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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Die berliner Bildhauerschule.
i.

In der Kunstproduction einer wirklich großen Stadt, des Centralpunkts
eines bedeutenden Staatslebens, läßt sich nur. in sehr seltnen Fällen ein so
gemeinsamer Charakterzug erkennen und nachweisen, daß man berechtigt wäre,
die producirenden künstlerischen Kräfte unter der Gesammtbezeichnung der Kunst¬
oder Künstlerschule derselben zusammenzufassen. Ein durchgängiges einheit¬
liches Gepräge erhält die Kunstleistung eigentlich nur in kleinen Städten, in
welchen unzcrsplittcrt und unbeeinflußt durch die unendlich mannigfachen und
widersprechenden Lebensäußerungen, Richtungen, wechselnden geistigen Strö¬
mungen und Interessen größerer Gemeinwesen, die Künstlerschaft sich enger in
sich zusammenschließt, sich als besonderes Ganze der außenstehenden Welt
gegenüber fühlt. In solcher Gestalt nimmt dann leicht die Art ihres Schaffens
eine gewisse Gemeinsamkeit der Physiognomie an, welche die Lehre oder das
Beispiel eines oder weniger hervorragender, den schwächern impoinrcndcr Männer,
jenen selbst fast unmerklich, mittheilte und auch Werke der verschiedensten Kunst¬
gattungen und Talente immer noch als die einer bestimmten Schule erkennen
läßt. Die Geschichte der deutschen und italienischen Renaissance giebt uns dafür
die Beispiele so gut wie die der neuesten Kunst. Wir haben eine ganz be¬
stimmte Vorstellung, wenn wir von einer düsseldorfer und einer Münchner, aber
keineswegs, wenn wir von einer berliner oder pariser Malerschule sprechen. Aber
jener Eingangs ausgcsprvchne und hierdurch wieder bestätigte Erfahrungssatz hatte,
für lange Zeit wenigstens, in Berlin seine Willigkeit für die Schwesterkunst,
die Plastik, verloren. Während unter den hiesigen Malern der ältern Gene¬
ration, welche sich nach den Freiheitskriegen entwickelt, in den dreißiger und
ersten vierziger Jahren die ihnen vergönnte Höhe der Meisterschaft erreicht hatten,
sich doch kaum einer befand, dessen Kraft und Kunst danach geartet gewesen
wäre, der Kunstübung auch nur seiner nächsten Schüler, geschweige den nach
allen Richtungen hin gekehrten dieser ganzen Stadt ihren charakteristischen
Stempel zu geben und eine "berliner Malerschule" zu schaffen; während


Grenzboten I, 1866, 16
Die berliner Bildhauerschule.
i.

In der Kunstproduction einer wirklich großen Stadt, des Centralpunkts
eines bedeutenden Staatslebens, läßt sich nur. in sehr seltnen Fällen ein so
gemeinsamer Charakterzug erkennen und nachweisen, daß man berechtigt wäre,
die producirenden künstlerischen Kräfte unter der Gesammtbezeichnung der Kunst¬
oder Künstlerschule derselben zusammenzufassen. Ein durchgängiges einheit¬
liches Gepräge erhält die Kunstleistung eigentlich nur in kleinen Städten, in
welchen unzcrsplittcrt und unbeeinflußt durch die unendlich mannigfachen und
widersprechenden Lebensäußerungen, Richtungen, wechselnden geistigen Strö¬
mungen und Interessen größerer Gemeinwesen, die Künstlerschaft sich enger in
sich zusammenschließt, sich als besonderes Ganze der außenstehenden Welt
gegenüber fühlt. In solcher Gestalt nimmt dann leicht die Art ihres Schaffens
eine gewisse Gemeinsamkeit der Physiognomie an, welche die Lehre oder das
Beispiel eines oder weniger hervorragender, den schwächern impoinrcndcr Männer,
jenen selbst fast unmerklich, mittheilte und auch Werke der verschiedensten Kunst¬
gattungen und Talente immer noch als die einer bestimmten Schule erkennen
läßt. Die Geschichte der deutschen und italienischen Renaissance giebt uns dafür
die Beispiele so gut wie die der neuesten Kunst. Wir haben eine ganz be¬
stimmte Vorstellung, wenn wir von einer düsseldorfer und einer Münchner, aber
keineswegs, wenn wir von einer berliner oder pariser Malerschule sprechen. Aber
jener Eingangs ausgcsprvchne und hierdurch wieder bestätigte Erfahrungssatz hatte,
für lange Zeit wenigstens, in Berlin seine Willigkeit für die Schwesterkunst,
die Plastik, verloren. Während unter den hiesigen Malern der ältern Gene¬
ration, welche sich nach den Freiheitskriegen entwickelt, in den dreißiger und
ersten vierziger Jahren die ihnen vergönnte Höhe der Meisterschaft erreicht hatten,
sich doch kaum einer befand, dessen Kraft und Kunst danach geartet gewesen
wäre, der Kunstübung auch nur seiner nächsten Schüler, geschweige den nach
allen Richtungen hin gekehrten dieser ganzen Stadt ihren charakteristischen
Stempel zu geben und eine „berliner Malerschule" zu schaffen; während


Grenzboten I, 1866, 16
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[0133] Die berliner Bildhauerschule. i. In der Kunstproduction einer wirklich großen Stadt, des Centralpunkts eines bedeutenden Staatslebens, läßt sich nur. in sehr seltnen Fällen ein so gemeinsamer Charakterzug erkennen und nachweisen, daß man berechtigt wäre, die producirenden künstlerischen Kräfte unter der Gesammtbezeichnung der Kunst¬ oder Künstlerschule derselben zusammenzufassen. Ein durchgängiges einheit¬ liches Gepräge erhält die Kunstleistung eigentlich nur in kleinen Städten, in welchen unzcrsplittcrt und unbeeinflußt durch die unendlich mannigfachen und widersprechenden Lebensäußerungen, Richtungen, wechselnden geistigen Strö¬ mungen und Interessen größerer Gemeinwesen, die Künstlerschaft sich enger in sich zusammenschließt, sich als besonderes Ganze der außenstehenden Welt gegenüber fühlt. In solcher Gestalt nimmt dann leicht die Art ihres Schaffens eine gewisse Gemeinsamkeit der Physiognomie an, welche die Lehre oder das Beispiel eines oder weniger hervorragender, den schwächern impoinrcndcr Männer, jenen selbst fast unmerklich, mittheilte und auch Werke der verschiedensten Kunst¬ gattungen und Talente immer noch als die einer bestimmten Schule erkennen läßt. Die Geschichte der deutschen und italienischen Renaissance giebt uns dafür die Beispiele so gut wie die der neuesten Kunst. Wir haben eine ganz be¬ stimmte Vorstellung, wenn wir von einer düsseldorfer und einer Münchner, aber keineswegs, wenn wir von einer berliner oder pariser Malerschule sprechen. Aber jener Eingangs ausgcsprvchne und hierdurch wieder bestätigte Erfahrungssatz hatte, für lange Zeit wenigstens, in Berlin seine Willigkeit für die Schwesterkunst, die Plastik, verloren. Während unter den hiesigen Malern der ältern Gene¬ ration, welche sich nach den Freiheitskriegen entwickelt, in den dreißiger und ersten vierziger Jahren die ihnen vergönnte Höhe der Meisterschaft erreicht hatten, sich doch kaum einer befand, dessen Kraft und Kunst danach geartet gewesen wäre, der Kunstübung auch nur seiner nächsten Schüler, geschweige den nach allen Richtungen hin gekehrten dieser ganzen Stadt ihren charakteristischen Stempel zu geben und eine „berliner Malerschule" zu schaffen; während Grenzboten I, 1866, 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/133>, abgerufen am 24.05.2024.