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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sind tschechisirt, und der Klerus arbeitet mit einem wahren Feuereifer an der
Entdeutschung des Landes. Mit offenbarem Wohlgefallen schaut das Ministerium
Belcredi auf dieses Treiben und unterstützt es, wo es nur angeht. Taub ist
man für alle Wünsche und Beschwerden der Deutschen, und der feudale Adel
des Landes hat, uneingedenk seiner deutschen Stammbäume, ein Compromiß
mit den Tschechen geschlossen, um die liberalen Deutschen, zu unterdrücken.
Traurige Widerlegung der Phrase vom deutschen Beruf des Staates der Habs¬
burger! Traurige Zustände für unsere Stammesbrüder in demselben, aber, wie
wir hoffen dürfen, nur vorübergehende, ja mittelbar segensreiche; denn die Selbst¬
überhebung und das maßlose Auftreten der Tschechen hat bewirkt, daß die
Deutschen Böhmens einigermaßen aus dem politischen Schlafe aufgerüttelt
wurden, daß sie anfangen sich zu fühlen und als geschlossene nationale Partei
aufzutreten, welche die Ueberzeugung in sich trägt, daß ihr zuletzt der Sieg
verbleiben muß, da auf ihrer Seite Cultur und Fortschritt, gegenüber den
reactionären Gelüsten und der Barbarei, streiten.

Um zu zeigen, wie die jetzt in Böhmen herrschenden Zustände sich 'an¬
bahnten, müssen wir uns einen kurzen Rückblick gestatten. Das Leben der
tschechischen Nationalität hatte seit der Schlacht am weißen Berge (1620) stagmrt;
den Wendepunkt bildete erst die Auffindung der bekannten Königinhofer Hand¬
schrift durch Wenzel Hanka im Jahre 1817. Trotz der angezweifelten Echtheit
derselben und dem Mißtrauen, welches gegen sie wach wurde, hat die Königin-
hoser Handschrift ihre Schuldigkeit gethan. Sie wurde das Banner, um welches
sich die Tschechen schaarten; galt sie ihnen doch als ihr Homer, als Beweis,
daß sie schon vor tausend Jahren unter die Culturvölker zählten. Aehnliche
Funde, die jedoch alle unter sehr mystischen Umständen das Licht der Welt er¬
blickten, reihten sich an, und die zersetzende Kritik that dar, daß eS nur ge¬
fälschte Machwerke seien (Libuschas Gericht und das Wenzelslied). Erst in
unseren Tagen hat man wieder in einem Keller zu Tabor ein alttschechisches
Gedicht entdeckt, so daß ein Witzbold zu der Aeußerung veranlaßt wurde, die
Tschechen könnten es bei einer rationellen Kellerbehandlung in ihrer Literatur
noch weit bringen. Diese "alten" Schriftdenkmäler erfüllten jedoch vollkommen
ihren Zweck: sie zeigten, daß man die deutsche Cultur nicht mehr bedürfe, daß
man daheim eine ebenso großartige und ursprüngliche habe. Die Folge war
ein Kampf gegen alles Deutsche, dessen man sich zu entledigen suchte, und als
ein protestantischer Slowak, Jan Kollar, den wissenschaftlichen Panslavismus
anbahnte, da fühlte man sich mit allen andern Slavenstämmen solidarisch ver¬
bunden und suchte auf Grund der .literarischen Wechselscitigl'eit" die politische
Einheit der "Slavinen" in "Slavien" zu erringen. Den Slaven, dem mäch¬
tigsten und begabtesten Lotte der Erde, so lautete die Formel, gehöre die Zu¬
kunft. Am 1. März dieses Jahres erklärte der Tschechensührer R'eger von der


sind tschechisirt, und der Klerus arbeitet mit einem wahren Feuereifer an der
Entdeutschung des Landes. Mit offenbarem Wohlgefallen schaut das Ministerium
Belcredi auf dieses Treiben und unterstützt es, wo es nur angeht. Taub ist
man für alle Wünsche und Beschwerden der Deutschen, und der feudale Adel
des Landes hat, uneingedenk seiner deutschen Stammbäume, ein Compromiß
mit den Tschechen geschlossen, um die liberalen Deutschen, zu unterdrücken.
Traurige Widerlegung der Phrase vom deutschen Beruf des Staates der Habs¬
burger! Traurige Zustände für unsere Stammesbrüder in demselben, aber, wie
wir hoffen dürfen, nur vorübergehende, ja mittelbar segensreiche; denn die Selbst¬
überhebung und das maßlose Auftreten der Tschechen hat bewirkt, daß die
Deutschen Böhmens einigermaßen aus dem politischen Schlafe aufgerüttelt
wurden, daß sie anfangen sich zu fühlen und als geschlossene nationale Partei
aufzutreten, welche die Ueberzeugung in sich trägt, daß ihr zuletzt der Sieg
verbleiben muß, da auf ihrer Seite Cultur und Fortschritt, gegenüber den
reactionären Gelüsten und der Barbarei, streiten.

Um zu zeigen, wie die jetzt in Böhmen herrschenden Zustände sich 'an¬
bahnten, müssen wir uns einen kurzen Rückblick gestatten. Das Leben der
tschechischen Nationalität hatte seit der Schlacht am weißen Berge (1620) stagmrt;
den Wendepunkt bildete erst die Auffindung der bekannten Königinhofer Hand¬
schrift durch Wenzel Hanka im Jahre 1817. Trotz der angezweifelten Echtheit
derselben und dem Mißtrauen, welches gegen sie wach wurde, hat die Königin-
hoser Handschrift ihre Schuldigkeit gethan. Sie wurde das Banner, um welches
sich die Tschechen schaarten; galt sie ihnen doch als ihr Homer, als Beweis,
daß sie schon vor tausend Jahren unter die Culturvölker zählten. Aehnliche
Funde, die jedoch alle unter sehr mystischen Umständen das Licht der Welt er¬
blickten, reihten sich an, und die zersetzende Kritik that dar, daß eS nur ge¬
fälschte Machwerke seien (Libuschas Gericht und das Wenzelslied). Erst in
unseren Tagen hat man wieder in einem Keller zu Tabor ein alttschechisches
Gedicht entdeckt, so daß ein Witzbold zu der Aeußerung veranlaßt wurde, die
Tschechen könnten es bei einer rationellen Kellerbehandlung in ihrer Literatur
noch weit bringen. Diese „alten" Schriftdenkmäler erfüllten jedoch vollkommen
ihren Zweck: sie zeigten, daß man die deutsche Cultur nicht mehr bedürfe, daß
man daheim eine ebenso großartige und ursprüngliche habe. Die Folge war
ein Kampf gegen alles Deutsche, dessen man sich zu entledigen suchte, und als
ein protestantischer Slowak, Jan Kollar, den wissenschaftlichen Panslavismus
anbahnte, da fühlte man sich mit allen andern Slavenstämmen solidarisch ver¬
bunden und suchte auf Grund der .literarischen Wechselscitigl'eit" die politische
Einheit der „Slavinen" in „Slavien" zu erringen. Den Slaven, dem mäch¬
tigsten und begabtesten Lotte der Erde, so lautete die Formel, gehöre die Zu¬
kunft. Am 1. März dieses Jahres erklärte der Tschechensührer R'eger von der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/306>, abgerufen am 16.05.2024.