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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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medicinische Klinik ein Thierfelder und im Jahre 1861 die chirurgische an
Simon ab, und zog sich, infolge zunehmender Kränklichkeit, allmälig ganz in
die Stille zurück.

Gleichfalls nur noch nominell bekleidet Hermann Stannius seine Pro¬
fessur, indem er seit längerer Zeit einer unheilbaren Gehirnkrankheit verfallen
ist. Er kam im Jahre 1837 nach Rostock. Die Physiologie hatte in ihm einen
sehr ausgezeichneten Vertreter. Aus Johannes Müllers Schule hervorgegangen,
war er strenge der experimentellen Seite seiner Wissenschaften zugethan und
hatte längst ein physiologisches Institut, das er einsichtsvoll leitete, bevor an
den meisten andern Universitäten an eine solche Einrichtung gedacht ward. Zahl¬
reiche, unter seiner Leitung entstandene Dissertationen, Jahresberichte und Ab¬
handlungen in medicinischen Zeitschriften legen von der Wirksamkeit dieses In¬
stituts Zeugniß ab. Später wandte er sich mehr und mehr der Anatomie der
Thiere, namentlich der Fische zu, in welchem Zweige er ebenfalls Bedeutendes
geleistet hat. Auch seine Vorlesungen über allgemeine Pathologie und patho¬
logische Anatomie standen immer auf der Höhe der Wissenschaft. Das letztere
Fach ist- schon seit längerer Zeit auf Thicrfclder übergegangen. Die verglei¬
chende Anatomie wurde interimistisch von Bergmann übernommen und wird
setzt von dein jüngeren Schulze vertreten. Mit v. Siebold zusammen gab
Stannius ein Lehrbuch der vergleichenden Anatomie heraus. Weniger Aner¬
kennung hat er mit einer Uebersetzung von Naycrö, eines französischen Arztes,
Werk über Hautkrankheiten gefunden.

An Quittenbaums Stelle wurde zu Michaelis 1852 Karl Bergmann
aus Göttingen berufen, der höchst bedauerlich jetzt gleichfalls durch eine Lungen-
krantheit vollständig behindert ist, seinem Berufe obzuliegen. Er gilt sowohl
in wissenschaftlicher Hinsicht wie als Lehrer mit Recht sehr viel, hat sich auch
durch, die ihrem Inhalte nach ebenso gediegenen wie in der Form schönen Vor¬
träge, welche er zweimal als Rector (1858 bis 1860) vor einem größere" Pu¬
blikum hielt, wohlbegründete Anerkennung in den gebildeten Kreisen erworben.
Er ist gerade und bieder, fern von jeder Kriecherei gegen Hochstehende. Bei
dem Ministerium scheint er nicht in besonderer Gunst gestanden zu haben, da
er den Titel eines Obermedicinalraths erst ein Jahr später als sein jüngerer
College Thicrfelder erhielt. -- Er las auch über gerichtliche Medicin, hat sich
aber auf diesem Gebiete durch seine einem etwas veralteten Standpunkte an-
gehörige Bearbeitung des hcnckcschen Lehrbuchs den Ruf nicht erweitert, den
er in seinem Hauptfache mit Recht genießt. Als Rector schrieb er folgendes
Programm: "Zur Kenntniß des Tarsus der Wiederkäuer und paarzehigen
Pachydermen." (1859). In, der Anatomie wird er durch einen zwar noch
jungen, aber befähigten und fleißigen Privatdocenten. Franz Eilhard Schulze,
Vertreten, der seit Anfang des Jahres 1864 habilitirt ist und eine Preisschrift


medicinische Klinik ein Thierfelder und im Jahre 1861 die chirurgische an
Simon ab, und zog sich, infolge zunehmender Kränklichkeit, allmälig ganz in
die Stille zurück.

Gleichfalls nur noch nominell bekleidet Hermann Stannius seine Pro¬
fessur, indem er seit längerer Zeit einer unheilbaren Gehirnkrankheit verfallen
ist. Er kam im Jahre 1837 nach Rostock. Die Physiologie hatte in ihm einen
sehr ausgezeichneten Vertreter. Aus Johannes Müllers Schule hervorgegangen,
war er strenge der experimentellen Seite seiner Wissenschaften zugethan und
hatte längst ein physiologisches Institut, das er einsichtsvoll leitete, bevor an
den meisten andern Universitäten an eine solche Einrichtung gedacht ward. Zahl¬
reiche, unter seiner Leitung entstandene Dissertationen, Jahresberichte und Ab¬
handlungen in medicinischen Zeitschriften legen von der Wirksamkeit dieses In¬
stituts Zeugniß ab. Später wandte er sich mehr und mehr der Anatomie der
Thiere, namentlich der Fische zu, in welchem Zweige er ebenfalls Bedeutendes
geleistet hat. Auch seine Vorlesungen über allgemeine Pathologie und patho¬
logische Anatomie standen immer auf der Höhe der Wissenschaft. Das letztere
Fach ist- schon seit längerer Zeit auf Thicrfclder übergegangen. Die verglei¬
chende Anatomie wurde interimistisch von Bergmann übernommen und wird
setzt von dein jüngeren Schulze vertreten. Mit v. Siebold zusammen gab
Stannius ein Lehrbuch der vergleichenden Anatomie heraus. Weniger Aner¬
kennung hat er mit einer Uebersetzung von Naycrö, eines französischen Arztes,
Werk über Hautkrankheiten gefunden.

An Quittenbaums Stelle wurde zu Michaelis 1852 Karl Bergmann
aus Göttingen berufen, der höchst bedauerlich jetzt gleichfalls durch eine Lungen-
krantheit vollständig behindert ist, seinem Berufe obzuliegen. Er gilt sowohl
in wissenschaftlicher Hinsicht wie als Lehrer mit Recht sehr viel, hat sich auch
durch, die ihrem Inhalte nach ebenso gediegenen wie in der Form schönen Vor¬
träge, welche er zweimal als Rector (1858 bis 1860) vor einem größere» Pu¬
blikum hielt, wohlbegründete Anerkennung in den gebildeten Kreisen erworben.
Er ist gerade und bieder, fern von jeder Kriecherei gegen Hochstehende. Bei
dem Ministerium scheint er nicht in besonderer Gunst gestanden zu haben, da
er den Titel eines Obermedicinalraths erst ein Jahr später als sein jüngerer
College Thicrfelder erhielt. — Er las auch über gerichtliche Medicin, hat sich
aber auf diesem Gebiete durch seine einem etwas veralteten Standpunkte an-
gehörige Bearbeitung des hcnckcschen Lehrbuchs den Ruf nicht erweitert, den
er in seinem Hauptfache mit Recht genießt. Als Rector schrieb er folgendes
Programm: „Zur Kenntniß des Tarsus der Wiederkäuer und paarzehigen
Pachydermen." (1859). In, der Anatomie wird er durch einen zwar noch
jungen, aber befähigten und fleißigen Privatdocenten. Franz Eilhard Schulze,
Vertreten, der seit Anfang des Jahres 1864 habilitirt ist und eine Preisschrift


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[0526] medicinische Klinik ein Thierfelder und im Jahre 1861 die chirurgische an Simon ab, und zog sich, infolge zunehmender Kränklichkeit, allmälig ganz in die Stille zurück. Gleichfalls nur noch nominell bekleidet Hermann Stannius seine Pro¬ fessur, indem er seit längerer Zeit einer unheilbaren Gehirnkrankheit verfallen ist. Er kam im Jahre 1837 nach Rostock. Die Physiologie hatte in ihm einen sehr ausgezeichneten Vertreter. Aus Johannes Müllers Schule hervorgegangen, war er strenge der experimentellen Seite seiner Wissenschaften zugethan und hatte längst ein physiologisches Institut, das er einsichtsvoll leitete, bevor an den meisten andern Universitäten an eine solche Einrichtung gedacht ward. Zahl¬ reiche, unter seiner Leitung entstandene Dissertationen, Jahresberichte und Ab¬ handlungen in medicinischen Zeitschriften legen von der Wirksamkeit dieses In¬ stituts Zeugniß ab. Später wandte er sich mehr und mehr der Anatomie der Thiere, namentlich der Fische zu, in welchem Zweige er ebenfalls Bedeutendes geleistet hat. Auch seine Vorlesungen über allgemeine Pathologie und patho¬ logische Anatomie standen immer auf der Höhe der Wissenschaft. Das letztere Fach ist- schon seit längerer Zeit auf Thicrfclder übergegangen. Die verglei¬ chende Anatomie wurde interimistisch von Bergmann übernommen und wird setzt von dein jüngeren Schulze vertreten. Mit v. Siebold zusammen gab Stannius ein Lehrbuch der vergleichenden Anatomie heraus. Weniger Aner¬ kennung hat er mit einer Uebersetzung von Naycrö, eines französischen Arztes, Werk über Hautkrankheiten gefunden. An Quittenbaums Stelle wurde zu Michaelis 1852 Karl Bergmann aus Göttingen berufen, der höchst bedauerlich jetzt gleichfalls durch eine Lungen- krantheit vollständig behindert ist, seinem Berufe obzuliegen. Er gilt sowohl in wissenschaftlicher Hinsicht wie als Lehrer mit Recht sehr viel, hat sich auch durch, die ihrem Inhalte nach ebenso gediegenen wie in der Form schönen Vor¬ träge, welche er zweimal als Rector (1858 bis 1860) vor einem größere» Pu¬ blikum hielt, wohlbegründete Anerkennung in den gebildeten Kreisen erworben. Er ist gerade und bieder, fern von jeder Kriecherei gegen Hochstehende. Bei dem Ministerium scheint er nicht in besonderer Gunst gestanden zu haben, da er den Titel eines Obermedicinalraths erst ein Jahr später als sein jüngerer College Thicrfelder erhielt. — Er las auch über gerichtliche Medicin, hat sich aber auf diesem Gebiete durch seine einem etwas veralteten Standpunkte an- gehörige Bearbeitung des hcnckcschen Lehrbuchs den Ruf nicht erweitert, den er in seinem Hauptfache mit Recht genießt. Als Rector schrieb er folgendes Programm: „Zur Kenntniß des Tarsus der Wiederkäuer und paarzehigen Pachydermen." (1859). In, der Anatomie wird er durch einen zwar noch jungen, aber befähigten und fleißigen Privatdocenten. Franz Eilhard Schulze, Vertreten, der seit Anfang des Jahres 1864 habilitirt ist und eine Preisschrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/526>, abgerufen am 16.05.2024.