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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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später Cornelius, der eigentlich zu einem derartigen Zweck hierherberufene, trotz
der Großartigkeit seines künstlerischen Wesens nie dazu gelangt ist, aus den
hiesigen disparaten Elementen einen fest um ihn geschlossnen Schülerkreis zu
formen, der sich zum Träger seiner Principien und Lehren gemacht hätte --
konnten wir in der Plastik einen ganz entgegengesetzten Verlauf beobachten.
Die größte "Schulen bildende Kraft" fällt nicht immer mit der größten künst¬
lerischen Schöpferkraft zusammen, und selbst beide vereinigt würden noch keine
eigentliche Schule ins Leben rufen, wenn ihnen nicht die Gelegenheit zur Be-
thäiigung in großen Arbeiten würde, bei deren Ausführung allein sich Schüler
an des Meisters Beispiel und Lehre heranbilden können. Alles traf bei Chri¬
stian Rauch in seltensten Maße zusammen. Die Geburtsstätte einer eigent¬
lichen oerliner Bildhauerschule haben wir erstem seiner Werkstatt zu suchen.
Sein Talent und Können war mächtig und imponirend, seine Persönlichkeit
war es in mindestens gleichem Grade, und ihm wurde das Glück zu Theil, daß
seinem in langem Studienaufenthalt in Rom völlig gereiften künstlerischen Ver¬
mögen von der Rückkehr in die Heimath an bis zum letzten Lebenstage die
umfassendsten und würdigsten Aufgaben geboten wurden. "Es wächst der Mensch
mit seinen größeren Zwecken"; diese sind der berliner Plastik während der
langen Friedensperiode seit der Befreiung des Vaterlandes vom fremden Joch
reichlich gestellt worden, und so ist sie, geleitet von ihrem großen Meister, ge¬
wachsen an Kunst und Ehren und hat reiche und gesunde Frucht getragen.

Ehe wir aber an die Betrachtung des Entwicklungsganges und der Leistun¬
gen dieser neuern berliner Bildhauerschule gehen, ist es nöthig, einen Rückblick
auf die Meister zu werfen, welche ihr zunächst vorangingen und, wenn auch in
geringerem Grade als Rauch, durch das, was sie und wie sie schufen, doch
immer einen nicht zu verkennenden Einfluß auf sie geübt haben. Diese Männer
sind sämmtlich Schüler Gottfried Schadows. Daß dieses ihres Meisters beste
Lebensjahre grade in die Zeit des vaterländischen Elends und des allgemeinen
Kriegs fielen, in welchen von großen Aufgaben für die deutsche Sculptur keine
Rede sein konnte, war für die frühe Erstarkung ihres Talents nicht günstig.
Außer Schadows eignem so schön begabten Sohn Rudolf (geb. 1786), denfschon
in früher Jugend, im Beginn einer schon damals von glänzenden Erfolgen
begleiteten Laufbahn Verstorbenen, sind hier Friedrich Tieck und die Gebrüder
Wichmann, Karl Friedrich und Ludwig Wilhelm, vor allen zu nennen. Von
diesen dreien ist Tieck unzweifelhaft der Bedeutenste gewesen. Geboren 1776
zu Berlin, ein Jahr vor Rauch, hatte er als Knabe eine etwas harte und
mechanische Künstlerschule bei dem unbedeutenden alten Bildhauer Bettkober
durchzumachen, zu welchem er vom Vater in die Lehre gegeben war. Wenn
hier eine freiere allseitige Geistesbildung gewaltsam zurückgedrängt und das
Streben nach derselben unterdrückt wurde, so riß ihn das spätere Zusammen-


später Cornelius, der eigentlich zu einem derartigen Zweck hierherberufene, trotz
der Großartigkeit seines künstlerischen Wesens nie dazu gelangt ist, aus den
hiesigen disparaten Elementen einen fest um ihn geschlossnen Schülerkreis zu
formen, der sich zum Träger seiner Principien und Lehren gemacht hätte —
konnten wir in der Plastik einen ganz entgegengesetzten Verlauf beobachten.
Die größte „Schulen bildende Kraft" fällt nicht immer mit der größten künst¬
lerischen Schöpferkraft zusammen, und selbst beide vereinigt würden noch keine
eigentliche Schule ins Leben rufen, wenn ihnen nicht die Gelegenheit zur Be-
thäiigung in großen Arbeiten würde, bei deren Ausführung allein sich Schüler
an des Meisters Beispiel und Lehre heranbilden können. Alles traf bei Chri¬
stian Rauch in seltensten Maße zusammen. Die Geburtsstätte einer eigent¬
lichen oerliner Bildhauerschule haben wir erstem seiner Werkstatt zu suchen.
Sein Talent und Können war mächtig und imponirend, seine Persönlichkeit
war es in mindestens gleichem Grade, und ihm wurde das Glück zu Theil, daß
seinem in langem Studienaufenthalt in Rom völlig gereiften künstlerischen Ver¬
mögen von der Rückkehr in die Heimath an bis zum letzten Lebenstage die
umfassendsten und würdigsten Aufgaben geboten wurden. „Es wächst der Mensch
mit seinen größeren Zwecken"; diese sind der berliner Plastik während der
langen Friedensperiode seit der Befreiung des Vaterlandes vom fremden Joch
reichlich gestellt worden, und so ist sie, geleitet von ihrem großen Meister, ge¬
wachsen an Kunst und Ehren und hat reiche und gesunde Frucht getragen.

Ehe wir aber an die Betrachtung des Entwicklungsganges und der Leistun¬
gen dieser neuern berliner Bildhauerschule gehen, ist es nöthig, einen Rückblick
auf die Meister zu werfen, welche ihr zunächst vorangingen und, wenn auch in
geringerem Grade als Rauch, durch das, was sie und wie sie schufen, doch
immer einen nicht zu verkennenden Einfluß auf sie geübt haben. Diese Männer
sind sämmtlich Schüler Gottfried Schadows. Daß dieses ihres Meisters beste
Lebensjahre grade in die Zeit des vaterländischen Elends und des allgemeinen
Kriegs fielen, in welchen von großen Aufgaben für die deutsche Sculptur keine
Rede sein konnte, war für die frühe Erstarkung ihres Talents nicht günstig.
Außer Schadows eignem so schön begabten Sohn Rudolf (geb. 1786), denfschon
in früher Jugend, im Beginn einer schon damals von glänzenden Erfolgen
begleiteten Laufbahn Verstorbenen, sind hier Friedrich Tieck und die Gebrüder
Wichmann, Karl Friedrich und Ludwig Wilhelm, vor allen zu nennen. Von
diesen dreien ist Tieck unzweifelhaft der Bedeutenste gewesen. Geboren 1776
zu Berlin, ein Jahr vor Rauch, hatte er als Knabe eine etwas harte und
mechanische Künstlerschule bei dem unbedeutenden alten Bildhauer Bettkober
durchzumachen, zu welchem er vom Vater in die Lehre gegeben war. Wenn
hier eine freiere allseitige Geistesbildung gewaltsam zurückgedrängt und das
Streben nach derselben unterdrückt wurde, so riß ihn das spätere Zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/134>, abgerufen am 16.06.2024.