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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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für die Verlegung der Hauptstadt des Königreichs vom Po an den Arno. Fast
zum ersten Mal, so lange es eine Geschichte Italiens giebt, hatte in solcher
Frage nationales Gemeingefühl über particuläre Wünsche und Interessen gesiegt.
Man weiß, wie schwer es halt, die praktischen Consequenzen durchzusetzen von
großen nationalen Entschlüssen, auch wenn sie in Bausch und Bogen noch so
schnell und einhellig gefaßt worden sind. Leicht bei einander wohnen die Gedanken,
doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. Es ist auch diesmal nicht ohne
Anstoß abgegangen; aber das Parlament verzichtete freiwillig auf die Discussion
der bedauerlichen Vorgänge vom turiner Schloßplatze, und der Schatten mag
Vergessen werden. Die Thatsache der Verlegung des Reichsmittelpunktes wird
dadurch nicht minder epochemachend für die Halbinsel, die sich nach langem un¬
glücklichen Ringen aus dem Scheintods des geographischen Begriffs zu neuer po¬
litischer Realität erweckt steht.

Und in welch erhöhtem Sinne macht Florenz die Honneurs dieses ersten
italienischen Nationalfestes. Nicht der zufällige Umstand, daß vor 600 Jahren
Dante in ihren Mauern geboren wurde, macht die alte Guelfcnstadt zum
Mittelpunkt des Festes, an welchem ihr gegönnt ist, die Manen ihres größten
Todten durch feierliches Opfer zu versöhnen; sondern weil sie es mit dem Be¬
wußtsein thun darf, daß sie die Pflegestätte des italienischen Genius ist, jenes
gewaltigen Geistes der modernen Cultur. Und dies Gefühl, das sie erhebt
über alle andern Städte Italiens, mag ihr die Kraft geben, im neuen könig¬
lichen Schmucke vor Dante hinzutreten und ihm als Jubiläumsgabe die Zu¬
versicht und das Gelöbniß darzubringen, daß in der Wahl seines Heimaths-
ortes zur Hauptstadt die Bürgschaft einer dauerhaften und -- was mehr sagen
will -- einer rechtschaffen nationalen Lösung der großen Umgestaltungen seines
Vaterlandes gegeben sei.

Denn das, was durch den Umzug der Regierung Italiens nach Florenz
nunmehr sich vollzieht, bedeutet keineswegs blos einen Ortswechsel der Residenz,
auch schwerlich nur ein Provisorium, sondern weit mehr: es ist innerlich und
äußerlich die Beglaubigung des neuen Italien und wird sehr lange Zeit definitiv
sein. Den Politikern, die sich vor einem halben Jahre entschlossen haben, Turin
zu verlassen, gilt Florenz angeblich nur als eine Station auf dem Wege nach
der Tiber, und das Volk hofft heute noch ebenso; haben doch die Florentiner
selbst bei der Entscheidung jenes Wechsels mit schöner Uneigennützigkeit erklärt,
daß sie die Ehre der Residenz freudig opfern wollen, wenn Rom erst wirklich zur
Hauptstadt gemacht werden könne. Die Edelsinnigen werden kaum an ihr Ver¬
sprechen gemahnt werden; wahrscheinlicher dünkt uns, daß Florenz der wirkliche
Mittelpunkt des Staates bleibt. Wohl wird in nicht mehr ferner Zeit die
Würdigere Tricolore von den Zinnen des Capitoles wehn; aber Hauptstadt im
eigentlichen Sinne wird Rom schwerlich werden. Und das wäre in der Ordnung.


für die Verlegung der Hauptstadt des Königreichs vom Po an den Arno. Fast
zum ersten Mal, so lange es eine Geschichte Italiens giebt, hatte in solcher
Frage nationales Gemeingefühl über particuläre Wünsche und Interessen gesiegt.
Man weiß, wie schwer es halt, die praktischen Consequenzen durchzusetzen von
großen nationalen Entschlüssen, auch wenn sie in Bausch und Bogen noch so
schnell und einhellig gefaßt worden sind. Leicht bei einander wohnen die Gedanken,
doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. Es ist auch diesmal nicht ohne
Anstoß abgegangen; aber das Parlament verzichtete freiwillig auf die Discussion
der bedauerlichen Vorgänge vom turiner Schloßplatze, und der Schatten mag
Vergessen werden. Die Thatsache der Verlegung des Reichsmittelpunktes wird
dadurch nicht minder epochemachend für die Halbinsel, die sich nach langem un¬
glücklichen Ringen aus dem Scheintods des geographischen Begriffs zu neuer po¬
litischer Realität erweckt steht.

Und in welch erhöhtem Sinne macht Florenz die Honneurs dieses ersten
italienischen Nationalfestes. Nicht der zufällige Umstand, daß vor 600 Jahren
Dante in ihren Mauern geboren wurde, macht die alte Guelfcnstadt zum
Mittelpunkt des Festes, an welchem ihr gegönnt ist, die Manen ihres größten
Todten durch feierliches Opfer zu versöhnen; sondern weil sie es mit dem Be¬
wußtsein thun darf, daß sie die Pflegestätte des italienischen Genius ist, jenes
gewaltigen Geistes der modernen Cultur. Und dies Gefühl, das sie erhebt
über alle andern Städte Italiens, mag ihr die Kraft geben, im neuen könig¬
lichen Schmucke vor Dante hinzutreten und ihm als Jubiläumsgabe die Zu¬
versicht und das Gelöbniß darzubringen, daß in der Wahl seines Heimaths-
ortes zur Hauptstadt die Bürgschaft einer dauerhaften und — was mehr sagen
will — einer rechtschaffen nationalen Lösung der großen Umgestaltungen seines
Vaterlandes gegeben sei.

Denn das, was durch den Umzug der Regierung Italiens nach Florenz
nunmehr sich vollzieht, bedeutet keineswegs blos einen Ortswechsel der Residenz,
auch schwerlich nur ein Provisorium, sondern weit mehr: es ist innerlich und
äußerlich die Beglaubigung des neuen Italien und wird sehr lange Zeit definitiv
sein. Den Politikern, die sich vor einem halben Jahre entschlossen haben, Turin
zu verlassen, gilt Florenz angeblich nur als eine Station auf dem Wege nach
der Tiber, und das Volk hofft heute noch ebenso; haben doch die Florentiner
selbst bei der Entscheidung jenes Wechsels mit schöner Uneigennützigkeit erklärt,
daß sie die Ehre der Residenz freudig opfern wollen, wenn Rom erst wirklich zur
Hauptstadt gemacht werden könne. Die Edelsinnigen werden kaum an ihr Ver¬
sprechen gemahnt werden; wahrscheinlicher dünkt uns, daß Florenz der wirkliche
Mittelpunkt des Staates bleibt. Wohl wird in nicht mehr ferner Zeit die
Würdigere Tricolore von den Zinnen des Capitoles wehn; aber Hauptstadt im
eigentlichen Sinne wird Rom schwerlich werden. Und das wäre in der Ordnung.


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[0302] für die Verlegung der Hauptstadt des Königreichs vom Po an den Arno. Fast zum ersten Mal, so lange es eine Geschichte Italiens giebt, hatte in solcher Frage nationales Gemeingefühl über particuläre Wünsche und Interessen gesiegt. Man weiß, wie schwer es halt, die praktischen Consequenzen durchzusetzen von großen nationalen Entschlüssen, auch wenn sie in Bausch und Bogen noch so schnell und einhellig gefaßt worden sind. Leicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. Es ist auch diesmal nicht ohne Anstoß abgegangen; aber das Parlament verzichtete freiwillig auf die Discussion der bedauerlichen Vorgänge vom turiner Schloßplatze, und der Schatten mag Vergessen werden. Die Thatsache der Verlegung des Reichsmittelpunktes wird dadurch nicht minder epochemachend für die Halbinsel, die sich nach langem un¬ glücklichen Ringen aus dem Scheintods des geographischen Begriffs zu neuer po¬ litischer Realität erweckt steht. Und in welch erhöhtem Sinne macht Florenz die Honneurs dieses ersten italienischen Nationalfestes. Nicht der zufällige Umstand, daß vor 600 Jahren Dante in ihren Mauern geboren wurde, macht die alte Guelfcnstadt zum Mittelpunkt des Festes, an welchem ihr gegönnt ist, die Manen ihres größten Todten durch feierliches Opfer zu versöhnen; sondern weil sie es mit dem Be¬ wußtsein thun darf, daß sie die Pflegestätte des italienischen Genius ist, jenes gewaltigen Geistes der modernen Cultur. Und dies Gefühl, das sie erhebt über alle andern Städte Italiens, mag ihr die Kraft geben, im neuen könig¬ lichen Schmucke vor Dante hinzutreten und ihm als Jubiläumsgabe die Zu¬ versicht und das Gelöbniß darzubringen, daß in der Wahl seines Heimaths- ortes zur Hauptstadt die Bürgschaft einer dauerhaften und — was mehr sagen will — einer rechtschaffen nationalen Lösung der großen Umgestaltungen seines Vaterlandes gegeben sei. Denn das, was durch den Umzug der Regierung Italiens nach Florenz nunmehr sich vollzieht, bedeutet keineswegs blos einen Ortswechsel der Residenz, auch schwerlich nur ein Provisorium, sondern weit mehr: es ist innerlich und äußerlich die Beglaubigung des neuen Italien und wird sehr lange Zeit definitiv sein. Den Politikern, die sich vor einem halben Jahre entschlossen haben, Turin zu verlassen, gilt Florenz angeblich nur als eine Station auf dem Wege nach der Tiber, und das Volk hofft heute noch ebenso; haben doch die Florentiner selbst bei der Entscheidung jenes Wechsels mit schöner Uneigennützigkeit erklärt, daß sie die Ehre der Residenz freudig opfern wollen, wenn Rom erst wirklich zur Hauptstadt gemacht werden könne. Die Edelsinnigen werden kaum an ihr Ver¬ sprechen gemahnt werden; wahrscheinlicher dünkt uns, daß Florenz der wirkliche Mittelpunkt des Staates bleibt. Wohl wird in nicht mehr ferner Zeit die Würdigere Tricolore von den Zinnen des Capitoles wehn; aber Hauptstadt im eigentlichen Sinne wird Rom schwerlich werden. Und das wäre in der Ordnung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/302>, abgerufen am 17.06.2024.