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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Die Universität zu Rostock.
4.

Die medicinische Facultät hat sich erst im Laufe der letzten Jahrzehnte
von der untergeordneten Stufe allmälig emporgehoben, auf welcher sie bis da¬
hin sowohl der Personen ihrer Mitglieder als der Qualität der mit ihr verbun¬
denen Anstalten nach im Allgemeinen stand. Von den Mitgliedern, aus welchen
sie vor zwanzig Jahren bestand: Will). Josephi (1- 1846), Heinr. Spitta
(1-1860). Carl Strempel, C. Fr. Quittenbaum (5 1852) und Hera.
Stannius leben jetzt nur noch Strempel und Stannius, und auch diese
sind durch Krankheit an der Ausübung ihres Berufes behindert. Quitten¬
baum, der das Fach der Anatomie hatte, war auf dem Standpunkte seiner
Universitätszeit stehen geblieben und mit allen späteren Fortschritten der
Wissenschaft unbekannt. Gegen das, was davon zufällig zu seiner Kunde kam,
verhielt er sich grundsätzlich abwehrend. Als Operateur war er zwar nicht un¬
geschickt, aber verwegen, und als praktischer Arzt zeichnete er sich durch Ver¬
ordnungen von Medicin in Quartflaschen aus. Seiner stabilen Art stand als
ein Extrem von Rührigkeit und sich überstürzender Receptivität sein College
Strempel gegenüber, mit welchem er in heftigem, bei jedem Anlaß neu auf¬
flammenden Streite lebte. Strempel umfaßte mit Feuereifer alles Neue,
versuchte es in der Klinik und verwarf es wieder, sobald etwas Neues aufkam,
ohne Ruhe, ohne Ausdauer, ohne Beobachtungsgabe. Sein vieles Wissen ent¬
behrte, zusammengerafft wie es war, der Einheitlichkeit und Ordnung eines
Systems, so sehr er es auch liebte, die Studenten und Examinanden mit künst¬
lichen Systemen zu plagen. Als Operateur z. B. des Schielens, genoß er eine
Zeit lang eines großen Rufes, den er durch längere Reisen auch in das Aus¬
land verbreitete. In Wien feierte er wahre Triumphe, wiewohl dieselben auch scharfe
Anfechtungen erlitten, u. a. in der Medicinischer Ccntralzeitung vom Mai 1842.
Im Jahre 1838 ward ihm vom Großherzog "zur öffentliche" Anerkennung seiner aus¬
gezeichneten Verdienste" der Titel eines Obermcdicinalrathes verliehen. Ein
wahres und ancrkenncswertheS Verdienst hat er sich durch die Gründung der
Klinik erworben, welche lediglich durch seine Bemühungen ins Leben gerufen
"ut theilweise sogar durch seine Mittel geschaffen wurde. Er war längere Zeit
deren alleiniger Director, sowohl für die medicinische als für die chirurgische
Abtheilung. Nach Erbauung eines geräumigen Malscher Krankenhauses, wel¬
ches für die Zwecke der Klinik mit der Universität verbunden ward und jetzt
auf den doppelten Umfang erweitert werden soll, gab er im Jahre 1835 die


Die Universität zu Rostock.
4.

Die medicinische Facultät hat sich erst im Laufe der letzten Jahrzehnte
von der untergeordneten Stufe allmälig emporgehoben, auf welcher sie bis da¬
hin sowohl der Personen ihrer Mitglieder als der Qualität der mit ihr verbun¬
denen Anstalten nach im Allgemeinen stand. Von den Mitgliedern, aus welchen
sie vor zwanzig Jahren bestand: Will). Josephi (1- 1846), Heinr. Spitta
(1-1860). Carl Strempel, C. Fr. Quittenbaum (5 1852) und Hera.
Stannius leben jetzt nur noch Strempel und Stannius, und auch diese
sind durch Krankheit an der Ausübung ihres Berufes behindert. Quitten¬
baum, der das Fach der Anatomie hatte, war auf dem Standpunkte seiner
Universitätszeit stehen geblieben und mit allen späteren Fortschritten der
Wissenschaft unbekannt. Gegen das, was davon zufällig zu seiner Kunde kam,
verhielt er sich grundsätzlich abwehrend. Als Operateur war er zwar nicht un¬
geschickt, aber verwegen, und als praktischer Arzt zeichnete er sich durch Ver¬
ordnungen von Medicin in Quartflaschen aus. Seiner stabilen Art stand als
ein Extrem von Rührigkeit und sich überstürzender Receptivität sein College
Strempel gegenüber, mit welchem er in heftigem, bei jedem Anlaß neu auf¬
flammenden Streite lebte. Strempel umfaßte mit Feuereifer alles Neue,
versuchte es in der Klinik und verwarf es wieder, sobald etwas Neues aufkam,
ohne Ruhe, ohne Ausdauer, ohne Beobachtungsgabe. Sein vieles Wissen ent¬
behrte, zusammengerafft wie es war, der Einheitlichkeit und Ordnung eines
Systems, so sehr er es auch liebte, die Studenten und Examinanden mit künst¬
lichen Systemen zu plagen. Als Operateur z. B. des Schielens, genoß er eine
Zeit lang eines großen Rufes, den er durch längere Reisen auch in das Aus¬
land verbreitete. In Wien feierte er wahre Triumphe, wiewohl dieselben auch scharfe
Anfechtungen erlitten, u. a. in der Medicinischer Ccntralzeitung vom Mai 1842.
Im Jahre 1838 ward ihm vom Großherzog „zur öffentliche» Anerkennung seiner aus¬
gezeichneten Verdienste" der Titel eines Obermcdicinalrathes verliehen. Ein
wahres und ancrkenncswertheS Verdienst hat er sich durch die Gründung der
Klinik erworben, welche lediglich durch seine Bemühungen ins Leben gerufen
»ut theilweise sogar durch seine Mittel geschaffen wurde. Er war längere Zeit
deren alleiniger Director, sowohl für die medicinische als für die chirurgische
Abtheilung. Nach Erbauung eines geräumigen Malscher Krankenhauses, wel¬
ches für die Zwecke der Klinik mit der Universität verbunden ward und jetzt
auf den doppelten Umfang erweitert werden soll, gab er im Jahre 1835 die


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[0525] Die Universität zu Rostock. 4. Die medicinische Facultät hat sich erst im Laufe der letzten Jahrzehnte von der untergeordneten Stufe allmälig emporgehoben, auf welcher sie bis da¬ hin sowohl der Personen ihrer Mitglieder als der Qualität der mit ihr verbun¬ denen Anstalten nach im Allgemeinen stand. Von den Mitgliedern, aus welchen sie vor zwanzig Jahren bestand: Will). Josephi (1- 1846), Heinr. Spitta (1-1860). Carl Strempel, C. Fr. Quittenbaum (5 1852) und Hera. Stannius leben jetzt nur noch Strempel und Stannius, und auch diese sind durch Krankheit an der Ausübung ihres Berufes behindert. Quitten¬ baum, der das Fach der Anatomie hatte, war auf dem Standpunkte seiner Universitätszeit stehen geblieben und mit allen späteren Fortschritten der Wissenschaft unbekannt. Gegen das, was davon zufällig zu seiner Kunde kam, verhielt er sich grundsätzlich abwehrend. Als Operateur war er zwar nicht un¬ geschickt, aber verwegen, und als praktischer Arzt zeichnete er sich durch Ver¬ ordnungen von Medicin in Quartflaschen aus. Seiner stabilen Art stand als ein Extrem von Rührigkeit und sich überstürzender Receptivität sein College Strempel gegenüber, mit welchem er in heftigem, bei jedem Anlaß neu auf¬ flammenden Streite lebte. Strempel umfaßte mit Feuereifer alles Neue, versuchte es in der Klinik und verwarf es wieder, sobald etwas Neues aufkam, ohne Ruhe, ohne Ausdauer, ohne Beobachtungsgabe. Sein vieles Wissen ent¬ behrte, zusammengerafft wie es war, der Einheitlichkeit und Ordnung eines Systems, so sehr er es auch liebte, die Studenten und Examinanden mit künst¬ lichen Systemen zu plagen. Als Operateur z. B. des Schielens, genoß er eine Zeit lang eines großen Rufes, den er durch längere Reisen auch in das Aus¬ land verbreitete. In Wien feierte er wahre Triumphe, wiewohl dieselben auch scharfe Anfechtungen erlitten, u. a. in der Medicinischer Ccntralzeitung vom Mai 1842. Im Jahre 1838 ward ihm vom Großherzog „zur öffentliche» Anerkennung seiner aus¬ gezeichneten Verdienste" der Titel eines Obermcdicinalrathes verliehen. Ein wahres und ancrkenncswertheS Verdienst hat er sich durch die Gründung der Klinik erworben, welche lediglich durch seine Bemühungen ins Leben gerufen »ut theilweise sogar durch seine Mittel geschaffen wurde. Er war längere Zeit deren alleiniger Director, sowohl für die medicinische als für die chirurgische Abtheilung. Nach Erbauung eines geräumigen Malscher Krankenhauses, wel¬ ches für die Zwecke der Klinik mit der Universität verbunden ward und jetzt auf den doppelten Umfang erweitert werden soll, gab er im Jahre 1835 die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/525>, abgerufen am 29.04.2024.