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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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gegen Westen erhielte. Es ist dieser höchst unglückliche Gedanke bei den Friedens-
Verhandlungen auf dem wiener Kongreß von Neuem discutirt und theilweise
erfüllt worden. -- Gneisenau erklärte sich auch noch für die Idee, den Engländern
die Niederlande als einen Brückenkopf auf dem Festlande zu geben. -- Es
müssen diese Pläne mehr als Anregung zu jener Legionsbildung, denn als
Positive Ansichten Gneisenaus angesehen werden. Der Friede Oestreichs mit
Napoleon aber und das vollständige Scheitern der Unternehmung der Eng¬
länder nach der Insel Walchern machten fernere Unternehmungen in Deutschland
unmöglich, und so verließ Gneisenau am Ende des Jahres England. Er wandte
sich nach Schweden, um über Rußland heimzukehren; ob er hierbei auch noch
besondere Pläne verfolgte, ist nicht zu erkennen, jedenfalls mißlangen sie. In
einem spätern Briefe schreibt Gneisenau: "In England kümmert man sich nicht
um die feigherzigen Deutschen, und in Rußland opfert man uns willig um jeden
Preis."

Am 14. Abends traf Gneisenau wieder in Königsberg ein und fand hier
durch Scharnhorst vermittelt eine Cabinetsordre. welche ihm die Erbpacht einer
Domäne unter sehr vortheilhaften Bedingungen anwies, um ihn der nächsten
Sorgen zu entheben; wie er sich denn überhaupt in den nächsten Jahren noch
mancher Beweise der königlichen Gnade in seinen finanziellen Nöthen zu er¬
freuen hatte. -- Gneisenau ging über Berlin zu seiner. Familie.




Vermischte Literatur.
Geschichte der Griechen von Oskar Jäger. Gütersloh, Verlag von
Bertclmann. 1866. 644 S. 8.

Wie des Verfassers Geschichte der Römer für ein nicht gelehrtes Publikum be¬
stimmt, ruht diese Schrift doch auf selbständigem Studium der Quellen, dem sich
fleißige Benutzung der über den Gegenstand existirenden Hauptwerke, namentlich Grotes
bedeutender Arbeit angeschlossen hat, doch ohne daß der Verfasser etwaige abweichende Ur¬
theile dem berühmten Autor unterordnete, wie er denn in seiner Ansicht von dem
athenischen Volke zur Zeit des Demosthenes von der Ansicht vieler seiner Vorgänger
(wir glauben mit Recht) abweicht, und wie er weiterhin in seiner Auffassung
Alexanders des Großen (wir meinen mit Unrecht) andrer Meinung als Grote ist.
Der Plan des Ganzen ist geschickt angelegt, die Darstellung anschaulich, die Sprache
lebendig und würdig. Besonderer Fleiß ist auf die culturhistorischen Abschnitte ver¬
wendet, und auch die Literatur ist sorgfältig charakterisirt. Vortrefflich ist Sokrates
geschildert. Wunderlich dagegen ist die Hypothese, nach welcher "die Nischen und die
Odysseuslicder nicht allein schon durch den ersten Dichter zu einheitlichen Ganzen,
zu Gedichten, geworden. sondern auch frühzeitig der bloßen Gcdächtnißfortpflanzung
entrissen und mit irgendwelchen äußern Mitteln fixirt worden seien." -- "Die Schreib¬
kunst allerdings," so sagt der Verfasser, "die Bezeichnung der Laute und der aus
ihnen zusammengesetzten Wörter durch allgemein anerkannte Zeichen, war unbekannt.
Aber eines Mittels, Vorstellungen äußerlich zu fixiren und so das flüchtige Wort
wenigstens einigermaßen festzuhalten, entbehrte man dennoch nicht. Eine Stelle


gegen Westen erhielte. Es ist dieser höchst unglückliche Gedanke bei den Friedens-
Verhandlungen auf dem wiener Kongreß von Neuem discutirt und theilweise
erfüllt worden. — Gneisenau erklärte sich auch noch für die Idee, den Engländern
die Niederlande als einen Brückenkopf auf dem Festlande zu geben. — Es
müssen diese Pläne mehr als Anregung zu jener Legionsbildung, denn als
Positive Ansichten Gneisenaus angesehen werden. Der Friede Oestreichs mit
Napoleon aber und das vollständige Scheitern der Unternehmung der Eng¬
länder nach der Insel Walchern machten fernere Unternehmungen in Deutschland
unmöglich, und so verließ Gneisenau am Ende des Jahres England. Er wandte
sich nach Schweden, um über Rußland heimzukehren; ob er hierbei auch noch
besondere Pläne verfolgte, ist nicht zu erkennen, jedenfalls mißlangen sie. In
einem spätern Briefe schreibt Gneisenau: „In England kümmert man sich nicht
um die feigherzigen Deutschen, und in Rußland opfert man uns willig um jeden
Preis."

Am 14. Abends traf Gneisenau wieder in Königsberg ein und fand hier
durch Scharnhorst vermittelt eine Cabinetsordre. welche ihm die Erbpacht einer
Domäne unter sehr vortheilhaften Bedingungen anwies, um ihn der nächsten
Sorgen zu entheben; wie er sich denn überhaupt in den nächsten Jahren noch
mancher Beweise der königlichen Gnade in seinen finanziellen Nöthen zu er¬
freuen hatte. — Gneisenau ging über Berlin zu seiner. Familie.




Vermischte Literatur.
Geschichte der Griechen von Oskar Jäger. Gütersloh, Verlag von
Bertclmann. 1866. 644 S. 8.

Wie des Verfassers Geschichte der Römer für ein nicht gelehrtes Publikum be¬
stimmt, ruht diese Schrift doch auf selbständigem Studium der Quellen, dem sich
fleißige Benutzung der über den Gegenstand existirenden Hauptwerke, namentlich Grotes
bedeutender Arbeit angeschlossen hat, doch ohne daß der Verfasser etwaige abweichende Ur¬
theile dem berühmten Autor unterordnete, wie er denn in seiner Ansicht von dem
athenischen Volke zur Zeit des Demosthenes von der Ansicht vieler seiner Vorgänger
(wir glauben mit Recht) abweicht, und wie er weiterhin in seiner Auffassung
Alexanders des Großen (wir meinen mit Unrecht) andrer Meinung als Grote ist.
Der Plan des Ganzen ist geschickt angelegt, die Darstellung anschaulich, die Sprache
lebendig und würdig. Besonderer Fleiß ist auf die culturhistorischen Abschnitte ver¬
wendet, und auch die Literatur ist sorgfältig charakterisirt. Vortrefflich ist Sokrates
geschildert. Wunderlich dagegen ist die Hypothese, nach welcher „die Nischen und die
Odysseuslicder nicht allein schon durch den ersten Dichter zu einheitlichen Ganzen,
zu Gedichten, geworden. sondern auch frühzeitig der bloßen Gcdächtnißfortpflanzung
entrissen und mit irgendwelchen äußern Mitteln fixirt worden seien." — „Die Schreib¬
kunst allerdings," so sagt der Verfasser, „die Bezeichnung der Laute und der aus
ihnen zusammengesetzten Wörter durch allgemein anerkannte Zeichen, war unbekannt.
Aber eines Mittels, Vorstellungen äußerlich zu fixiren und so das flüchtige Wort
wenigstens einigermaßen festzuhalten, entbehrte man dennoch nicht. Eine Stelle


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[0216] gegen Westen erhielte. Es ist dieser höchst unglückliche Gedanke bei den Friedens- Verhandlungen auf dem wiener Kongreß von Neuem discutirt und theilweise erfüllt worden. — Gneisenau erklärte sich auch noch für die Idee, den Engländern die Niederlande als einen Brückenkopf auf dem Festlande zu geben. — Es müssen diese Pläne mehr als Anregung zu jener Legionsbildung, denn als Positive Ansichten Gneisenaus angesehen werden. Der Friede Oestreichs mit Napoleon aber und das vollständige Scheitern der Unternehmung der Eng¬ länder nach der Insel Walchern machten fernere Unternehmungen in Deutschland unmöglich, und so verließ Gneisenau am Ende des Jahres England. Er wandte sich nach Schweden, um über Rußland heimzukehren; ob er hierbei auch noch besondere Pläne verfolgte, ist nicht zu erkennen, jedenfalls mißlangen sie. In einem spätern Briefe schreibt Gneisenau: „In England kümmert man sich nicht um die feigherzigen Deutschen, und in Rußland opfert man uns willig um jeden Preis." Am 14. Abends traf Gneisenau wieder in Königsberg ein und fand hier durch Scharnhorst vermittelt eine Cabinetsordre. welche ihm die Erbpacht einer Domäne unter sehr vortheilhaften Bedingungen anwies, um ihn der nächsten Sorgen zu entheben; wie er sich denn überhaupt in den nächsten Jahren noch mancher Beweise der königlichen Gnade in seinen finanziellen Nöthen zu er¬ freuen hatte. — Gneisenau ging über Berlin zu seiner. Familie. Vermischte Literatur. Geschichte der Griechen von Oskar Jäger. Gütersloh, Verlag von Bertclmann. 1866. 644 S. 8. Wie des Verfassers Geschichte der Römer für ein nicht gelehrtes Publikum be¬ stimmt, ruht diese Schrift doch auf selbständigem Studium der Quellen, dem sich fleißige Benutzung der über den Gegenstand existirenden Hauptwerke, namentlich Grotes bedeutender Arbeit angeschlossen hat, doch ohne daß der Verfasser etwaige abweichende Ur¬ theile dem berühmten Autor unterordnete, wie er denn in seiner Ansicht von dem athenischen Volke zur Zeit des Demosthenes von der Ansicht vieler seiner Vorgänger (wir glauben mit Recht) abweicht, und wie er weiterhin in seiner Auffassung Alexanders des Großen (wir meinen mit Unrecht) andrer Meinung als Grote ist. Der Plan des Ganzen ist geschickt angelegt, die Darstellung anschaulich, die Sprache lebendig und würdig. Besonderer Fleiß ist auf die culturhistorischen Abschnitte ver¬ wendet, und auch die Literatur ist sorgfältig charakterisirt. Vortrefflich ist Sokrates geschildert. Wunderlich dagegen ist die Hypothese, nach welcher „die Nischen und die Odysseuslicder nicht allein schon durch den ersten Dichter zu einheitlichen Ganzen, zu Gedichten, geworden. sondern auch frühzeitig der bloßen Gcdächtnißfortpflanzung entrissen und mit irgendwelchen äußern Mitteln fixirt worden seien." — „Die Schreib¬ kunst allerdings," so sagt der Verfasser, „die Bezeichnung der Laute und der aus ihnen zusammengesetzten Wörter durch allgemein anerkannte Zeichen, war unbekannt. Aber eines Mittels, Vorstellungen äußerlich zu fixiren und so das flüchtige Wort wenigstens einigermaßen festzuhalten, entbehrte man dennoch nicht. Eine Stelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/216>, abgerufen am 29.04.2024.