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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Geschichte Julius Cäsars von Napoleon.

Gesetzt, ein Deutscher, welcher der historischen Literatur nicht fremd ist,
läse das Werk, ohne den Namen des Verfassers zu kennen -- vielleicht in einem
Exemplar der deutschen Ausgabe, welchem die Vorrede abgelöst wäre, -- er
würde als wohlwollender Mann dies merkwürdige Buch etwa so beurtheilen:
Es ist die Arbeit eines fleißigen Dilettanten, der über die Methode geschicht¬
licher Forschung, über den Werth der einzelnen Quellen und die wissenschaftliche
Tüchtigkeit seiner Vorgänger nicht genügend unterrichtet ist. Der Verfasser hat
emsig und viel für sein Buch gelesen, aber er wählt mit großer Willkür aus
den Quellen und den Arbeiten anderer, was dem Bilde grade dient, das er sich
zu schnell von den Sachen und dem Charakter seines Helden construirt hat.
Deshalb hat da, wo er Geschichte erzählt, sein Bericht viel Unrichtiges, wo er
Menschen schildert, viel Unklares. Er ist dem bei Biographen häusigen Fehler
verfallen, seinen Helden so zu bewundern, daß er darüber die eigene Unbefangen¬
heit verloren hat und in Gefahr kommt, mehr Lobredner als Geschichts-
schreiber zu sein. Manche Stellen seiner Arbeit erweisen ein, wenn auch
oberflächliches Verständniß des römischen Staatslebens. Wie er den allmäligen
Verfall der Republik, ihre Altersschwäche und die Verdorbenheit des Staates
vor Cäsar auffaßt, er allerdings nicht als der erste, das zeigt einen Blick für
fremdartige Verhältnisse, die kurze Schilderung römischer Zustände bei Sullas
Tod ist das Beste im Buche. Aber in der Beurtheilung der Menschen¬
natur erweist er da, wo sein Urtheil nicht offenbar aus dem seiner Vorgänger
abgeleitet ist, einen Mangel an Tiefsinn und Scharfsinn und ein Bestreben, mit
banaler Phrase die Geheimnisse eines Menschenherzens zu überkleiden, daß man ihn
für einen nicht scharfsichtigen, nicht fein empfindenden, nicht weitblickenden, etwas
philiströsen und etwas pedantischen Mann der Schreibstube halten muß,
der eine übergroße Bewunderung vor jeder Willensstärke und allen großen
Conaten hat, denen sein eigenes Leben so fern als möglich steht, und der eben
deshalb sich in eine Verehrung des Cäsarismus hineinphantasirt hat, der etwas


Gr-nzboten II. 1866. 26
Geschichte Julius Cäsars von Napoleon.

Gesetzt, ein Deutscher, welcher der historischen Literatur nicht fremd ist,
läse das Werk, ohne den Namen des Verfassers zu kennen — vielleicht in einem
Exemplar der deutschen Ausgabe, welchem die Vorrede abgelöst wäre, — er
würde als wohlwollender Mann dies merkwürdige Buch etwa so beurtheilen:
Es ist die Arbeit eines fleißigen Dilettanten, der über die Methode geschicht¬
licher Forschung, über den Werth der einzelnen Quellen und die wissenschaftliche
Tüchtigkeit seiner Vorgänger nicht genügend unterrichtet ist. Der Verfasser hat
emsig und viel für sein Buch gelesen, aber er wählt mit großer Willkür aus
den Quellen und den Arbeiten anderer, was dem Bilde grade dient, das er sich
zu schnell von den Sachen und dem Charakter seines Helden construirt hat.
Deshalb hat da, wo er Geschichte erzählt, sein Bericht viel Unrichtiges, wo er
Menschen schildert, viel Unklares. Er ist dem bei Biographen häusigen Fehler
verfallen, seinen Helden so zu bewundern, daß er darüber die eigene Unbefangen¬
heit verloren hat und in Gefahr kommt, mehr Lobredner als Geschichts-
schreiber zu sein. Manche Stellen seiner Arbeit erweisen ein, wenn auch
oberflächliches Verständniß des römischen Staatslebens. Wie er den allmäligen
Verfall der Republik, ihre Altersschwäche und die Verdorbenheit des Staates
vor Cäsar auffaßt, er allerdings nicht als der erste, das zeigt einen Blick für
fremdartige Verhältnisse, die kurze Schilderung römischer Zustände bei Sullas
Tod ist das Beste im Buche. Aber in der Beurtheilung der Menschen¬
natur erweist er da, wo sein Urtheil nicht offenbar aus dem seiner Vorgänger
abgeleitet ist, einen Mangel an Tiefsinn und Scharfsinn und ein Bestreben, mit
banaler Phrase die Geheimnisse eines Menschenherzens zu überkleiden, daß man ihn
für einen nicht scharfsichtigen, nicht fein empfindenden, nicht weitblickenden, etwas
philiströsen und etwas pedantischen Mann der Schreibstube halten muß,
der eine übergroße Bewunderung vor jeder Willensstärke und allen großen
Conaten hat, denen sein eigenes Leben so fern als möglich steht, und der eben
deshalb sich in eine Verehrung des Cäsarismus hineinphantasirt hat, der etwas


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[0217] Geschichte Julius Cäsars von Napoleon. Gesetzt, ein Deutscher, welcher der historischen Literatur nicht fremd ist, läse das Werk, ohne den Namen des Verfassers zu kennen — vielleicht in einem Exemplar der deutschen Ausgabe, welchem die Vorrede abgelöst wäre, — er würde als wohlwollender Mann dies merkwürdige Buch etwa so beurtheilen: Es ist die Arbeit eines fleißigen Dilettanten, der über die Methode geschicht¬ licher Forschung, über den Werth der einzelnen Quellen und die wissenschaftliche Tüchtigkeit seiner Vorgänger nicht genügend unterrichtet ist. Der Verfasser hat emsig und viel für sein Buch gelesen, aber er wählt mit großer Willkür aus den Quellen und den Arbeiten anderer, was dem Bilde grade dient, das er sich zu schnell von den Sachen und dem Charakter seines Helden construirt hat. Deshalb hat da, wo er Geschichte erzählt, sein Bericht viel Unrichtiges, wo er Menschen schildert, viel Unklares. Er ist dem bei Biographen häusigen Fehler verfallen, seinen Helden so zu bewundern, daß er darüber die eigene Unbefangen¬ heit verloren hat und in Gefahr kommt, mehr Lobredner als Geschichts- schreiber zu sein. Manche Stellen seiner Arbeit erweisen ein, wenn auch oberflächliches Verständniß des römischen Staatslebens. Wie er den allmäligen Verfall der Republik, ihre Altersschwäche und die Verdorbenheit des Staates vor Cäsar auffaßt, er allerdings nicht als der erste, das zeigt einen Blick für fremdartige Verhältnisse, die kurze Schilderung römischer Zustände bei Sullas Tod ist das Beste im Buche. Aber in der Beurtheilung der Menschen¬ natur erweist er da, wo sein Urtheil nicht offenbar aus dem seiner Vorgänger abgeleitet ist, einen Mangel an Tiefsinn und Scharfsinn und ein Bestreben, mit banaler Phrase die Geheimnisse eines Menschenherzens zu überkleiden, daß man ihn für einen nicht scharfsichtigen, nicht fein empfindenden, nicht weitblickenden, etwas philiströsen und etwas pedantischen Mann der Schreibstube halten muß, der eine übergroße Bewunderung vor jeder Willensstärke und allen großen Conaten hat, denen sein eigenes Leben so fern als möglich steht, und der eben deshalb sich in eine Verehrung des Cäsarismus hineinphantasirt hat, der etwas Gr-nzboten II. 1866. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/217>, abgerufen am 26.05.2024.