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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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richtung des Königthums, namentlich des judäischcn, einen starken Abschnitt
und zwar in dieser um so mehr, als der erste judäische König selbst ein großer
Dichter war. Freilich die Bedeutung, welche die jüdische Ueberlieferung seit
alten Zeiten dem David auf diesem Gebiete beilegt, können wir ihm nicht zu-
gestehn. Ihr ist er der hebräische Lyriker Kat' "zxoelrvll und sie weist ihm alle
herrenlosen religiösen Lieder bis ins makkabäische Zeitalter herunter zu. Mit
dieser Ansicht ist es nicht schwer sich abzufinden, wenn man überhaupt etwas
aus Vernunftgründe giebt. Bei einer großen Reihe von Psalmen, welche die
Ueberlieferung dem David beilegt, läßt sich leicht positiv nachweisen, daß sie
'hin nicht angehören können. In mehrern ist z. B. in einer Weise von dem
regierenden Könige die Rede, daß sie unmöglich von jenem sein können (so
Ps. 20; 21; 61). In vielen wird das nationale Elend späterer Zeiten beklagt,
von dem David nichts ahnen konnte; ein besonders deutliches Beispiel ist hier
Ps. 60, der nach der Ueberschrift auf die größten Siege Davids gehen soll,
während er in Wirklichkeit bitter klagt, daß die Partei des Sängers beständig
geschlagen würde. Aehnlich ist es mit den Gedichten, die Davids Zeitgenossen
Asaf und seinem Sohn Salomo (Ps. 72 und 127) zugeschrieben werden; in
einem Liede jenes ist z. B. mit deutlichen Worten von der Verwüstung des
Tempels die Rede (Ps. 94), so daß einige ältere Erklärer sich genöthigt sahen,
den Psalm als Prophezeiung Asafs auf die Zerstörungen des Nebukadnezar
oder Antiochus Epiphanes zu beziehn. Man sieht, in sehr vielen Fällen ist
die in den Ueberschriften ausgedrückte Ueberlieferung hinsichtlich des Verfassers
entschieden falsch, und damit verliert sie für alle jede bestimmte Beweiskraft.
Um die davidische Abkunft eines Psalmes aufrecht zu erhalten, muß jetzt der
Positive Beweis der Echtheit geführt werde"; es genügt nicht, daß sich die
Unechtheit nicht entschieden nachweisen läßt.

Uebrigens führte diese Ueberlieferung zu einer ganzen Reihe von Wider¬
sprüchen. Auf der einen Seite soll David die allerverschiedenartigsten Lieder
gedichtet haben, welche die Sprache und Dichtweise fast eines Jahrtausendes dar¬
stellen; auf der andern Seite soll er so wenig Schöpferkraft gehabt haben, daß
er sich beständig in denselben Gedanken und Klagen ergangen hätte, denn sehr
viele Psalmen sind wenig orginell und wiederholen nur die schon bekannten
Sätze mit geringer oder gar keiner Abänderung.

Und nun bedenke man, wie wenig die jammernden Klagen der unschuldig
Leidenden oder die vom spätern gesetzlichen Standpunkt aus reflectirenden
Spruchlieder, wie sie uns der Psalter in großer Zahl bietet, zu dem thatkräftigen,
rücksichtslosen Charakter des Kriegshelden passen, von dessen blutbefleckten Händen
doch noch die geschichtliche Ueberlieferung weiß, die sonst den mächtigen König
^ sehr feiert. Ferner bedenke man die große Verschiedenheit zwischen den
meisten Psalmen und den wenigen, unzweifelhaft echten Liedern Davids!


richtung des Königthums, namentlich des judäischcn, einen starken Abschnitt
und zwar in dieser um so mehr, als der erste judäische König selbst ein großer
Dichter war. Freilich die Bedeutung, welche die jüdische Ueberlieferung seit
alten Zeiten dem David auf diesem Gebiete beilegt, können wir ihm nicht zu-
gestehn. Ihr ist er der hebräische Lyriker Kat' «zxoelrvll und sie weist ihm alle
herrenlosen religiösen Lieder bis ins makkabäische Zeitalter herunter zu. Mit
dieser Ansicht ist es nicht schwer sich abzufinden, wenn man überhaupt etwas
aus Vernunftgründe giebt. Bei einer großen Reihe von Psalmen, welche die
Ueberlieferung dem David beilegt, läßt sich leicht positiv nachweisen, daß sie
'hin nicht angehören können. In mehrern ist z. B. in einer Weise von dem
regierenden Könige die Rede, daß sie unmöglich von jenem sein können (so
Ps. 20; 21; 61). In vielen wird das nationale Elend späterer Zeiten beklagt,
von dem David nichts ahnen konnte; ein besonders deutliches Beispiel ist hier
Ps. 60, der nach der Ueberschrift auf die größten Siege Davids gehen soll,
während er in Wirklichkeit bitter klagt, daß die Partei des Sängers beständig
geschlagen würde. Aehnlich ist es mit den Gedichten, die Davids Zeitgenossen
Asaf und seinem Sohn Salomo (Ps. 72 und 127) zugeschrieben werden; in
einem Liede jenes ist z. B. mit deutlichen Worten von der Verwüstung des
Tempels die Rede (Ps. 94), so daß einige ältere Erklärer sich genöthigt sahen,
den Psalm als Prophezeiung Asafs auf die Zerstörungen des Nebukadnezar
oder Antiochus Epiphanes zu beziehn. Man sieht, in sehr vielen Fällen ist
die in den Ueberschriften ausgedrückte Ueberlieferung hinsichtlich des Verfassers
entschieden falsch, und damit verliert sie für alle jede bestimmte Beweiskraft.
Um die davidische Abkunft eines Psalmes aufrecht zu erhalten, muß jetzt der
Positive Beweis der Echtheit geführt werde»; es genügt nicht, daß sich die
Unechtheit nicht entschieden nachweisen läßt.

Uebrigens führte diese Ueberlieferung zu einer ganzen Reihe von Wider¬
sprüchen. Auf der einen Seite soll David die allerverschiedenartigsten Lieder
gedichtet haben, welche die Sprache und Dichtweise fast eines Jahrtausendes dar¬
stellen; auf der andern Seite soll er so wenig Schöpferkraft gehabt haben, daß
er sich beständig in denselben Gedanken und Klagen ergangen hätte, denn sehr
viele Psalmen sind wenig orginell und wiederholen nur die schon bekannten
Sätze mit geringer oder gar keiner Abänderung.

Und nun bedenke man, wie wenig die jammernden Klagen der unschuldig
Leidenden oder die vom spätern gesetzlichen Standpunkt aus reflectirenden
Spruchlieder, wie sie uns der Psalter in großer Zahl bietet, zu dem thatkräftigen,
rücksichtslosen Charakter des Kriegshelden passen, von dessen blutbefleckten Händen
doch noch die geschichtliche Ueberlieferung weiß, die sonst den mächtigen König
^ sehr feiert. Ferner bedenke man die große Verschiedenheit zwischen den
meisten Psalmen und den wenigen, unzweifelhaft echten Liedern Davids!


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[0141] richtung des Königthums, namentlich des judäischcn, einen starken Abschnitt und zwar in dieser um so mehr, als der erste judäische König selbst ein großer Dichter war. Freilich die Bedeutung, welche die jüdische Ueberlieferung seit alten Zeiten dem David auf diesem Gebiete beilegt, können wir ihm nicht zu- gestehn. Ihr ist er der hebräische Lyriker Kat' «zxoelrvll und sie weist ihm alle herrenlosen religiösen Lieder bis ins makkabäische Zeitalter herunter zu. Mit dieser Ansicht ist es nicht schwer sich abzufinden, wenn man überhaupt etwas aus Vernunftgründe giebt. Bei einer großen Reihe von Psalmen, welche die Ueberlieferung dem David beilegt, läßt sich leicht positiv nachweisen, daß sie 'hin nicht angehören können. In mehrern ist z. B. in einer Weise von dem regierenden Könige die Rede, daß sie unmöglich von jenem sein können (so Ps. 20; 21; 61). In vielen wird das nationale Elend späterer Zeiten beklagt, von dem David nichts ahnen konnte; ein besonders deutliches Beispiel ist hier Ps. 60, der nach der Ueberschrift auf die größten Siege Davids gehen soll, während er in Wirklichkeit bitter klagt, daß die Partei des Sängers beständig geschlagen würde. Aehnlich ist es mit den Gedichten, die Davids Zeitgenossen Asaf und seinem Sohn Salomo (Ps. 72 und 127) zugeschrieben werden; in einem Liede jenes ist z. B. mit deutlichen Worten von der Verwüstung des Tempels die Rede (Ps. 94), so daß einige ältere Erklärer sich genöthigt sahen, den Psalm als Prophezeiung Asafs auf die Zerstörungen des Nebukadnezar oder Antiochus Epiphanes zu beziehn. Man sieht, in sehr vielen Fällen ist die in den Ueberschriften ausgedrückte Ueberlieferung hinsichtlich des Verfassers entschieden falsch, und damit verliert sie für alle jede bestimmte Beweiskraft. Um die davidische Abkunft eines Psalmes aufrecht zu erhalten, muß jetzt der Positive Beweis der Echtheit geführt werde»; es genügt nicht, daß sich die Unechtheit nicht entschieden nachweisen läßt. Uebrigens führte diese Ueberlieferung zu einer ganzen Reihe von Wider¬ sprüchen. Auf der einen Seite soll David die allerverschiedenartigsten Lieder gedichtet haben, welche die Sprache und Dichtweise fast eines Jahrtausendes dar¬ stellen; auf der andern Seite soll er so wenig Schöpferkraft gehabt haben, daß er sich beständig in denselben Gedanken und Klagen ergangen hätte, denn sehr viele Psalmen sind wenig orginell und wiederholen nur die schon bekannten Sätze mit geringer oder gar keiner Abänderung. Und nun bedenke man, wie wenig die jammernden Klagen der unschuldig Leidenden oder die vom spätern gesetzlichen Standpunkt aus reflectirenden Spruchlieder, wie sie uns der Psalter in großer Zahl bietet, zu dem thatkräftigen, rücksichtslosen Charakter des Kriegshelden passen, von dessen blutbefleckten Händen doch noch die geschichtliche Ueberlieferung weiß, die sonst den mächtigen König ^ sehr feiert. Ferner bedenke man die große Verschiedenheit zwischen den meisten Psalmen und den wenigen, unzweifelhaft echten Liedern Davids!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/141>, abgerufen am 16.05.2024.