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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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in seinem Sinne -- sehr viel schlechtere Politiker geworden sind. Wenigstens
dürfte dem Parteistandpunkt der Conservativen Herr v. Bennigsen für einen
gefährlichen Nachfolger Heinrichs von Gagern gelten, auch das wäre in den
Augen unserer Gegner kein Fortschritt, daß die Herren vom Nationalverein
und Reformverein jetzt die Bänke des Centrums und der Rechten besetzen wür¬
den. Aber was das Schlimmste wäre, dem Ministerpräsidenten Preußens wird
jede Versammlung, mit welcher er über reale Interessen und praktisch ausführ¬
bare Ideen einen Kompromiß zu schließen hat, lästig und zuletzt unerträglich
dünken, und er wird durch keinen Wahlmodus und durch keine Vorlagen einen
parlamentarischen Körper in Deutschland zusammenbringen, welcher seinen Pro-
jecten mit anderer Stimmung entgegenkommt, als mit dem größten Mißtrauen
und mit scharfer Kritik.

Seit acht Tagen regt der preußische Antrag beim Bunde die öffentliche
Meinung auf. aber noch fehlt uns allen das Verständniß desselben. Was wir
bis jetzt wissen, leidet an dem Uebelstand, daß es zur Zeit aussieht wie ein
unfertiger und verworrener Einfall, dessen eine Bestimmung die Ausführung
der andern verhindert. Das Parlament soll nach liberalsten (???) Wahlmodus an
einem Tage zusammentreten, der in nicht ferner Zukunft liegen soll und den
die Regierungen zu vereinbaren haben, bevor sie sich über die dem Parlament
zu machenden Borlagen verständigen. Dann sollen und müssen sie diese
Borlagen bis zur Eröffnung des Parlaments vereinbart haben. Aber diese
Vorlagen sollen auch nicht durch freie Berathungen der Regierungen festgestellt
werden, sondern Preußen will die Grundzüge derselben einbringen. Die Termin¬
bestimmung für Eröffnung des Parlamentes soll also doch wohl ein leises
Zwangsmittel sein, um die Regierungen zur Fügsamkeit gegen die preußischen
Vorschläge zu bringen. Offenbar ein unwirksames Mittel. Es ist ein neuer
Weg, in dem viel deutsche Gemüthlichkrit liegt, wenn man in einer Frage, welche
die Lebensinteressen jeder Negierung einschließt, welche die heftigsten Leidenschaften
aufregt, die Verhandlungen dadurch abkürzt, daß man zuerst den Termin fest¬
setzt, bis zu welchem Parteiung und Particularismus und chronisch gewordene
Unbotmäßigkeit gänzlich aus dem Wege geräumt sein muß. Wenn die Regie¬
rungen nun nicht fertig werden? und wenn sie sich, was nicht unnatürlich wäre,
höflich sträuben, das Parlament zusammenzuberufen. bevor ihnen selbst klar
geworden ist, was mit dem Parlament und Deutschland werden soll, wie dann?

Dann müßte ja wohl Preußen sie zwingen, und es müßte die Macht da¬
zu haben, nicht nur an Soldaten, sondern auch an populären Ideen.

Es würde also zuletzt auf den Inhalt des preußischen Projects ankommen.
Was davon durch die officiöse Presse bis heute ausgeplaudert ist, klingt so
abenteuerlich, daß wir höflich annehmen, die Berichterstatter sind übel informire.


in seinem Sinne — sehr viel schlechtere Politiker geworden sind. Wenigstens
dürfte dem Parteistandpunkt der Conservativen Herr v. Bennigsen für einen
gefährlichen Nachfolger Heinrichs von Gagern gelten, auch das wäre in den
Augen unserer Gegner kein Fortschritt, daß die Herren vom Nationalverein
und Reformverein jetzt die Bänke des Centrums und der Rechten besetzen wür¬
den. Aber was das Schlimmste wäre, dem Ministerpräsidenten Preußens wird
jede Versammlung, mit welcher er über reale Interessen und praktisch ausführ¬
bare Ideen einen Kompromiß zu schließen hat, lästig und zuletzt unerträglich
dünken, und er wird durch keinen Wahlmodus und durch keine Vorlagen einen
parlamentarischen Körper in Deutschland zusammenbringen, welcher seinen Pro-
jecten mit anderer Stimmung entgegenkommt, als mit dem größten Mißtrauen
und mit scharfer Kritik.

Seit acht Tagen regt der preußische Antrag beim Bunde die öffentliche
Meinung auf. aber noch fehlt uns allen das Verständniß desselben. Was wir
bis jetzt wissen, leidet an dem Uebelstand, daß es zur Zeit aussieht wie ein
unfertiger und verworrener Einfall, dessen eine Bestimmung die Ausführung
der andern verhindert. Das Parlament soll nach liberalsten (???) Wahlmodus an
einem Tage zusammentreten, der in nicht ferner Zukunft liegen soll und den
die Regierungen zu vereinbaren haben, bevor sie sich über die dem Parlament
zu machenden Borlagen verständigen. Dann sollen und müssen sie diese
Borlagen bis zur Eröffnung des Parlaments vereinbart haben. Aber diese
Vorlagen sollen auch nicht durch freie Berathungen der Regierungen festgestellt
werden, sondern Preußen will die Grundzüge derselben einbringen. Die Termin¬
bestimmung für Eröffnung des Parlamentes soll also doch wohl ein leises
Zwangsmittel sein, um die Regierungen zur Fügsamkeit gegen die preußischen
Vorschläge zu bringen. Offenbar ein unwirksames Mittel. Es ist ein neuer
Weg, in dem viel deutsche Gemüthlichkrit liegt, wenn man in einer Frage, welche
die Lebensinteressen jeder Negierung einschließt, welche die heftigsten Leidenschaften
aufregt, die Verhandlungen dadurch abkürzt, daß man zuerst den Termin fest¬
setzt, bis zu welchem Parteiung und Particularismus und chronisch gewordene
Unbotmäßigkeit gänzlich aus dem Wege geräumt sein muß. Wenn die Regie¬
rungen nun nicht fertig werden? und wenn sie sich, was nicht unnatürlich wäre,
höflich sträuben, das Parlament zusammenzuberufen. bevor ihnen selbst klar
geworden ist, was mit dem Parlament und Deutschland werden soll, wie dann?

Dann müßte ja wohl Preußen sie zwingen, und es müßte die Macht da¬
zu haben, nicht nur an Soldaten, sondern auch an populären Ideen.

Es würde also zuletzt auf den Inhalt des preußischen Projects ankommen.
Was davon durch die officiöse Presse bis heute ausgeplaudert ist, klingt so
abenteuerlich, daß wir höflich annehmen, die Berichterstatter sind übel informire.


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[0173] in seinem Sinne — sehr viel schlechtere Politiker geworden sind. Wenigstens dürfte dem Parteistandpunkt der Conservativen Herr v. Bennigsen für einen gefährlichen Nachfolger Heinrichs von Gagern gelten, auch das wäre in den Augen unserer Gegner kein Fortschritt, daß die Herren vom Nationalverein und Reformverein jetzt die Bänke des Centrums und der Rechten besetzen wür¬ den. Aber was das Schlimmste wäre, dem Ministerpräsidenten Preußens wird jede Versammlung, mit welcher er über reale Interessen und praktisch ausführ¬ bare Ideen einen Kompromiß zu schließen hat, lästig und zuletzt unerträglich dünken, und er wird durch keinen Wahlmodus und durch keine Vorlagen einen parlamentarischen Körper in Deutschland zusammenbringen, welcher seinen Pro- jecten mit anderer Stimmung entgegenkommt, als mit dem größten Mißtrauen und mit scharfer Kritik. Seit acht Tagen regt der preußische Antrag beim Bunde die öffentliche Meinung auf. aber noch fehlt uns allen das Verständniß desselben. Was wir bis jetzt wissen, leidet an dem Uebelstand, daß es zur Zeit aussieht wie ein unfertiger und verworrener Einfall, dessen eine Bestimmung die Ausführung der andern verhindert. Das Parlament soll nach liberalsten (???) Wahlmodus an einem Tage zusammentreten, der in nicht ferner Zukunft liegen soll und den die Regierungen zu vereinbaren haben, bevor sie sich über die dem Parlament zu machenden Borlagen verständigen. Dann sollen und müssen sie diese Borlagen bis zur Eröffnung des Parlaments vereinbart haben. Aber diese Vorlagen sollen auch nicht durch freie Berathungen der Regierungen festgestellt werden, sondern Preußen will die Grundzüge derselben einbringen. Die Termin¬ bestimmung für Eröffnung des Parlamentes soll also doch wohl ein leises Zwangsmittel sein, um die Regierungen zur Fügsamkeit gegen die preußischen Vorschläge zu bringen. Offenbar ein unwirksames Mittel. Es ist ein neuer Weg, in dem viel deutsche Gemüthlichkrit liegt, wenn man in einer Frage, welche die Lebensinteressen jeder Negierung einschließt, welche die heftigsten Leidenschaften aufregt, die Verhandlungen dadurch abkürzt, daß man zuerst den Termin fest¬ setzt, bis zu welchem Parteiung und Particularismus und chronisch gewordene Unbotmäßigkeit gänzlich aus dem Wege geräumt sein muß. Wenn die Regie¬ rungen nun nicht fertig werden? und wenn sie sich, was nicht unnatürlich wäre, höflich sträuben, das Parlament zusammenzuberufen. bevor ihnen selbst klar geworden ist, was mit dem Parlament und Deutschland werden soll, wie dann? Dann müßte ja wohl Preußen sie zwingen, und es müßte die Macht da¬ zu haben, nicht nur an Soldaten, sondern auch an populären Ideen. Es würde also zuletzt auf den Inhalt des preußischen Projects ankommen. Was davon durch die officiöse Presse bis heute ausgeplaudert ist, klingt so abenteuerlich, daß wir höflich annehmen, die Berichterstatter sind übel informire.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/173>, abgerufen am 16.05.2024.