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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Zum Dante-Fest.

Italien ist bis auf unsere Tage das classische Land der Festlichkeiten ge.
blieben, das es seit den Anfängen seiner Geschichte war. Erst hat die römische
Kirche die ganze Unerschöpflichkeit der antiken Tradition nach dieser Richtung
Mit allen reinen und unreinen Motiven aufgenommen und ausgebeutet, wie sie
es heute noch thut; wetteifernd mit ihr haben die zahllosen kleinen Höfe des
vielgetheilten Landes der Lust nach feierlichen Schaustellungen gefröhnt, und
hier wie dort ist zu jeder Zeit das Volk im weitesten Sinne nicht blos --
Wie meist bei uns -- Zuschauer, sondern mitagirender Theilnehmer gewesen.
Denn niemals, wie ernst und schwer auch die Zeitläufte waren, haben sich die
Italiener den eingeborenen Hang nach lauter öffentlicher Lustbarkeit verkümmern
lassen. Wie oft sind sie darum Kinder gescholten worden, wie oft hat afterkluge
Weisheit ihren tollen unverwüstlichen Faschingshumor als Symptom der Un¬
fähigkeit zu ernsthafter politischer Thätigkeit, als Zeichen des Sklaventhums
gelästert; die Zeit hat bewiesen, daß dieser Zug weit mehr ein Ausdruck guter
und gesunder Natur war. In den gegenwärtigen Tagen versammeln sich unsre
Nachbarn jenseits der Alpen, um ein großes Fest zu feiern. Unter den Händen,
die jetzt die Kränze dafür winden, sind tausende gezeichnet mit den Schwielen
harter Arbeit im Dienste des politischen Ideals, und alle diejenigen, welche
Mit der Geschichte ihres Vaterlands thätig fortleben, sind frohe Gäste der be¬
vorstehenden Feier. Denn sie ist die erste nationale, die erste italienische. Deshalb
überragt dieses Fest an innerer Bedeutsamkeit sowohl die Triumphe der römischen
Kaiser von ehedem als auch die Jubiläen des Papstthums. Aber es ist bezeichnend,
baß die päpstliche Kirche diesmal grollend bei Seite steht und dadurch aufs
Neue an den Tag legt, wie sehr sie aufgehört hat. der geistige Mittelpunkt des
Volkes zu sein, das vollständiger und aufrichtiger als jemals bei ähnlicher Ge¬
legenheit die Begeisterung dieser Maitage theilen wird.

Gewiß, unter den Italienern von heute würde jede gemeinverständliche
historische Erinnerung genügen, der Anlaß patriotischer Feierlichkeiten in großem
Stil zu werden. Das Zusammentreffen der Zeitumstände vermöchte auch einem
weit geringeren Ereignisse bedeutendes Relief zu geben. Aber es ist schön,
baß die festliche Stimmung des Volkes so würdige Gelegenheit findet, wie diese
'se- Vor Kurzem tagte das italienische Parlament, um sein Votum abzugeben


Grenzboten II. 1865.
Zum Dante-Fest.

Italien ist bis auf unsere Tage das classische Land der Festlichkeiten ge.
blieben, das es seit den Anfängen seiner Geschichte war. Erst hat die römische
Kirche die ganze Unerschöpflichkeit der antiken Tradition nach dieser Richtung
Mit allen reinen und unreinen Motiven aufgenommen und ausgebeutet, wie sie
es heute noch thut; wetteifernd mit ihr haben die zahllosen kleinen Höfe des
vielgetheilten Landes der Lust nach feierlichen Schaustellungen gefröhnt, und
hier wie dort ist zu jeder Zeit das Volk im weitesten Sinne nicht blos —
Wie meist bei uns — Zuschauer, sondern mitagirender Theilnehmer gewesen.
Denn niemals, wie ernst und schwer auch die Zeitläufte waren, haben sich die
Italiener den eingeborenen Hang nach lauter öffentlicher Lustbarkeit verkümmern
lassen. Wie oft sind sie darum Kinder gescholten worden, wie oft hat afterkluge
Weisheit ihren tollen unverwüstlichen Faschingshumor als Symptom der Un¬
fähigkeit zu ernsthafter politischer Thätigkeit, als Zeichen des Sklaventhums
gelästert; die Zeit hat bewiesen, daß dieser Zug weit mehr ein Ausdruck guter
und gesunder Natur war. In den gegenwärtigen Tagen versammeln sich unsre
Nachbarn jenseits der Alpen, um ein großes Fest zu feiern. Unter den Händen,
die jetzt die Kränze dafür winden, sind tausende gezeichnet mit den Schwielen
harter Arbeit im Dienste des politischen Ideals, und alle diejenigen, welche
Mit der Geschichte ihres Vaterlands thätig fortleben, sind frohe Gäste der be¬
vorstehenden Feier. Denn sie ist die erste nationale, die erste italienische. Deshalb
überragt dieses Fest an innerer Bedeutsamkeit sowohl die Triumphe der römischen
Kaiser von ehedem als auch die Jubiläen des Papstthums. Aber es ist bezeichnend,
baß die päpstliche Kirche diesmal grollend bei Seite steht und dadurch aufs
Neue an den Tag legt, wie sehr sie aufgehört hat. der geistige Mittelpunkt des
Volkes zu sein, das vollständiger und aufrichtiger als jemals bei ähnlicher Ge¬
legenheit die Begeisterung dieser Maitage theilen wird.

Gewiß, unter den Italienern von heute würde jede gemeinverständliche
historische Erinnerung genügen, der Anlaß patriotischer Feierlichkeiten in großem
Stil zu werden. Das Zusammentreffen der Zeitumstände vermöchte auch einem
weit geringeren Ereignisse bedeutendes Relief zu geben. Aber es ist schön,
baß die festliche Stimmung des Volkes so würdige Gelegenheit findet, wie diese
'se- Vor Kurzem tagte das italienische Parlament, um sein Votum abzugeben


Grenzboten II. 1865.
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[0301] Zum Dante-Fest. Italien ist bis auf unsere Tage das classische Land der Festlichkeiten ge. blieben, das es seit den Anfängen seiner Geschichte war. Erst hat die römische Kirche die ganze Unerschöpflichkeit der antiken Tradition nach dieser Richtung Mit allen reinen und unreinen Motiven aufgenommen und ausgebeutet, wie sie es heute noch thut; wetteifernd mit ihr haben die zahllosen kleinen Höfe des vielgetheilten Landes der Lust nach feierlichen Schaustellungen gefröhnt, und hier wie dort ist zu jeder Zeit das Volk im weitesten Sinne nicht blos — Wie meist bei uns — Zuschauer, sondern mitagirender Theilnehmer gewesen. Denn niemals, wie ernst und schwer auch die Zeitläufte waren, haben sich die Italiener den eingeborenen Hang nach lauter öffentlicher Lustbarkeit verkümmern lassen. Wie oft sind sie darum Kinder gescholten worden, wie oft hat afterkluge Weisheit ihren tollen unverwüstlichen Faschingshumor als Symptom der Un¬ fähigkeit zu ernsthafter politischer Thätigkeit, als Zeichen des Sklaventhums gelästert; die Zeit hat bewiesen, daß dieser Zug weit mehr ein Ausdruck guter und gesunder Natur war. In den gegenwärtigen Tagen versammeln sich unsre Nachbarn jenseits der Alpen, um ein großes Fest zu feiern. Unter den Händen, die jetzt die Kränze dafür winden, sind tausende gezeichnet mit den Schwielen harter Arbeit im Dienste des politischen Ideals, und alle diejenigen, welche Mit der Geschichte ihres Vaterlands thätig fortleben, sind frohe Gäste der be¬ vorstehenden Feier. Denn sie ist die erste nationale, die erste italienische. Deshalb überragt dieses Fest an innerer Bedeutsamkeit sowohl die Triumphe der römischen Kaiser von ehedem als auch die Jubiläen des Papstthums. Aber es ist bezeichnend, baß die päpstliche Kirche diesmal grollend bei Seite steht und dadurch aufs Neue an den Tag legt, wie sehr sie aufgehört hat. der geistige Mittelpunkt des Volkes zu sein, das vollständiger und aufrichtiger als jemals bei ähnlicher Ge¬ legenheit die Begeisterung dieser Maitage theilen wird. Gewiß, unter den Italienern von heute würde jede gemeinverständliche historische Erinnerung genügen, der Anlaß patriotischer Feierlichkeiten in großem Stil zu werden. Das Zusammentreffen der Zeitumstände vermöchte auch einem weit geringeren Ereignisse bedeutendes Relief zu geben. Aber es ist schön, baß die festliche Stimmung des Volkes so würdige Gelegenheit findet, wie diese 'se- Vor Kurzem tagte das italienische Parlament, um sein Votum abzugeben Grenzboten II. 1865.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/301>, abgerufen am 26.05.2024.