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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Die Politische Lage.

Noch ist unsicher, ob und wann der Kongreß zusammentritt, welchem
die Aufgabe gestellt ist. den italienischen und deutschen Conflict auf friedlichem
Wege zu lösen. Die Friedenshoffnungen, welche wieder schüchtern emportauchten,
sind klein geworden, aber man ist doch geneigt, jeden Tag Aufschub für einen
Gewinn zu halten, weil er die Aussichten auf gütliche Beilegung vermehre.

Zuverlässig gewinnt in der Verzögerung auch den Herrschenden alles, waS
zum Frieden mahnt, größere Bedeutung: die Einbuße an Nationalvermögen,
Noth der Arbeitenden, Bedrängnisse der Geschäftswelt, vor anderem die Uebel¬
stände einer großen Rüstung und die Gefahren des Staates. Aber das Gewicht
dieser Erwägungen wird bei dem streitenden Theil, welcher höhere Cultur, bessere
Staatsordnung, geordnete Finanzen und ein unvergleichlich kostbareres Kriegs¬
material auf das Spiel zu setzen hat, weit größer sein, als bei dem Gegner,
der dieser Friedensvorzüge sehr entbehrt; bei Preußen größer, als bei Oestreich.
Und da die Sachlage bereits jetzt so verändert ist, daß der König von Preußen
den Krieg nicht will, und Oestreich der kriegtreibende und angriffslustige Theil
ist. so wird der Aufschub an sich keine große Friedenskraft bewähren. Er ge¬
wöhnt die Menschen an den Kriegsgedanken. Ob der Friede durch einen Congreß
gesichert werden kann, auch das ist sehr zweifelhaft, die feindlichen Mächte Deutsch¬
lands stehen während des Congresses unter Waffen, und die Vermittelungs¬
versuche des Auslandes können nach menschlichem Ermessen nur dann die ent¬
gegengesetzten Forderungen der beiden feindlichen Parteien beschränken, wenn
die Gegner hinter den Vorschlägen des Auslandes eine Coalition gegen die
Widerstrebenden zu fürchten haben. Eine solche Coalition aber bedroht Preußen
und den Bund mit neuen Demüthigungen und Gefahren. Ein Zwang, der
uns von außen aufgelegt wird, ist unter allen Umständen eine furchtbare Sache,
nicht nur weil er in der Gegenwart erhobene Ansprüche beschränkt und über¬
mächtig unser politisches Schicksal bestimmt, sondern weil er die Gefahr bereiten
mag, daß im Interesse des Auslandes aufs neue befestigt wird, was in Deutsch¬
land unhaltbar geworden.


Grenzboten II. 18KS. ,41
Die Politische Lage.

Noch ist unsicher, ob und wann der Kongreß zusammentritt, welchem
die Aufgabe gestellt ist. den italienischen und deutschen Conflict auf friedlichem
Wege zu lösen. Die Friedenshoffnungen, welche wieder schüchtern emportauchten,
sind klein geworden, aber man ist doch geneigt, jeden Tag Aufschub für einen
Gewinn zu halten, weil er die Aussichten auf gütliche Beilegung vermehre.

Zuverlässig gewinnt in der Verzögerung auch den Herrschenden alles, waS
zum Frieden mahnt, größere Bedeutung: die Einbuße an Nationalvermögen,
Noth der Arbeitenden, Bedrängnisse der Geschäftswelt, vor anderem die Uebel¬
stände einer großen Rüstung und die Gefahren des Staates. Aber das Gewicht
dieser Erwägungen wird bei dem streitenden Theil, welcher höhere Cultur, bessere
Staatsordnung, geordnete Finanzen und ein unvergleichlich kostbareres Kriegs¬
material auf das Spiel zu setzen hat, weit größer sein, als bei dem Gegner,
der dieser Friedensvorzüge sehr entbehrt; bei Preußen größer, als bei Oestreich.
Und da die Sachlage bereits jetzt so verändert ist, daß der König von Preußen
den Krieg nicht will, und Oestreich der kriegtreibende und angriffslustige Theil
ist. so wird der Aufschub an sich keine große Friedenskraft bewähren. Er ge¬
wöhnt die Menschen an den Kriegsgedanken. Ob der Friede durch einen Congreß
gesichert werden kann, auch das ist sehr zweifelhaft, die feindlichen Mächte Deutsch¬
lands stehen während des Congresses unter Waffen, und die Vermittelungs¬
versuche des Auslandes können nach menschlichem Ermessen nur dann die ent¬
gegengesetzten Forderungen der beiden feindlichen Parteien beschränken, wenn
die Gegner hinter den Vorschlägen des Auslandes eine Coalition gegen die
Widerstrebenden zu fürchten haben. Eine solche Coalition aber bedroht Preußen
und den Bund mit neuen Demüthigungen und Gefahren. Ein Zwang, der
uns von außen aufgelegt wird, ist unter allen Umständen eine furchtbare Sache,
nicht nur weil er in der Gegenwart erhobene Ansprüche beschränkt und über¬
mächtig unser politisches Schicksal bestimmt, sondern weil er die Gefahr bereiten
mag, daß im Interesse des Auslandes aufs neue befestigt wird, was in Deutsch¬
land unhaltbar geworden.


Grenzboten II. 18KS. ,41
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[0347] Die Politische Lage. Noch ist unsicher, ob und wann der Kongreß zusammentritt, welchem die Aufgabe gestellt ist. den italienischen und deutschen Conflict auf friedlichem Wege zu lösen. Die Friedenshoffnungen, welche wieder schüchtern emportauchten, sind klein geworden, aber man ist doch geneigt, jeden Tag Aufschub für einen Gewinn zu halten, weil er die Aussichten auf gütliche Beilegung vermehre. Zuverlässig gewinnt in der Verzögerung auch den Herrschenden alles, waS zum Frieden mahnt, größere Bedeutung: die Einbuße an Nationalvermögen, Noth der Arbeitenden, Bedrängnisse der Geschäftswelt, vor anderem die Uebel¬ stände einer großen Rüstung und die Gefahren des Staates. Aber das Gewicht dieser Erwägungen wird bei dem streitenden Theil, welcher höhere Cultur, bessere Staatsordnung, geordnete Finanzen und ein unvergleichlich kostbareres Kriegs¬ material auf das Spiel zu setzen hat, weit größer sein, als bei dem Gegner, der dieser Friedensvorzüge sehr entbehrt; bei Preußen größer, als bei Oestreich. Und da die Sachlage bereits jetzt so verändert ist, daß der König von Preußen den Krieg nicht will, und Oestreich der kriegtreibende und angriffslustige Theil ist. so wird der Aufschub an sich keine große Friedenskraft bewähren. Er ge¬ wöhnt die Menschen an den Kriegsgedanken. Ob der Friede durch einen Congreß gesichert werden kann, auch das ist sehr zweifelhaft, die feindlichen Mächte Deutsch¬ lands stehen während des Congresses unter Waffen, und die Vermittelungs¬ versuche des Auslandes können nach menschlichem Ermessen nur dann die ent¬ gegengesetzten Forderungen der beiden feindlichen Parteien beschränken, wenn die Gegner hinter den Vorschlägen des Auslandes eine Coalition gegen die Widerstrebenden zu fürchten haben. Eine solche Coalition aber bedroht Preußen und den Bund mit neuen Demüthigungen und Gefahren. Ein Zwang, der uns von außen aufgelegt wird, ist unter allen Umständen eine furchtbare Sache, nicht nur weil er in der Gegenwart erhobene Ansprüche beschränkt und über¬ mächtig unser politisches Schicksal bestimmt, sondern weil er die Gefahr bereiten mag, daß im Interesse des Auslandes aufs neue befestigt wird, was in Deutsch¬ land unhaltbar geworden. Grenzboten II. 18KS. ,41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/347>, abgerufen am 29.04.2024.