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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Die schöne Metapher vom Sprießen der Blüthe aus edleren Boden ist aber
die kühne Wendung, mit welcher uns Herr Stintzing von der sinnlichen Unge-
bundenheit des akademischen Lebens zur Verherrlichung wahrer Geistesfreiheit
so unmerklich überleitet, daß uns dadurch die Erhaltung der ersteren mit der
der letzteren spielend vermengt wird. Nun spricht er von der Freiheit in der
Wahl der Studien, die zu einem wahren Leben derselben erforderlich ist. Er
verkennt zwar nicht, daß auch sie zu einem Privilegium der Trägheit werden
kann, welches die moderne bürgerliche Gesellschaft nicht dulden könne. Er be¬
theuert aber, daß er sie in diesem Sinne nicht fordere, sondern nur, damit
der höchste Grad individueller Kraftentwickelung möglich werde, und bricht zu¬
letzt in die große Wahrheit aus, noch nie sei das Problem gelöst worden, dem
Menschen den Gebrauch der höchsten Güter zu gewähren -- und zugleich den
Mißbrauch derselben unmöglich zu machen. So geht es weiter und ist alles
richtig. Nur daß man deshalb gar nicht so in Eifer zu gerathen braucht;
denn zu alle dem bedarf es gar keiner besonderen akademischen Freiheit. Die
Freiheit der Gewissen und Gedanken ruht wahrlich jetzt bei uns auf stärkeren
Grundlagen, als ein Zunftprivilegium der Hochschulen sie geben kann. Die
Gefahren, die ihr etwa noch drohen können, liegen im praktischen Leben in
Kirche und Staat. Ihre Beschränkung im Gebiete der Forschung ist längst eine
Unmöglichkeit und bedarf keines Schutzes durch das Recht eines Standes.
Wenn also auf dieses noch immer so ängstlich gedrungen wird, so kann es
nur geschehen, um den Zopf des burschikosen Unwesens zu retten, welcher den
alten Pflanzstätten der höhern Bildung anhängt und sie gegenüber einer allge¬
meinen Volksbildung nur lächerlich macht. Das wäre aber das Wenigste. Er
macht sie heutzutage zu Pflanzstätten der Unbildung und Unfreiheit für die
Staatsdiener, welche aus ihnen hervorgehen, da er ihren Charakter verdirbt.
So lange man es also nicht deutlicher ausspricht, daß er mit der Freiheit,
welche wir alle für die Wissenschaft fordern, gar nichts zu schaffen hat,
solange man akademische Freiheit als solche besonders zu schützen bemüht ist,
erlauben wir uns auch ferner nichts dahinter zu sehen, als den Mangel an Muth,
ein altes Uebel auszuschneiden, um das Gesunde zu retten. So lange denken
wir also bei der akademischen Freiheit an die, welche ihre Spitze im Studenten¬
duell, ihre breite Basis in der Wüstheit der Corps hat. Wer den Terrorismus
gutheißt, durch den, jährlich neue Generationen in diesen Schlamm unter¬
getaucht werden, wer es für unumgänglich nöthig hält, die größte sittliche
Rohheit mit der größten geistigen Bildung fort und fort zu widriger Begattung
in einem heiligen Raum zusammen und von der frischen Luft der ganz gewöhn¬
lichen bürgerlichen Ordnung abzusperren, der kämpfe für das Palladium desselben.
Die Freiheit des Geistes bedarf dessen nicht. Sie ist ein Gemeingut der Nation.
Jene gehört in die Rumpelkammer der Exemtionen, welche jeden Stand, der


Die schöne Metapher vom Sprießen der Blüthe aus edleren Boden ist aber
die kühne Wendung, mit welcher uns Herr Stintzing von der sinnlichen Unge-
bundenheit des akademischen Lebens zur Verherrlichung wahrer Geistesfreiheit
so unmerklich überleitet, daß uns dadurch die Erhaltung der ersteren mit der
der letzteren spielend vermengt wird. Nun spricht er von der Freiheit in der
Wahl der Studien, die zu einem wahren Leben derselben erforderlich ist. Er
verkennt zwar nicht, daß auch sie zu einem Privilegium der Trägheit werden
kann, welches die moderne bürgerliche Gesellschaft nicht dulden könne. Er be¬
theuert aber, daß er sie in diesem Sinne nicht fordere, sondern nur, damit
der höchste Grad individueller Kraftentwickelung möglich werde, und bricht zu¬
letzt in die große Wahrheit aus, noch nie sei das Problem gelöst worden, dem
Menschen den Gebrauch der höchsten Güter zu gewähren — und zugleich den
Mißbrauch derselben unmöglich zu machen. So geht es weiter und ist alles
richtig. Nur daß man deshalb gar nicht so in Eifer zu gerathen braucht;
denn zu alle dem bedarf es gar keiner besonderen akademischen Freiheit. Die
Freiheit der Gewissen und Gedanken ruht wahrlich jetzt bei uns auf stärkeren
Grundlagen, als ein Zunftprivilegium der Hochschulen sie geben kann. Die
Gefahren, die ihr etwa noch drohen können, liegen im praktischen Leben in
Kirche und Staat. Ihre Beschränkung im Gebiete der Forschung ist längst eine
Unmöglichkeit und bedarf keines Schutzes durch das Recht eines Standes.
Wenn also auf dieses noch immer so ängstlich gedrungen wird, so kann es
nur geschehen, um den Zopf des burschikosen Unwesens zu retten, welcher den
alten Pflanzstätten der höhern Bildung anhängt und sie gegenüber einer allge¬
meinen Volksbildung nur lächerlich macht. Das wäre aber das Wenigste. Er
macht sie heutzutage zu Pflanzstätten der Unbildung und Unfreiheit für die
Staatsdiener, welche aus ihnen hervorgehen, da er ihren Charakter verdirbt.
So lange man es also nicht deutlicher ausspricht, daß er mit der Freiheit,
welche wir alle für die Wissenschaft fordern, gar nichts zu schaffen hat,
solange man akademische Freiheit als solche besonders zu schützen bemüht ist,
erlauben wir uns auch ferner nichts dahinter zu sehen, als den Mangel an Muth,
ein altes Uebel auszuschneiden, um das Gesunde zu retten. So lange denken
wir also bei der akademischen Freiheit an die, welche ihre Spitze im Studenten¬
duell, ihre breite Basis in der Wüstheit der Corps hat. Wer den Terrorismus
gutheißt, durch den, jährlich neue Generationen in diesen Schlamm unter¬
getaucht werden, wer es für unumgänglich nöthig hält, die größte sittliche
Rohheit mit der größten geistigen Bildung fort und fort zu widriger Begattung
in einem heiligen Raum zusammen und von der frischen Luft der ganz gewöhn¬
lichen bürgerlichen Ordnung abzusperren, der kämpfe für das Palladium desselben.
Die Freiheit des Geistes bedarf dessen nicht. Sie ist ein Gemeingut der Nation.
Jene gehört in die Rumpelkammer der Exemtionen, welche jeden Stand, der


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[0163] Die schöne Metapher vom Sprießen der Blüthe aus edleren Boden ist aber die kühne Wendung, mit welcher uns Herr Stintzing von der sinnlichen Unge- bundenheit des akademischen Lebens zur Verherrlichung wahrer Geistesfreiheit so unmerklich überleitet, daß uns dadurch die Erhaltung der ersteren mit der der letzteren spielend vermengt wird. Nun spricht er von der Freiheit in der Wahl der Studien, die zu einem wahren Leben derselben erforderlich ist. Er verkennt zwar nicht, daß auch sie zu einem Privilegium der Trägheit werden kann, welches die moderne bürgerliche Gesellschaft nicht dulden könne. Er be¬ theuert aber, daß er sie in diesem Sinne nicht fordere, sondern nur, damit der höchste Grad individueller Kraftentwickelung möglich werde, und bricht zu¬ letzt in die große Wahrheit aus, noch nie sei das Problem gelöst worden, dem Menschen den Gebrauch der höchsten Güter zu gewähren — und zugleich den Mißbrauch derselben unmöglich zu machen. So geht es weiter und ist alles richtig. Nur daß man deshalb gar nicht so in Eifer zu gerathen braucht; denn zu alle dem bedarf es gar keiner besonderen akademischen Freiheit. Die Freiheit der Gewissen und Gedanken ruht wahrlich jetzt bei uns auf stärkeren Grundlagen, als ein Zunftprivilegium der Hochschulen sie geben kann. Die Gefahren, die ihr etwa noch drohen können, liegen im praktischen Leben in Kirche und Staat. Ihre Beschränkung im Gebiete der Forschung ist längst eine Unmöglichkeit und bedarf keines Schutzes durch das Recht eines Standes. Wenn also auf dieses noch immer so ängstlich gedrungen wird, so kann es nur geschehen, um den Zopf des burschikosen Unwesens zu retten, welcher den alten Pflanzstätten der höhern Bildung anhängt und sie gegenüber einer allge¬ meinen Volksbildung nur lächerlich macht. Das wäre aber das Wenigste. Er macht sie heutzutage zu Pflanzstätten der Unbildung und Unfreiheit für die Staatsdiener, welche aus ihnen hervorgehen, da er ihren Charakter verdirbt. So lange man es also nicht deutlicher ausspricht, daß er mit der Freiheit, welche wir alle für die Wissenschaft fordern, gar nichts zu schaffen hat, solange man akademische Freiheit als solche besonders zu schützen bemüht ist, erlauben wir uns auch ferner nichts dahinter zu sehen, als den Mangel an Muth, ein altes Uebel auszuschneiden, um das Gesunde zu retten. So lange denken wir also bei der akademischen Freiheit an die, welche ihre Spitze im Studenten¬ duell, ihre breite Basis in der Wüstheit der Corps hat. Wer den Terrorismus gutheißt, durch den, jährlich neue Generationen in diesen Schlamm unter¬ getaucht werden, wer es für unumgänglich nöthig hält, die größte sittliche Rohheit mit der größten geistigen Bildung fort und fort zu widriger Begattung in einem heiligen Raum zusammen und von der frischen Luft der ganz gewöhn¬ lichen bürgerlichen Ordnung abzusperren, der kämpfe für das Palladium desselben. Die Freiheit des Geistes bedarf dessen nicht. Sie ist ein Gemeingut der Nation. Jene gehört in die Rumpelkammer der Exemtionen, welche jeden Stand, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/163>, abgerufen am 10.06.2024.