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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ruhigen Fortgang der parlamentarischen Arbeiten, sie bedeuten das allmälige
Wicdereinlenken in die normale cvnstitutioncUe Ordnung. Auch die Aussicht,
daß die Finanzeniwürfc Scialojas im Wesentlichen gebilligt werden, ist in der
letzten Zeit gestiegen. Je fester die inneren Zustände, um so mehr wird Italien
der großen auswärtigen Aufgabe gewachsen sein, die ihm möglicherweise in der
nächsten Zeit gestellt sein wird. Und umgekehrt, die Aussicht aus die Wieder¬
aufnahme des Unabhängigkeitskampfs würde rasch die Spuren jener Partci-
zerfahrenheit verwischen, welche die jüngsten Monate so unerquicklich gemacht
hat " .




Die Ultramontanen im südwestlichen Deutschland.

Wenn gebildete Protestanten mit, einander über religiöse Fragen disputiren,
so fällt es ihnen fast nie ein, über anderes als über Glaubenssätze zu streiten.
mag sich ihnen um die lutherische oder zwinglische Auffassung des
Abendmahls, um die Begründung der Lehre von der Dreieinigkeit oder über
Unsterblichkeit der Seele und dergleichen handeln, aber sie disputiren selten über
die Organisation ihrer Kirche, sie setzen von vornherein voraus, daß der Pro¬
testantismus nicht dazu berufen ist, einen Priesterstaat zu bilden. Ganz anders
^se es bei dem gebildeten Katholiken. Er weiß, daß das Dogma in seiner Kirche
letzt Nebensache und ihr weltlicher äußerer Organismus die Hauptsache ist; er
streitet sich nicht über die Lehre der Transsubstantiation oder der unbefleckten
^mpfängniß; er weiß, daß ihm der Glaube daran nicht ernstlich abverlangt
wird, und daß er als guter Sohn der Kirche gilt, wenn er den Organismus
derselben in Frieden läßt. Er kann Republikaner oder Monarchist, radical oder
conservativ sein, wenn er nur den Kirchenstaat im Staate nicht antastet. Die
radicalsten Demagogen sind dem Priesterstande, der, universal wie er ist, die
ganze Welt umfassen möchte, der in Republiken mit den Republikanern und in
den Despotien mit den Despoten herrschen will, ebenso lieb wie diejenigen.
Welche in absolutistischen Staaten die unumschränkte Alleinherrschaft vertheidigen,
wen" es nur in majorizui eeolWia," gloriam dient. Das ist das Wesen des
Ultramontanismus. Nach ihm ist die römische Kirche keine Glaubens-
schule, sondern ein Reich von dieser Welt. Einst sandte sie von ihrem Mittel-


Grenzboten II. 1866. 12

ruhigen Fortgang der parlamentarischen Arbeiten, sie bedeuten das allmälige
Wicdereinlenken in die normale cvnstitutioncUe Ordnung. Auch die Aussicht,
daß die Finanzeniwürfc Scialojas im Wesentlichen gebilligt werden, ist in der
letzten Zeit gestiegen. Je fester die inneren Zustände, um so mehr wird Italien
der großen auswärtigen Aufgabe gewachsen sein, die ihm möglicherweise in der
nächsten Zeit gestellt sein wird. Und umgekehrt, die Aussicht aus die Wieder¬
aufnahme des Unabhängigkeitskampfs würde rasch die Spuren jener Partci-
zerfahrenheit verwischen, welche die jüngsten Monate so unerquicklich gemacht
hat " .




Die Ultramontanen im südwestlichen Deutschland.

Wenn gebildete Protestanten mit, einander über religiöse Fragen disputiren,
so fällt es ihnen fast nie ein, über anderes als über Glaubenssätze zu streiten.
mag sich ihnen um die lutherische oder zwinglische Auffassung des
Abendmahls, um die Begründung der Lehre von der Dreieinigkeit oder über
Unsterblichkeit der Seele und dergleichen handeln, aber sie disputiren selten über
die Organisation ihrer Kirche, sie setzen von vornherein voraus, daß der Pro¬
testantismus nicht dazu berufen ist, einen Priesterstaat zu bilden. Ganz anders
^se es bei dem gebildeten Katholiken. Er weiß, daß das Dogma in seiner Kirche
letzt Nebensache und ihr weltlicher äußerer Organismus die Hauptsache ist; er
streitet sich nicht über die Lehre der Transsubstantiation oder der unbefleckten
^mpfängniß; er weiß, daß ihm der Glaube daran nicht ernstlich abverlangt
wird, und daß er als guter Sohn der Kirche gilt, wenn er den Organismus
derselben in Frieden läßt. Er kann Republikaner oder Monarchist, radical oder
conservativ sein, wenn er nur den Kirchenstaat im Staate nicht antastet. Die
radicalsten Demagogen sind dem Priesterstande, der, universal wie er ist, die
ganze Welt umfassen möchte, der in Republiken mit den Republikanern und in
den Despotien mit den Despoten herrschen will, ebenso lieb wie diejenigen.
Welche in absolutistischen Staaten die unumschränkte Alleinherrschaft vertheidigen,
wen» es nur in majorizui eeolWia,« gloriam dient. Das ist das Wesen des
Ultramontanismus. Nach ihm ist die römische Kirche keine Glaubens-
schule, sondern ein Reich von dieser Welt. Einst sandte sie von ihrem Mittel-


Grenzboten II. 1866. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/103>, abgerufen am 29.04.2024.