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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Wie wenig genau es die Kritik der letzten vorchristlichen Jahrhunderte,
denen wir die Bezeichnung jener Lieder als davidischer verdanken, in solchen
Dingen nahm, sehn wir aus dem Beispiel des Verfassers der Chronik. Derselbe
liebt es, Schilderungen pomphafter Feste zugeben, deren Darstellung er freilich
ganz aus seiner Phantasie entnahm. Um ein solches von David gefeiertes
Fest zu schmücken, legt er den levitischer Sängern ein angeblich davidisches Lied
in den Mund (1. Chron. 16, 8 ff.), welches ganz aus Stellen von späten
Psalmen der beiden letzten Psalmbücher zusammengesetzt ist, die er wohl für
davidisch hielt, obgleich sie in unserm Psalmtexte nicht als solche bezeichnet
sind. Dabei passirte nur noch das Unglück, sogar die Schlußformel, welche
das 4. und 5. Psalmbuch trennt (V. 36 --Pf. 106. 48), als einen integrirenden
Theil eines davidischen Liedes aufzuführen. Ueberhaupt begnügte man sich häusig
nicht damit, blos die Psalmen dem David beizulegen, welche in unserem Text
einen Namen tragen, sondern machte ihn zum Dichter aller Psalmen, auch derer,
welche ausdrücklich andern Männern beigelegt werden. Man wußte auf seltsame
Weise beide Angaben mit einander zu vereinigen; natürlich richtet sich in unsern
Augen ein solches Verfahren selbst. Die griechische Übersetzung erweitert die
Zahl der davidischen Psalme wenigstens noch etwas und schreibt auch einige
andern Verfassern zu, von denen der hebräische Text nichts weiß. Wir sehen
hier überall ein kritikloses Streben, die anonymen Gesänge großen Männern der
Vorzeit beizulegen, und werden daher gegen solche Angaben im höchsten Grade
mißtrauisch.

Wie kam man aber dazu, dem David so viele Lieder beizulegen? Allerdings
ist diese Frage nicht mehr ganz positiv zu beantworten, doch lassen sich immer¬
hin einige gewichtige Momente anführen, die dazu gewirkt haben. David war,
wie wir unten weiter besprechen werden, ein großer Dichter, der auch religiöse
Stoffe behandelte. Die ganze Ordnung des Reiches beruhte auf seinen Ein¬
richtungen, er erschien der Nachwelt im idealen Glänze und als das Prototyp zu
dem dereinst erwarteten Hersteller der Macht und der Reinheit Israels, dem
Messias. Er hatte mit Eifer für den Cultus des einen Nationalgottes gewirkt,
und die äußere Verherrlichung und Befestigung desselben durch den Tcmpelbcul
ward wenigstens dem Plane "ach ihm zugeschrieben. So lag es nahe, den
idealen Dichtcrkönig für den Verfasser vieler religiöser Gesänge unbekannten Ur¬
sprungs zu halten, und in einer gänzlich kritiklosen Zeit ward eine solche Ver¬
muthung leicht zur Gewißheit. Man ging sogar bald weiter, und suchte mit
Benutzung der geschichtlichen Bücher nach der speciellen Veranlassung einiger
Lieder. Auch hierbei ging man ganz oberflächlich zu Werke, indem man einzelne
Worte aufgriff und aus ihnen die ganze Lage erklärte. So klagt der Dichter
Von Psalm 59, daß die Stadt von Feinden umstellt sei: das deutete man
auf Sauls Schergen, welche dem David in seinem Hause auflauerten (1. SaM-


ß

Wie wenig genau es die Kritik der letzten vorchristlichen Jahrhunderte,
denen wir die Bezeichnung jener Lieder als davidischer verdanken, in solchen
Dingen nahm, sehn wir aus dem Beispiel des Verfassers der Chronik. Derselbe
liebt es, Schilderungen pomphafter Feste zugeben, deren Darstellung er freilich
ganz aus seiner Phantasie entnahm. Um ein solches von David gefeiertes
Fest zu schmücken, legt er den levitischer Sängern ein angeblich davidisches Lied
in den Mund (1. Chron. 16, 8 ff.), welches ganz aus Stellen von späten
Psalmen der beiden letzten Psalmbücher zusammengesetzt ist, die er wohl für
davidisch hielt, obgleich sie in unserm Psalmtexte nicht als solche bezeichnet
sind. Dabei passirte nur noch das Unglück, sogar die Schlußformel, welche
das 4. und 5. Psalmbuch trennt (V. 36 —Pf. 106. 48), als einen integrirenden
Theil eines davidischen Liedes aufzuführen. Ueberhaupt begnügte man sich häusig
nicht damit, blos die Psalmen dem David beizulegen, welche in unserem Text
einen Namen tragen, sondern machte ihn zum Dichter aller Psalmen, auch derer,
welche ausdrücklich andern Männern beigelegt werden. Man wußte auf seltsame
Weise beide Angaben mit einander zu vereinigen; natürlich richtet sich in unsern
Augen ein solches Verfahren selbst. Die griechische Übersetzung erweitert die
Zahl der davidischen Psalme wenigstens noch etwas und schreibt auch einige
andern Verfassern zu, von denen der hebräische Text nichts weiß. Wir sehen
hier überall ein kritikloses Streben, die anonymen Gesänge großen Männern der
Vorzeit beizulegen, und werden daher gegen solche Angaben im höchsten Grade
mißtrauisch.

Wie kam man aber dazu, dem David so viele Lieder beizulegen? Allerdings
ist diese Frage nicht mehr ganz positiv zu beantworten, doch lassen sich immer¬
hin einige gewichtige Momente anführen, die dazu gewirkt haben. David war,
wie wir unten weiter besprechen werden, ein großer Dichter, der auch religiöse
Stoffe behandelte. Die ganze Ordnung des Reiches beruhte auf seinen Ein¬
richtungen, er erschien der Nachwelt im idealen Glänze und als das Prototyp zu
dem dereinst erwarteten Hersteller der Macht und der Reinheit Israels, dem
Messias. Er hatte mit Eifer für den Cultus des einen Nationalgottes gewirkt,
und die äußere Verherrlichung und Befestigung desselben durch den Tcmpelbcul
ward wenigstens dem Plane »ach ihm zugeschrieben. So lag es nahe, den
idealen Dichtcrkönig für den Verfasser vieler religiöser Gesänge unbekannten Ur¬
sprungs zu halten, und in einer gänzlich kritiklosen Zeit ward eine solche Ver¬
muthung leicht zur Gewißheit. Man ging sogar bald weiter, und suchte mit
Benutzung der geschichtlichen Bücher nach der speciellen Veranlassung einiger
Lieder. Auch hierbei ging man ganz oberflächlich zu Werke, indem man einzelne
Worte aufgriff und aus ihnen die ganze Lage erklärte. So klagt der Dichter
Von Psalm 59, daß die Stadt von Feinden umstellt sei: das deutete man
auf Sauls Schergen, welche dem David in seinem Hause auflauerten (1. SaM-


ß

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[0142] Wie wenig genau es die Kritik der letzten vorchristlichen Jahrhunderte, denen wir die Bezeichnung jener Lieder als davidischer verdanken, in solchen Dingen nahm, sehn wir aus dem Beispiel des Verfassers der Chronik. Derselbe liebt es, Schilderungen pomphafter Feste zugeben, deren Darstellung er freilich ganz aus seiner Phantasie entnahm. Um ein solches von David gefeiertes Fest zu schmücken, legt er den levitischer Sängern ein angeblich davidisches Lied in den Mund (1. Chron. 16, 8 ff.), welches ganz aus Stellen von späten Psalmen der beiden letzten Psalmbücher zusammengesetzt ist, die er wohl für davidisch hielt, obgleich sie in unserm Psalmtexte nicht als solche bezeichnet sind. Dabei passirte nur noch das Unglück, sogar die Schlußformel, welche das 4. und 5. Psalmbuch trennt (V. 36 —Pf. 106. 48), als einen integrirenden Theil eines davidischen Liedes aufzuführen. Ueberhaupt begnügte man sich häusig nicht damit, blos die Psalmen dem David beizulegen, welche in unserem Text einen Namen tragen, sondern machte ihn zum Dichter aller Psalmen, auch derer, welche ausdrücklich andern Männern beigelegt werden. Man wußte auf seltsame Weise beide Angaben mit einander zu vereinigen; natürlich richtet sich in unsern Augen ein solches Verfahren selbst. Die griechische Übersetzung erweitert die Zahl der davidischen Psalme wenigstens noch etwas und schreibt auch einige andern Verfassern zu, von denen der hebräische Text nichts weiß. Wir sehen hier überall ein kritikloses Streben, die anonymen Gesänge großen Männern der Vorzeit beizulegen, und werden daher gegen solche Angaben im höchsten Grade mißtrauisch. Wie kam man aber dazu, dem David so viele Lieder beizulegen? Allerdings ist diese Frage nicht mehr ganz positiv zu beantworten, doch lassen sich immer¬ hin einige gewichtige Momente anführen, die dazu gewirkt haben. David war, wie wir unten weiter besprechen werden, ein großer Dichter, der auch religiöse Stoffe behandelte. Die ganze Ordnung des Reiches beruhte auf seinen Ein¬ richtungen, er erschien der Nachwelt im idealen Glänze und als das Prototyp zu dem dereinst erwarteten Hersteller der Macht und der Reinheit Israels, dem Messias. Er hatte mit Eifer für den Cultus des einen Nationalgottes gewirkt, und die äußere Verherrlichung und Befestigung desselben durch den Tcmpelbcul ward wenigstens dem Plane »ach ihm zugeschrieben. So lag es nahe, den idealen Dichtcrkönig für den Verfasser vieler religiöser Gesänge unbekannten Ur¬ sprungs zu halten, und in einer gänzlich kritiklosen Zeit ward eine solche Ver¬ muthung leicht zur Gewißheit. Man ging sogar bald weiter, und suchte mit Benutzung der geschichtlichen Bücher nach der speciellen Veranlassung einiger Lieder. Auch hierbei ging man ganz oberflächlich zu Werke, indem man einzelne Worte aufgriff und aus ihnen die ganze Lage erklärte. So klagt der Dichter Von Psalm 59, daß die Stadt von Feinden umstellt sei: das deutete man auf Sauls Schergen, welche dem David in seinem Hause auflauerten (1. SaM- ß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/142>, abgerufen am 29.04.2024.