widerlegen? Herr Biedermann und andere
Gesinnungsgenossen scheinen in der That diese Schlußfolgerung gezogen zu
haben. Mir ist noch kein Blatt zu Gesicht gekommen, das auch nur versucht
hätte, die Bedenken zu widerlegen, welche ich gegen die Lebensfähigkeit eines
herzoglichen Schleswig-Holstein unter preußischer Oberhoheit ausgesprochen habe.

Ich habe versucht zu beweisen, daß durch die von Herrn Biedermann er¬
sehnte sogenannte bundesstaatliche Unterordnung Schleswig-Holstein ein Vasallen¬
staat Preußens werden würde. Statt dies zu widerlegen, ruft man von allen
Seiten, das sei schmählicher Hohn. Ich aber habe im trockensten Ernste geredet
und ich bitte meine Gegner, sich bei den beiden, mit den Institutionen des
Bundesstaates praktisch vertrauten Völkern zu erkundigen, ob diese in der Un¬
terwerfung der Herzogthümer unter die Militärhoheit Preußens irgend etwas
zu entdecken vermögen, was dem Bundesstaate gleicht. Ich bin überzeugt, jeder
Schweizer, jeder Nordamerikaner wird aus diese Frage nur mit verwundertem
Lächeln antworten. Ich habe sodann ausführlich nachgewiesen, daß ein von


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[0418] Herr Biedermann und die Annexion. Herr Redacteur! Unter den mannigfachen Angriffen, welche mein in den Preußischen Jahrbüchern enthaltener Aufsatz über die Lösung der Schleswig-hol- steinischen Frage hervorgerufen, zeichnet sich die Beurtheilung von Herrn Pro¬ fessor Biedermann in Ur. 42 und 43 der Deutschen Allgemeinen Zeitung be¬ sonders aus, sowohl durch ihren Achtung gebietenden Umfang als auch durch einen unverhältnißmäßigen Aufwand von sittlicher Entrüstung. Wichtiger ist mir, daß Herr Biedermann seine Ansicht in einem in Leipzig vielgelesenen Blatte ausgesprochen hat. Ich glaube an der Pleiße noch einige Freunde zu besitzen, und Sie werden, Herr Redacteur, in der Ordnung finden, daß ich ein leipziger Blatt ersuche, seine Spalten einer Erwiderung zu öffnen. Zuvörderst muß ich Herrn Biedermann bitten, wenn über ernste vaterlän« dische Angelegenheiten verhandelt wird, weniger von meiner Person und mehr zur Sache zu sprechen. In einem Athem wirft er mir vor: ängstliche Rück¬ sichtsnahme, Mangel an Glaube» an mich selbst, vermcssnen Muth der Ver¬ zweiflung, trage Thallosigleit, endlich und vor allem leidenschaftliche Heftigkeit. Ich bekenne, daß ich beim Besprechen vaterländischer Dinge leicht warm werde; mir ist es nicht gegeben, über Deutschlands trübste Zeit mit derselben breiten Gemächlichkeit zu reden, wie über die Schicksale Hinterindiens. Aber wenn meine Weise zu schreiben wenig gemein hat mit der epischen Ruhe und Fülle der Leitartikel der D. A. Zeitung — folgt daraus, daß meine Gegner der Mühe überhoben sind, meine Gründe zu widerlegen? Herr Biedermann und andere Gesinnungsgenossen scheinen in der That diese Schlußfolgerung gezogen zu haben. Mir ist noch kein Blatt zu Gesicht gekommen, das auch nur versucht hätte, die Bedenken zu widerlegen, welche ich gegen die Lebensfähigkeit eines herzoglichen Schleswig-Holstein unter preußischer Oberhoheit ausgesprochen habe. Ich habe versucht zu beweisen, daß durch die von Herrn Biedermann er¬ sehnte sogenannte bundesstaatliche Unterordnung Schleswig-Holstein ein Vasallen¬ staat Preußens werden würde. Statt dies zu widerlegen, ruft man von allen Seiten, das sei schmählicher Hohn. Ich aber habe im trockensten Ernste geredet und ich bitte meine Gegner, sich bei den beiden, mit den Institutionen des Bundesstaates praktisch vertrauten Völkern zu erkundigen, ob diese in der Un¬ terwerfung der Herzogthümer unter die Militärhoheit Preußens irgend etwas zu entdecken vermögen, was dem Bundesstaate gleicht. Ich bin überzeugt, jeder Schweizer, jeder Nordamerikaner wird aus diese Frage nur mit verwundertem Lächeln antworten. Ich habe sodann ausführlich nachgewiesen, daß ein von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/418>, abgerufen am 29.04.2024.