Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen Preußischen
Partei.

Der Schluß des preußischen Landtages kam sehr unerwartet. Ob er
wirklich im Interesse der Regierung war. darf man bei unbefangener Schätzung
der Verlegenheiten bezweifeln, welche er ihr gegenüber abgeschlossenen Verträgen
vor dem Auslande zu bereiten droht; die Opposition hat durch die unwillige
Entsendung nicht an Ansehen eingebüßt. Sie hat erreicht, was in dieser Sitzung
überhaupt für sie zu hoffen war, sie hat die Größe des innern Zwiespalts,
welcher die Regierung und die Majorität der Volksvertreter trennt, aufs Neue
dargelegt. Die Verhandlungen über einen Entscheid des Obertribunals waren
bedeutungsvoll für Preußen, noch nie hatte das Ministerium in der Debatte
so auffällig den Kürzeren gezogen, die Gründe des Abgeordneten Gneist. die
leidenschaftliche Bewegung Twestens, die ruhige Erklärung Simsons gaben der
Verhandlung einen Ernst und eine Würde, welche nirgend die Wirkung verfehlt
hat, als vielleicht da. wo wir alle die größte Wirkung wünschen. Wer die
tiefe Erregung beachtete, welche hinter den gemessenen Worten zuckte, der darf
sich nicht verbergen, daß in den dritthalb Jahren seit den Juniordonnanzen
gegen die Presse der Streit in Preußen langsam größere Dimensionen an¬
genommen hat; und der Abgeordnete Simson hatte guten Grund zu dem Aus¬
spruch, daß man einst diese Verhandlung als verhängnißvoll für das System
bezeichnen werde.

Allerdings ist seit dem Juni 1863 auch für die liberale Opposition der
Kampf gefahrvoller geworden. Der innere Schade hat weiter gefressen, durch
viele Zwischenfälle, durch eine militärische Expedition, durch Verwicklungen mit
dem Auslande, durch die Festsetzung des Ministeriums des Innern und die
völlige Aptirung der Negicrungsmaschinerie an das herrschende System sind
neue Schwierigkeiten geschaffen; von beiden Seiten ist die Antipathie größer,
une Verständigung der Parteien nach menschlichem Ermessen unmöglich ge-
worden. Der preußische Staat befindet sich im Anfange eines schweren Pro¬
cesses innerer Umgestaltung, dessen einzelne Momente noch gar nicht zu über-


Grenzboten I. 1866. 51
Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen Preußischen
Partei.

Der Schluß des preußischen Landtages kam sehr unerwartet. Ob er
wirklich im Interesse der Regierung war. darf man bei unbefangener Schätzung
der Verlegenheiten bezweifeln, welche er ihr gegenüber abgeschlossenen Verträgen
vor dem Auslande zu bereiten droht; die Opposition hat durch die unwillige
Entsendung nicht an Ansehen eingebüßt. Sie hat erreicht, was in dieser Sitzung
überhaupt für sie zu hoffen war, sie hat die Größe des innern Zwiespalts,
welcher die Regierung und die Majorität der Volksvertreter trennt, aufs Neue
dargelegt. Die Verhandlungen über einen Entscheid des Obertribunals waren
bedeutungsvoll für Preußen, noch nie hatte das Ministerium in der Debatte
so auffällig den Kürzeren gezogen, die Gründe des Abgeordneten Gneist. die
leidenschaftliche Bewegung Twestens, die ruhige Erklärung Simsons gaben der
Verhandlung einen Ernst und eine Würde, welche nirgend die Wirkung verfehlt
hat, als vielleicht da. wo wir alle die größte Wirkung wünschen. Wer die
tiefe Erregung beachtete, welche hinter den gemessenen Worten zuckte, der darf
sich nicht verbergen, daß in den dritthalb Jahren seit den Juniordonnanzen
gegen die Presse der Streit in Preußen langsam größere Dimensionen an¬
genommen hat; und der Abgeordnete Simson hatte guten Grund zu dem Aus¬
spruch, daß man einst diese Verhandlung als verhängnißvoll für das System
bezeichnen werde.

Allerdings ist seit dem Juni 1863 auch für die liberale Opposition der
Kampf gefahrvoller geworden. Der innere Schade hat weiter gefressen, durch
viele Zwischenfälle, durch eine militärische Expedition, durch Verwicklungen mit
dem Auslande, durch die Festsetzung des Ministeriums des Innern und die
völlige Aptirung der Negicrungsmaschinerie an das herrschende System sind
neue Schwierigkeiten geschaffen; von beiden Seiten ist die Antipathie größer,
une Verständigung der Parteien nach menschlichem Ermessen unmöglich ge-
worden. Der preußische Staat befindet sich im Anfange eines schweren Pro¬
cesses innerer Umgestaltung, dessen einzelne Momente noch gar nicht zu über-


Grenzboten I. 1866. 51
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284897"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen Preußischen<lb/>
Partei.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1389"> Der Schluß des preußischen Landtages kam sehr unerwartet. Ob er<lb/>
wirklich im Interesse der Regierung war. darf man bei unbefangener Schätzung<lb/>
der Verlegenheiten bezweifeln, welche er ihr gegenüber abgeschlossenen Verträgen<lb/>
vor dem Auslande zu bereiten droht; die Opposition hat durch die unwillige<lb/>
Entsendung nicht an Ansehen eingebüßt. Sie hat erreicht, was in dieser Sitzung<lb/>
überhaupt für sie zu hoffen war, sie hat die Größe des innern Zwiespalts,<lb/>
welcher die Regierung und die Majorität der Volksvertreter trennt, aufs Neue<lb/>
dargelegt. Die Verhandlungen über einen Entscheid des Obertribunals waren<lb/>
bedeutungsvoll für Preußen, noch nie hatte das Ministerium in der Debatte<lb/>
so auffällig den Kürzeren gezogen, die Gründe des Abgeordneten Gneist. die<lb/>
leidenschaftliche Bewegung Twestens, die ruhige Erklärung Simsons gaben der<lb/>
Verhandlung einen Ernst und eine Würde, welche nirgend die Wirkung verfehlt<lb/>
hat, als vielleicht da. wo wir alle die größte Wirkung wünschen. Wer die<lb/>
tiefe Erregung beachtete, welche hinter den gemessenen Worten zuckte, der darf<lb/>
sich nicht verbergen, daß in den dritthalb Jahren seit den Juniordonnanzen<lb/>
gegen die Presse der Streit in Preußen langsam größere Dimensionen an¬<lb/>
genommen hat; und der Abgeordnete Simson hatte guten Grund zu dem Aus¬<lb/>
spruch, daß man einst diese Verhandlung als verhängnißvoll für das System<lb/>
bezeichnen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1390" next="#ID_1391"> Allerdings ist seit dem Juni 1863 auch für die liberale Opposition der<lb/>
Kampf gefahrvoller geworden. Der innere Schade hat weiter gefressen, durch<lb/>
viele Zwischenfälle, durch eine militärische Expedition, durch Verwicklungen mit<lb/>
dem Auslande, durch die Festsetzung des Ministeriums des Innern und die<lb/>
völlige Aptirung der Negicrungsmaschinerie an das herrschende System sind<lb/>
neue Schwierigkeiten geschaffen; von beiden Seiten ist die Antipathie größer,<lb/>
une Verständigung der Parteien nach menschlichem Ermessen unmöglich ge-<lb/>
worden. Der preußische Staat befindet sich im Anfange eines schweren Pro¬<lb/>
cesses innerer Umgestaltung, dessen einzelne Momente noch gar nicht zu über-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1866. 51</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0427] Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen Preußischen Partei. Der Schluß des preußischen Landtages kam sehr unerwartet. Ob er wirklich im Interesse der Regierung war. darf man bei unbefangener Schätzung der Verlegenheiten bezweifeln, welche er ihr gegenüber abgeschlossenen Verträgen vor dem Auslande zu bereiten droht; die Opposition hat durch die unwillige Entsendung nicht an Ansehen eingebüßt. Sie hat erreicht, was in dieser Sitzung überhaupt für sie zu hoffen war, sie hat die Größe des innern Zwiespalts, welcher die Regierung und die Majorität der Volksvertreter trennt, aufs Neue dargelegt. Die Verhandlungen über einen Entscheid des Obertribunals waren bedeutungsvoll für Preußen, noch nie hatte das Ministerium in der Debatte so auffällig den Kürzeren gezogen, die Gründe des Abgeordneten Gneist. die leidenschaftliche Bewegung Twestens, die ruhige Erklärung Simsons gaben der Verhandlung einen Ernst und eine Würde, welche nirgend die Wirkung verfehlt hat, als vielleicht da. wo wir alle die größte Wirkung wünschen. Wer die tiefe Erregung beachtete, welche hinter den gemessenen Worten zuckte, der darf sich nicht verbergen, daß in den dritthalb Jahren seit den Juniordonnanzen gegen die Presse der Streit in Preußen langsam größere Dimensionen an¬ genommen hat; und der Abgeordnete Simson hatte guten Grund zu dem Aus¬ spruch, daß man einst diese Verhandlung als verhängnißvoll für das System bezeichnen werde. Allerdings ist seit dem Juni 1863 auch für die liberale Opposition der Kampf gefahrvoller geworden. Der innere Schade hat weiter gefressen, durch viele Zwischenfälle, durch eine militärische Expedition, durch Verwicklungen mit dem Auslande, durch die Festsetzung des Ministeriums des Innern und die völlige Aptirung der Negicrungsmaschinerie an das herrschende System sind neue Schwierigkeiten geschaffen; von beiden Seiten ist die Antipathie größer, une Verständigung der Parteien nach menschlichem Ermessen unmöglich ge- worden. Der preußische Staat befindet sich im Anfange eines schweren Pro¬ cesses innerer Umgestaltung, dessen einzelne Momente noch gar nicht zu über- Grenzboten I. 1866. 51

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/427
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/427>, abgerufen am 24.05.2024.