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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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1. Deutsches Studenten leben am Ende des Mittelalters.

Da mittelalterliche Einrichtungen, Gesetze und Bräuche an unsern Hoch,
Schulen sich bis weit über die Zeit hinaus erhielten, wo das Mittelalter in der
Lehre und theilweise im Leben derselben zu weichen begann, so darf nicht auf-
fallen, daß im Folgenden auch Beispiele aus dem sechszehnten Jahrhundert
angeführt werden. Sind wir doch bekanntermaßen mancher von jenen Ein¬
richtungen und Bräuchen selbst heute noch nicht ledig.

Das frühe Mittelalter kannte keine Gymnasien, und so mußten die Uni¬
versitäten ihm einen Theil der Vorstudien vertreten. Der junge Mann, der die
hohe Schule bezog, war deshalb häusig nicht viel über die Knabenjahre hinaus
und brachte bei seiner Ankunft an geistigem Besitz in der Regel nichts mit als
die Elementarkenntnisse, die ihm das elterliche Haus, ein benachbarter Kleriker
oder die Klosterschule seines Ortes oder Gaues gelehrt, Lesen, Schreiben, die
Anfänge des Rechnens, ein wenig Latein und vielleicht etwas Musik.

Erst in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts gründeten einzelne
Humanisten lateinische Schulen als Privatunternehmungen, die dann von solchen,
welche auf Universitäten' studiren wollten, oft aus weiter Ferne bezogen wurden,
und mit denen sich in den niedern Ständen des Volks eine Bewegung ent¬
wickelte, welche später zu schildern sein wird, und von der hier nur erwähnt
Werden mag, daß sie Aehnlichkeit mit dem Wandern unsrer Handwerksburschen
hatte. Der fahrende Schüler oder "Bachant" zog von Schule zu Schule, bis
er endlich -- wenn nicht hinter einem Zaune oder in einem Straßengraben,
denn mancher Mutter Kind verdarb bei solchem Strohmerleben -- auf einer
Universität blieb, und er war dabei gewöhnlich von kleineren Schülern oder
"Schützen" begleitet, die einmal zu werden gedachten, was er war, und die
inzwischen zu ihm das Verhältniß von Lehrburschen zum Gesellen einnahmen,
Famulusdienste bei ihm verrichteten, auch wohl für ihn bettelten oder die
Bauern bestasten und dafür, wenn es gut ging, einiges von seinem Wissen
gewannen.

Eigentliche Gymnasien wurden erst in der Zeit Melanchthons gegründet.
Eines der ersten war die leipziger Nikolaischule.

Das Erste, was der angehende Musensohn, in der Universitätsstadt ein¬
getroffen, zu thun hatte, war, sich zum Rector zu begeben, um sich immatricu-
Uren zu lassen. Dazu bedürfte es nur der Meldung und des Beweises ehelicher
Geburt; denn das Gegentheil der letzteren schloß wie von den Zünften der
Handwerker auch von den Universitäten aus, und ein Maturitätszeugnis) konnte
nach dem Obigen nicht gefordert werden. In Leipzig kam im sechzehnten
Säculum die Sitte auf. Kinder zu immatriculiren, um sie an den Privilegien
der Universität theilnehmen zu lassen. 1S38 wurde der Leipziger Andreas Frangk,


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1. Deutsches Studenten leben am Ende des Mittelalters.

Da mittelalterliche Einrichtungen, Gesetze und Bräuche an unsern Hoch,
Schulen sich bis weit über die Zeit hinaus erhielten, wo das Mittelalter in der
Lehre und theilweise im Leben derselben zu weichen begann, so darf nicht auf-
fallen, daß im Folgenden auch Beispiele aus dem sechszehnten Jahrhundert
angeführt werden. Sind wir doch bekanntermaßen mancher von jenen Ein¬
richtungen und Bräuchen selbst heute noch nicht ledig.

Das frühe Mittelalter kannte keine Gymnasien, und so mußten die Uni¬
versitäten ihm einen Theil der Vorstudien vertreten. Der junge Mann, der die
hohe Schule bezog, war deshalb häusig nicht viel über die Knabenjahre hinaus
und brachte bei seiner Ankunft an geistigem Besitz in der Regel nichts mit als
die Elementarkenntnisse, die ihm das elterliche Haus, ein benachbarter Kleriker
oder die Klosterschule seines Ortes oder Gaues gelehrt, Lesen, Schreiben, die
Anfänge des Rechnens, ein wenig Latein und vielleicht etwas Musik.

Erst in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts gründeten einzelne
Humanisten lateinische Schulen als Privatunternehmungen, die dann von solchen,
welche auf Universitäten' studiren wollten, oft aus weiter Ferne bezogen wurden,
und mit denen sich in den niedern Ständen des Volks eine Bewegung ent¬
wickelte, welche später zu schildern sein wird, und von der hier nur erwähnt
Werden mag, daß sie Aehnlichkeit mit dem Wandern unsrer Handwerksburschen
hatte. Der fahrende Schüler oder „Bachant" zog von Schule zu Schule, bis
er endlich — wenn nicht hinter einem Zaune oder in einem Straßengraben,
denn mancher Mutter Kind verdarb bei solchem Strohmerleben — auf einer
Universität blieb, und er war dabei gewöhnlich von kleineren Schülern oder
»Schützen" begleitet, die einmal zu werden gedachten, was er war, und die
inzwischen zu ihm das Verhältniß von Lehrburschen zum Gesellen einnahmen,
Famulusdienste bei ihm verrichteten, auch wohl für ihn bettelten oder die
Bauern bestasten und dafür, wenn es gut ging, einiges von seinem Wissen
gewannen.

Eigentliche Gymnasien wurden erst in der Zeit Melanchthons gegründet.
Eines der ersten war die leipziger Nikolaischule.

Das Erste, was der angehende Musensohn, in der Universitätsstadt ein¬
getroffen, zu thun hatte, war, sich zum Rector zu begeben, um sich immatricu-
Uren zu lassen. Dazu bedürfte es nur der Meldung und des Beweises ehelicher
Geburt; denn das Gegentheil der letzteren schloß wie von den Zünften der
Handwerker auch von den Universitäten aus, und ein Maturitätszeugnis) konnte
nach dem Obigen nicht gefordert werden. In Leipzig kam im sechzehnten
Säculum die Sitte auf. Kinder zu immatriculiren, um sie an den Privilegien
der Universität theilnehmen zu lassen. 1S38 wurde der Leipziger Andreas Frangk,


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[0223] 1. Deutsches Studenten leben am Ende des Mittelalters. Da mittelalterliche Einrichtungen, Gesetze und Bräuche an unsern Hoch, Schulen sich bis weit über die Zeit hinaus erhielten, wo das Mittelalter in der Lehre und theilweise im Leben derselben zu weichen begann, so darf nicht auf- fallen, daß im Folgenden auch Beispiele aus dem sechszehnten Jahrhundert angeführt werden. Sind wir doch bekanntermaßen mancher von jenen Ein¬ richtungen und Bräuchen selbst heute noch nicht ledig. Das frühe Mittelalter kannte keine Gymnasien, und so mußten die Uni¬ versitäten ihm einen Theil der Vorstudien vertreten. Der junge Mann, der die hohe Schule bezog, war deshalb häusig nicht viel über die Knabenjahre hinaus und brachte bei seiner Ankunft an geistigem Besitz in der Regel nichts mit als die Elementarkenntnisse, die ihm das elterliche Haus, ein benachbarter Kleriker oder die Klosterschule seines Ortes oder Gaues gelehrt, Lesen, Schreiben, die Anfänge des Rechnens, ein wenig Latein und vielleicht etwas Musik. Erst in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts gründeten einzelne Humanisten lateinische Schulen als Privatunternehmungen, die dann von solchen, welche auf Universitäten' studiren wollten, oft aus weiter Ferne bezogen wurden, und mit denen sich in den niedern Ständen des Volks eine Bewegung ent¬ wickelte, welche später zu schildern sein wird, und von der hier nur erwähnt Werden mag, daß sie Aehnlichkeit mit dem Wandern unsrer Handwerksburschen hatte. Der fahrende Schüler oder „Bachant" zog von Schule zu Schule, bis er endlich — wenn nicht hinter einem Zaune oder in einem Straßengraben, denn mancher Mutter Kind verdarb bei solchem Strohmerleben — auf einer Universität blieb, und er war dabei gewöhnlich von kleineren Schülern oder »Schützen" begleitet, die einmal zu werden gedachten, was er war, und die inzwischen zu ihm das Verhältniß von Lehrburschen zum Gesellen einnahmen, Famulusdienste bei ihm verrichteten, auch wohl für ihn bettelten oder die Bauern bestasten und dafür, wenn es gut ging, einiges von seinem Wissen gewannen. Eigentliche Gymnasien wurden erst in der Zeit Melanchthons gegründet. Eines der ersten war die leipziger Nikolaischule. Das Erste, was der angehende Musensohn, in der Universitätsstadt ein¬ getroffen, zu thun hatte, war, sich zum Rector zu begeben, um sich immatricu- Uren zu lassen. Dazu bedürfte es nur der Meldung und des Beweises ehelicher Geburt; denn das Gegentheil der letzteren schloß wie von den Zünften der Handwerker auch von den Universitäten aus, und ein Maturitätszeugnis) konnte nach dem Obigen nicht gefordert werden. In Leipzig kam im sechzehnten Säculum die Sitte auf. Kinder zu immatriculiren, um sie an den Privilegien der Universität theilnehmen zu lassen. 1S38 wurde der Leipziger Andreas Frangk, 26"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/223>, abgerufen am 29.04.2024.