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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Deutsche und Tschechen in Böhmen.

Wer die alte Königstadt an der Moldau vor zehn Jahren besuchte und
sie heute wieder sieht, der wird sich wundern, wie vieles dort anders geworden
ist. Still und bescheiden lebte damals die Bevölkerung unter der handhaben
Mißregjerung; kein lautes Wort erschallte von der Tribune, keine Zeitung wagte
Opposition zu machen, und die Sprache der Tschechen war aus dem öffent¬
lichen Leben verbannt. Wie das Gegentheil von dem sieht Prag heute aus. Im
Landtage die grimmigsten parlamentarischen Fehden und vor dem Stcindchause
tschechische Pöbelexcesse, der Gemeinderath der Stadt fast ganz slavisch, die Firmen¬
schilder an den Häusern nicht mehr allein deutsch, sondern mindestens zur Hälfte
tschechisch, das Vereinsleben national zersplittert und in der Presse ein täglich
sich wiederholender heftiger Kampf. Mit finsterem Blicke gehen die Leute der
verschiedenen Parteien an einander vorüber; sie meiden sich gegenseitig in den
Gesellschaften, den Kaffeehäusern, streiten bei Bällen und andern gemeinschaft¬
lichen Vergnügungen um Frack und Tschamara und machen sich das Leben
sauer, wo es nur angeht. Die Universität, die Schulen, das Polytechnikum,
das Theater, der Stenographen- und Gewerbeverein, ja selbst die Leichenbegäng¬
nisse, alles ist Stoff zu nationalem Hader und Zwist geworden. Hier ist die
Musik nur deutsch, dort tschechisch; hier streitet man sich darum, ob tschechische
Wechsel anzuerkennen sind, dort, ob man tschechische oder deutsche Telegramme
befördern darf. Prag ist sehr ungemüthlich geworden; es ist für lange Zeiten,
in allen seinen Verhältnissen getrennt und zersplittert, ein Ausgleich kaum
denkbar, und die Zustände, welche die Hauptstadt uns zeigt, wiederholen sich auf
dem platten Lande und in den kleineren Städten Böhmens im höheren oder
geringeren Grade.

Schon glauben die Tschechen an der Schwelle des Zeitpunktes angelangt
ZU sein, der ihren vollständigen Sieg über alles Deutsche verkündet. Ein Sprach-
gesetz ist durchgeführt, welches die deutsche Jugend Böhmens zwingt, ein Idiom
zu erlernen, welches für sie ohne irgendwelchen denkbaren Nutzen ist; die Schulen


Grenzboten II. 18os. 36
Deutsche und Tschechen in Böhmen.

Wer die alte Königstadt an der Moldau vor zehn Jahren besuchte und
sie heute wieder sieht, der wird sich wundern, wie vieles dort anders geworden
ist. Still und bescheiden lebte damals die Bevölkerung unter der handhaben
Mißregjerung; kein lautes Wort erschallte von der Tribune, keine Zeitung wagte
Opposition zu machen, und die Sprache der Tschechen war aus dem öffent¬
lichen Leben verbannt. Wie das Gegentheil von dem sieht Prag heute aus. Im
Landtage die grimmigsten parlamentarischen Fehden und vor dem Stcindchause
tschechische Pöbelexcesse, der Gemeinderath der Stadt fast ganz slavisch, die Firmen¬
schilder an den Häusern nicht mehr allein deutsch, sondern mindestens zur Hälfte
tschechisch, das Vereinsleben national zersplittert und in der Presse ein täglich
sich wiederholender heftiger Kampf. Mit finsterem Blicke gehen die Leute der
verschiedenen Parteien an einander vorüber; sie meiden sich gegenseitig in den
Gesellschaften, den Kaffeehäusern, streiten bei Bällen und andern gemeinschaft¬
lichen Vergnügungen um Frack und Tschamara und machen sich das Leben
sauer, wo es nur angeht. Die Universität, die Schulen, das Polytechnikum,
das Theater, der Stenographen- und Gewerbeverein, ja selbst die Leichenbegäng¬
nisse, alles ist Stoff zu nationalem Hader und Zwist geworden. Hier ist die
Musik nur deutsch, dort tschechisch; hier streitet man sich darum, ob tschechische
Wechsel anzuerkennen sind, dort, ob man tschechische oder deutsche Telegramme
befördern darf. Prag ist sehr ungemüthlich geworden; es ist für lange Zeiten,
in allen seinen Verhältnissen getrennt und zersplittert, ein Ausgleich kaum
denkbar, und die Zustände, welche die Hauptstadt uns zeigt, wiederholen sich auf
dem platten Lande und in den kleineren Städten Böhmens im höheren oder
geringeren Grade.

Schon glauben die Tschechen an der Schwelle des Zeitpunktes angelangt
ZU sein, der ihren vollständigen Sieg über alles Deutsche verkündet. Ein Sprach-
gesetz ist durchgeführt, welches die deutsche Jugend Böhmens zwingt, ein Idiom
zu erlernen, welches für sie ohne irgendwelchen denkbaren Nutzen ist; die Schulen


Grenzboten II. 18os. 36
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[0305] Deutsche und Tschechen in Böhmen. Wer die alte Königstadt an der Moldau vor zehn Jahren besuchte und sie heute wieder sieht, der wird sich wundern, wie vieles dort anders geworden ist. Still und bescheiden lebte damals die Bevölkerung unter der handhaben Mißregjerung; kein lautes Wort erschallte von der Tribune, keine Zeitung wagte Opposition zu machen, und die Sprache der Tschechen war aus dem öffent¬ lichen Leben verbannt. Wie das Gegentheil von dem sieht Prag heute aus. Im Landtage die grimmigsten parlamentarischen Fehden und vor dem Stcindchause tschechische Pöbelexcesse, der Gemeinderath der Stadt fast ganz slavisch, die Firmen¬ schilder an den Häusern nicht mehr allein deutsch, sondern mindestens zur Hälfte tschechisch, das Vereinsleben national zersplittert und in der Presse ein täglich sich wiederholender heftiger Kampf. Mit finsterem Blicke gehen die Leute der verschiedenen Parteien an einander vorüber; sie meiden sich gegenseitig in den Gesellschaften, den Kaffeehäusern, streiten bei Bällen und andern gemeinschaft¬ lichen Vergnügungen um Frack und Tschamara und machen sich das Leben sauer, wo es nur angeht. Die Universität, die Schulen, das Polytechnikum, das Theater, der Stenographen- und Gewerbeverein, ja selbst die Leichenbegäng¬ nisse, alles ist Stoff zu nationalem Hader und Zwist geworden. Hier ist die Musik nur deutsch, dort tschechisch; hier streitet man sich darum, ob tschechische Wechsel anzuerkennen sind, dort, ob man tschechische oder deutsche Telegramme befördern darf. Prag ist sehr ungemüthlich geworden; es ist für lange Zeiten, in allen seinen Verhältnissen getrennt und zersplittert, ein Ausgleich kaum denkbar, und die Zustände, welche die Hauptstadt uns zeigt, wiederholen sich auf dem platten Lande und in den kleineren Städten Böhmens im höheren oder geringeren Grade. Schon glauben die Tschechen an der Schwelle des Zeitpunktes angelangt ZU sein, der ihren vollständigen Sieg über alles Deutsche verkündet. Ein Sprach- gesetz ist durchgeführt, welches die deutsche Jugend Böhmens zwingt, ein Idiom zu erlernen, welches für sie ohne irgendwelchen denkbaren Nutzen ist; die Schulen Grenzboten II. 18os. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/305>, abgerufen am 29.04.2024.