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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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sie festzuhalten sucht, abhält, an der freien Bewegung eines Volkes, das im
Ganzen mündig geworden ist, lebendigen Theil zu nehmen. Das sehen wir
an dem Kastendüntcl, in dem die steifen Gelehrten und ihre rohen Schüler
dem Gemeinsinne des öffentlichen Lebens so fern stehen wie das Iunkerthum.
Das wird nicht aufhören, bis sie einsehen, daß sie keine andere Freiheit
brauchen als die allgemeine. Die Freiheiten sind der Freiheit Feind.




Noch einmal der mecklenburgische Landtag und das Prngelgeseh.

Selbsttäuschung ist es. von unserer gegenwärtigen Landesvertretung irgend¬
eine Abhilfe unserer Mißstände, einen Fortschritt zum Besseren zu erwarten.
Es fehlt dem Landtag jede Lebenskraft, es fehlt ihm jeder Wille und jedes
Vermögen, zur gedeihlichen Entwickelung unseres Staatswesens beizutragen.
Ein lebensmüder Greis tagt er Jahr aus J.,hr ein seine Zeit ab, nur hin
und wieder aus der Lethargie aufgerüttelt, wenn einzelne Borlagen ihn' ein
wenig aufregen, d. h. dann, wenn Fragen discutirt werden, von denen Stände
eine Läsion ihrer "habenden Freyheiten und wolerbrachtcn Rechte" besorgen.
Die "Solidarität der conservativen Interessen" kommt dann zur Geltung, aber
auch nur dann. Da.erwacht der schläfrige Alte, erhebt ein grimmiges Gestöhn,
richtet aber nicht vielen Schaden an, indem er der Macht der Regierung ohn¬
mächtig gegenübersteht. Alle übrigen Fragen, die lediglich das Gemeinrecht,
nicht sein eigenes berühren, lieg-er ganz außerhalb seines Gesichtskreises: "Was
gehn mich Eure Leiden an?"

Alles dies hat die letzte Session des Landtages aufs Neue dargelegt: nichts
Positives ist auf ihm erreicht, kein Fortschritt ist ihm zu verdanken. Ohne
Interesse sah man ihn zusammentreten, ihn auseinandergehen; man hatte nichts
von ihm erwartet, nichts hat er gebracht.

Es sind wenige Sachen allgemeiner Bedeutung auf ihm verhandelt, von
denen wir hier noch einmal hindeuten auf die bekannte Debatte wegen der Be-
fugniß der Prediger, ein kirchenordnungsmäßiges (christliches) Begräbniß zu ver¬
sagen. Es ist nicht das erste Mal, daß den Predigern diese Befugniß stän-
dischcrseits bestritten worden; zur Erledigung ist freilich auch diesmal diese
Frage nicht gelangt. Derjenige, der die Discussion über diesen Punkt gelesen
hat, wird daraus die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die Macht und der


sie festzuhalten sucht, abhält, an der freien Bewegung eines Volkes, das im
Ganzen mündig geworden ist, lebendigen Theil zu nehmen. Das sehen wir
an dem Kastendüntcl, in dem die steifen Gelehrten und ihre rohen Schüler
dem Gemeinsinne des öffentlichen Lebens so fern stehen wie das Iunkerthum.
Das wird nicht aufhören, bis sie einsehen, daß sie keine andere Freiheit
brauchen als die allgemeine. Die Freiheiten sind der Freiheit Feind.




Noch einmal der mecklenburgische Landtag und das Prngelgeseh.

Selbsttäuschung ist es. von unserer gegenwärtigen Landesvertretung irgend¬
eine Abhilfe unserer Mißstände, einen Fortschritt zum Besseren zu erwarten.
Es fehlt dem Landtag jede Lebenskraft, es fehlt ihm jeder Wille und jedes
Vermögen, zur gedeihlichen Entwickelung unseres Staatswesens beizutragen.
Ein lebensmüder Greis tagt er Jahr aus J.,hr ein seine Zeit ab, nur hin
und wieder aus der Lethargie aufgerüttelt, wenn einzelne Borlagen ihn' ein
wenig aufregen, d. h. dann, wenn Fragen discutirt werden, von denen Stände
eine Läsion ihrer „habenden Freyheiten und wolerbrachtcn Rechte" besorgen.
Die „Solidarität der conservativen Interessen" kommt dann zur Geltung, aber
auch nur dann. Da.erwacht der schläfrige Alte, erhebt ein grimmiges Gestöhn,
richtet aber nicht vielen Schaden an, indem er der Macht der Regierung ohn¬
mächtig gegenübersteht. Alle übrigen Fragen, die lediglich das Gemeinrecht,
nicht sein eigenes berühren, lieg-er ganz außerhalb seines Gesichtskreises: „Was
gehn mich Eure Leiden an?"

Alles dies hat die letzte Session des Landtages aufs Neue dargelegt: nichts
Positives ist auf ihm erreicht, kein Fortschritt ist ihm zu verdanken. Ohne
Interesse sah man ihn zusammentreten, ihn auseinandergehen; man hatte nichts
von ihm erwartet, nichts hat er gebracht.

Es sind wenige Sachen allgemeiner Bedeutung auf ihm verhandelt, von
denen wir hier noch einmal hindeuten auf die bekannte Debatte wegen der Be-
fugniß der Prediger, ein kirchenordnungsmäßiges (christliches) Begräbniß zu ver¬
sagen. Es ist nicht das erste Mal, daß den Predigern diese Befugniß stän-
dischcrseits bestritten worden; zur Erledigung ist freilich auch diesmal diese
Frage nicht gelangt. Derjenige, der die Discussion über diesen Punkt gelesen
hat, wird daraus die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die Macht und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/164>, abgerufen am 18.05.2024.