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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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noch zweifelhaft. Es scheint, daß sie einen Entwurf einbringen will, der die
Todesstrafe für äußerste Fälle beibehält, aber auf diese beschränkt. Hat sich in
diesem Punkte die Kammer mit Recht über eine künstliche Agitation und weit¬
verbreitete Vorurtheile hinweggesetzt, so wird man die Erfahrung machen, daß
man auch in Schul- und Kirchenfragen nicht vorwärts kommt, wenn man sich
allzuängstlich scheut, an bestehende Vorurtheile zu rühren.

Die Anknüpfung nachbarlicher Beziehungen zu Baden gehört zu den er¬
freulichsten Erscheinungen unseres öffentlichen Lebens. Nicht als ob von Aehn-
lichkeit der Regierungsprincipien in beiden Ländern gesprochen werden könnte.
Nicht im Geringsten; die würtembergischen wie die badischen Staatslenker wür¬
den sich gegen solche Behauptung verwahren. Einen unzweideutigen Beweis
lieferte Herr v. Varnbühler in der schon erwähnten Sitzung vom 16. Febr.,
als Holder an ihn die Zumuthung stellte, das Königreich Italien anzuerkennen,
eine Zumuthung, welche Herr v. Varnbühler diesmal nicht als Vertreter der
Handels- und Verkebrsinteressen, sondern als ehemaliges Ausschußmitglied des
Reformvereins beantwortete, wobei ihm indeß das arglose Bekenntniß ent¬
schlüpfte, daß für die eines eigenen Vertreters daselbst entbehrenden würtem-
bergischen Unterthanen durch die preußische Legation in trefflicher Weise gesorgt
sei. Allein der Besuch unseres Königs bei dem Großherzog Friedrich, die er¬
folgreiche Reise des Freiherrn v. Varnbühler nach Karlsruhe zum Abschluß längst
schwebender Eisenbahnverträge, das Erscheinen des Herrn v. Roggenbach auf
einem Balle seines würtembergischen Kollegen, die -- freilich schon öfters da¬
gewesene -- Ankündigung einer Zusammenkunft würtembergischer und badischer
Abgeordneter, dies alles sind immerhin Symptome einer neuen Aera -- wenig¬
stens unsrer Beziehungen zum Nachbarland, von welchen man nach dem Spruche:
Sage mir, mit wem du umgehst, u. f. w. nur Erfreuliches hoffen kann. Die
badische, Regierung darf großen Staaten zum Muster vorgehalten werde"; so
wird es wohl auch den Stolz Altwürtembergs nicht allzusehr verletzen, wenn
wir meinen, daß in nächster Nähe von ihrer kühnen, entschlossenen und frei¬
si ^ nnigen Initiative Vieles zu lernen wäre.




Grenzboten I. 186S.

noch zweifelhaft. Es scheint, daß sie einen Entwurf einbringen will, der die
Todesstrafe für äußerste Fälle beibehält, aber auf diese beschränkt. Hat sich in
diesem Punkte die Kammer mit Recht über eine künstliche Agitation und weit¬
verbreitete Vorurtheile hinweggesetzt, so wird man die Erfahrung machen, daß
man auch in Schul- und Kirchenfragen nicht vorwärts kommt, wenn man sich
allzuängstlich scheut, an bestehende Vorurtheile zu rühren.

Die Anknüpfung nachbarlicher Beziehungen zu Baden gehört zu den er¬
freulichsten Erscheinungen unseres öffentlichen Lebens. Nicht als ob von Aehn-
lichkeit der Regierungsprincipien in beiden Ländern gesprochen werden könnte.
Nicht im Geringsten; die würtembergischen wie die badischen Staatslenker wür¬
den sich gegen solche Behauptung verwahren. Einen unzweideutigen Beweis
lieferte Herr v. Varnbühler in der schon erwähnten Sitzung vom 16. Febr.,
als Holder an ihn die Zumuthung stellte, das Königreich Italien anzuerkennen,
eine Zumuthung, welche Herr v. Varnbühler diesmal nicht als Vertreter der
Handels- und Verkebrsinteressen, sondern als ehemaliges Ausschußmitglied des
Reformvereins beantwortete, wobei ihm indeß das arglose Bekenntniß ent¬
schlüpfte, daß für die eines eigenen Vertreters daselbst entbehrenden würtem-
bergischen Unterthanen durch die preußische Legation in trefflicher Weise gesorgt
sei. Allein der Besuch unseres Königs bei dem Großherzog Friedrich, die er¬
folgreiche Reise des Freiherrn v. Varnbühler nach Karlsruhe zum Abschluß längst
schwebender Eisenbahnverträge, das Erscheinen des Herrn v. Roggenbach auf
einem Balle seines würtembergischen Kollegen, die — freilich schon öfters da¬
gewesene — Ankündigung einer Zusammenkunft würtembergischer und badischer
Abgeordneter, dies alles sind immerhin Symptome einer neuen Aera — wenig¬
stens unsrer Beziehungen zum Nachbarland, von welchen man nach dem Spruche:
Sage mir, mit wem du umgehst, u. f. w. nur Erfreuliches hoffen kann. Die
badische, Regierung darf großen Staaten zum Muster vorgehalten werde»; so
wird es wohl auch den Stolz Altwürtembergs nicht allzusehr verletzen, wenn
wir meinen, daß in nächster Nähe von ihrer kühnen, entschlossenen und frei¬
si ^ nnigen Initiative Vieles zu lernen wäre.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/417>, abgerufen am 17.05.2024.