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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Die neuen Aussichten aus Bundesreform.

Eine Woche voll großer Ueberraschungen ist vergangen, die Kriegsfrage
ist wenigstens für den Augenblick in den Hintergrund gedrängt durch einen
neuen Erisapfel, welchen der preußische Ministerpräsident in das Land ge¬
worfen hat, durch die Forderung einer Reform an Haupt und Gliedern des
deutschen Bundes.

Man läßt dem Grafen Bismarck wohl nicht Recht widerfahren, wenn man
diese Forderung für einen plötzlichen Einfall hält, durch welchen er sich aus einer
Lage herausheben wollte, die voll von Verlegenheiten ist, selbst auf die Ge¬
fahr, die mißlungenen Anläufe seiner Politik durch einen neuen zu Vermehrer.
Es ist vielmehr Grund anzunehmen, daß das Bundesrcformproject ein alter
Lieblingsplan desselben ist. Wenigstens wurde im Jahre 1862 erzählt, daß
H. v. Bismarck seinem König ein ähnliches Project vorgelegt habe, und zwar
damals mit bestimmten Hintergedanken für die innern preußischen Verhältnisse.
Mit dem preußischen Landtag sei nicht zu regieren, er müsse obsolet werden
durch ein allgemeines deutsches Parlament unter preußischem Schutz; weit gro߬
artiger und würdiger sei die Haltung der Nationalversammlung in der Pauls¬
kirche gewesen. Diese Versammlung müsse man zusammenrufen und durch sie
die Landtage der einzelnen Landschaften aufheben lassen, die daneben mit gleicher
Competenz eine Ungeheuerlichkeit wären. Erweise sich dann das neue Parlament
als unpraktisch und lebensunfähig, so sei man wenigstens das innere drückende
Verhältniß los und habe freie Hand. Wie erzählt wurde, wies der König
von Preußen dieses Project von der Hand, und reiste zur Zusammenkunft von
Baden.

Es ist nicht unnütz, heut an die Gedanken zu erinnern, welche damals dem
jetzigen Ministerpräsidenten zugetraut wurden. Wahrscheinlich hat er seitdem
andere Ansichten über die Schwierigkeit erhalten. eine Landesverfassung zu
abvliren; auch ist sein Interesse an der Nationalversammlung zuverlässig so
aufrichtig, wie dem Erwachsenen die warme Empfindung für eine geschwun¬
dene Kinderliebe. Jenes Parlament ist ihm doch eine bedeutende Erinnerung.
So viele hochgebildete Männer, so warmer Patriotismus, gewandtes und
ritterliches Turnier der Reden, und im letzten Grunde doch den Macht¬
habern so wenig nacktheilig! Aber wir meinen, er würde bei einer neuen
Nationalversammlung, selbst wenn sie unter seinen Auspicien zu Stande kommt,
die besondere Erfahrung machen, daß die Deutschen seit dem Jahre 1848 --


Die neuen Aussichten aus Bundesreform.

Eine Woche voll großer Ueberraschungen ist vergangen, die Kriegsfrage
ist wenigstens für den Augenblick in den Hintergrund gedrängt durch einen
neuen Erisapfel, welchen der preußische Ministerpräsident in das Land ge¬
worfen hat, durch die Forderung einer Reform an Haupt und Gliedern des
deutschen Bundes.

Man läßt dem Grafen Bismarck wohl nicht Recht widerfahren, wenn man
diese Forderung für einen plötzlichen Einfall hält, durch welchen er sich aus einer
Lage herausheben wollte, die voll von Verlegenheiten ist, selbst auf die Ge¬
fahr, die mißlungenen Anläufe seiner Politik durch einen neuen zu Vermehrer.
Es ist vielmehr Grund anzunehmen, daß das Bundesrcformproject ein alter
Lieblingsplan desselben ist. Wenigstens wurde im Jahre 1862 erzählt, daß
H. v. Bismarck seinem König ein ähnliches Project vorgelegt habe, und zwar
damals mit bestimmten Hintergedanken für die innern preußischen Verhältnisse.
Mit dem preußischen Landtag sei nicht zu regieren, er müsse obsolet werden
durch ein allgemeines deutsches Parlament unter preußischem Schutz; weit gro߬
artiger und würdiger sei die Haltung der Nationalversammlung in der Pauls¬
kirche gewesen. Diese Versammlung müsse man zusammenrufen und durch sie
die Landtage der einzelnen Landschaften aufheben lassen, die daneben mit gleicher
Competenz eine Ungeheuerlichkeit wären. Erweise sich dann das neue Parlament
als unpraktisch und lebensunfähig, so sei man wenigstens das innere drückende
Verhältniß los und habe freie Hand. Wie erzählt wurde, wies der König
von Preußen dieses Project von der Hand, und reiste zur Zusammenkunft von
Baden.

Es ist nicht unnütz, heut an die Gedanken zu erinnern, welche damals dem
jetzigen Ministerpräsidenten zugetraut wurden. Wahrscheinlich hat er seitdem
andere Ansichten über die Schwierigkeit erhalten. eine Landesverfassung zu
abvliren; auch ist sein Interesse an der Nationalversammlung zuverlässig so
aufrichtig, wie dem Erwachsenen die warme Empfindung für eine geschwun¬
dene Kinderliebe. Jenes Parlament ist ihm doch eine bedeutende Erinnerung.
So viele hochgebildete Männer, so warmer Patriotismus, gewandtes und
ritterliches Turnier der Reden, und im letzten Grunde doch den Macht¬
habern so wenig nacktheilig! Aber wir meinen, er würde bei einer neuen
Nationalversammlung, selbst wenn sie unter seinen Auspicien zu Stande kommt,
die besondere Erfahrung machen, daß die Deutschen seit dem Jahre 1848 —


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[0172] Die neuen Aussichten aus Bundesreform. Eine Woche voll großer Ueberraschungen ist vergangen, die Kriegsfrage ist wenigstens für den Augenblick in den Hintergrund gedrängt durch einen neuen Erisapfel, welchen der preußische Ministerpräsident in das Land ge¬ worfen hat, durch die Forderung einer Reform an Haupt und Gliedern des deutschen Bundes. Man läßt dem Grafen Bismarck wohl nicht Recht widerfahren, wenn man diese Forderung für einen plötzlichen Einfall hält, durch welchen er sich aus einer Lage herausheben wollte, die voll von Verlegenheiten ist, selbst auf die Ge¬ fahr, die mißlungenen Anläufe seiner Politik durch einen neuen zu Vermehrer. Es ist vielmehr Grund anzunehmen, daß das Bundesrcformproject ein alter Lieblingsplan desselben ist. Wenigstens wurde im Jahre 1862 erzählt, daß H. v. Bismarck seinem König ein ähnliches Project vorgelegt habe, und zwar damals mit bestimmten Hintergedanken für die innern preußischen Verhältnisse. Mit dem preußischen Landtag sei nicht zu regieren, er müsse obsolet werden durch ein allgemeines deutsches Parlament unter preußischem Schutz; weit gro߬ artiger und würdiger sei die Haltung der Nationalversammlung in der Pauls¬ kirche gewesen. Diese Versammlung müsse man zusammenrufen und durch sie die Landtage der einzelnen Landschaften aufheben lassen, die daneben mit gleicher Competenz eine Ungeheuerlichkeit wären. Erweise sich dann das neue Parlament als unpraktisch und lebensunfähig, so sei man wenigstens das innere drückende Verhältniß los und habe freie Hand. Wie erzählt wurde, wies der König von Preußen dieses Project von der Hand, und reiste zur Zusammenkunft von Baden. Es ist nicht unnütz, heut an die Gedanken zu erinnern, welche damals dem jetzigen Ministerpräsidenten zugetraut wurden. Wahrscheinlich hat er seitdem andere Ansichten über die Schwierigkeit erhalten. eine Landesverfassung zu abvliren; auch ist sein Interesse an der Nationalversammlung zuverlässig so aufrichtig, wie dem Erwachsenen die warme Empfindung für eine geschwun¬ dene Kinderliebe. Jenes Parlament ist ihm doch eine bedeutende Erinnerung. So viele hochgebildete Männer, so warmer Patriotismus, gewandtes und ritterliches Turnier der Reden, und im letzten Grunde doch den Macht¬ habern so wenig nacktheilig! Aber wir meinen, er würde bei einer neuen Nationalversammlung, selbst wenn sie unter seinen Auspicien zu Stande kommt, die besondere Erfahrung machen, daß die Deutschen seit dem Jahre 1848 —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/172>, abgerufen am 29.04.2024.