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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Demungeachtet war es richtige Politik, daß Preußen bereitwillig auf die
Idee des Congresses eingegangen ist, denn dadurch wird zum großen Theil die
brüske Weise, in welcher vor einigen Wochen der Trotz der Gegner erregt wurde,
gut gemacht, und die deutschen Mittelstaaten, Regierungen und Völker erhalten
eine für sie selbst wünschenswerthe Zeit zu ernster Erwägung.

Bei dem Conflict zwischen Preußen und Oestreich ist den deutschen Mittel¬
staaten eine wichtige Rolle zugetheilt. Sie stellen bei aufrichtigen Zusammen¬
halten einen wesentlichen Theil deutscher Interessen und deutscher Streitkrciste
dar und eS würde Hannover, Sachsen und der großen südwestlichen Gruppe
derselben nicht schwer sein, von beiden Gegnern Anerkennung ihrer Neutralität
durchzusetzen. Dadurch vermögen sie einen ausbrechenden Krieg zu localisiren,
ihm den größten Theil seiner verderblichen Folgen für Glück und Wohlstand
der Deutschen zu nehmen, auch seine politischen Gefahren für Deutschland we¬
sentlich zu verringern. Das wäre vom Standpunkt dieses Blattes nicht alles,
was die Regierungen thun könnten, aber es wäre für ihren eigenen Vortheil
das Nächstliegende und würde den Wünschen ihrer eigenen Bevölkerung am
meisten entsprechen. Was aber zu Bcunberg beschlossen worden, ist, wie zu
fürchten steht, das Gegentheil einer solchen vorsichtigen Politik. Der Antrag
auf Neutralität, welchen der Vertreter Badens nach dem Willen seines Fürsten
zu stellen genöthigt war, ist einstimmig verworfen, dagegen ist beschlossen
Worden, auch ohne Bundesbeschluß mobil zu machen, und es ist serner be¬
schlossen worden, den Friedensbrecher anzugreifen; wer aber der Friedensbrecher
sei, soll durch eine Erklärung des Bundes constatirt werden.

Wer wird Friedensbrecher? Wenn eine Volksversammlung ihren Haß gegen
einen solchen Missethäter ausspricht und sich ihn dabei als moralisches Ungethüm
mit geballten Fäusten und einem unerträglich boshaften Gesicht vorstellt, so
wird man sich dergleichen kindliche Phantasie gefallen lassen müssen; wenn die
Vertreter der auswärtigen Geschäfte in deutschen Staaten dasselbe festsetzen,
so können sie das doch nur mit dem Bewußtsein gethan haben, daß sie eine
dehnbare Phrase gebrauchen. Wird der ein Friedensbrecher, welcher den ersten
Kanonenschuß abfeuert oder die erste Salve? Es steht jeden Augenblick in der
Gewalt eines Gegners, der den Krieg will, solche militärische Aeußerung seines
Gegners zu provociren. Kleine Tracasserien an der Grenze, für welche die
Genugthuung verweigert wird, oder der Amtseifer eines Offiziers vermögen im
Augenblick einen Streit hervorzurufen, durch welchen grade dem, welcher den
Frieden will, unvermeidlich wird, anzugreifen. Ist Verletzung neutralen Bodens
ein Friedensbruch? Wie die deutschen Territorien durchcinanderliegen, mag eine
hessische oder meiningische Parcelle, ein Grenzstreif, den der Feldherr besetzen
muß, um nicht sein Heer zu opfern, jeden Tag grade die friedesuchende Partei
zum Friedenebrccher machen. Die Majorität des Bundes aber, welche über


Demungeachtet war es richtige Politik, daß Preußen bereitwillig auf die
Idee des Congresses eingegangen ist, denn dadurch wird zum großen Theil die
brüske Weise, in welcher vor einigen Wochen der Trotz der Gegner erregt wurde,
gut gemacht, und die deutschen Mittelstaaten, Regierungen und Völker erhalten
eine für sie selbst wünschenswerthe Zeit zu ernster Erwägung.

Bei dem Conflict zwischen Preußen und Oestreich ist den deutschen Mittel¬
staaten eine wichtige Rolle zugetheilt. Sie stellen bei aufrichtigen Zusammen¬
halten einen wesentlichen Theil deutscher Interessen und deutscher Streitkrciste
dar und eS würde Hannover, Sachsen und der großen südwestlichen Gruppe
derselben nicht schwer sein, von beiden Gegnern Anerkennung ihrer Neutralität
durchzusetzen. Dadurch vermögen sie einen ausbrechenden Krieg zu localisiren,
ihm den größten Theil seiner verderblichen Folgen für Glück und Wohlstand
der Deutschen zu nehmen, auch seine politischen Gefahren für Deutschland we¬
sentlich zu verringern. Das wäre vom Standpunkt dieses Blattes nicht alles,
was die Regierungen thun könnten, aber es wäre für ihren eigenen Vortheil
das Nächstliegende und würde den Wünschen ihrer eigenen Bevölkerung am
meisten entsprechen. Was aber zu Bcunberg beschlossen worden, ist, wie zu
fürchten steht, das Gegentheil einer solchen vorsichtigen Politik. Der Antrag
auf Neutralität, welchen der Vertreter Badens nach dem Willen seines Fürsten
zu stellen genöthigt war, ist einstimmig verworfen, dagegen ist beschlossen
Worden, auch ohne Bundesbeschluß mobil zu machen, und es ist serner be¬
schlossen worden, den Friedensbrecher anzugreifen; wer aber der Friedensbrecher
sei, soll durch eine Erklärung des Bundes constatirt werden.

Wer wird Friedensbrecher? Wenn eine Volksversammlung ihren Haß gegen
einen solchen Missethäter ausspricht und sich ihn dabei als moralisches Ungethüm
mit geballten Fäusten und einem unerträglich boshaften Gesicht vorstellt, so
wird man sich dergleichen kindliche Phantasie gefallen lassen müssen; wenn die
Vertreter der auswärtigen Geschäfte in deutschen Staaten dasselbe festsetzen,
so können sie das doch nur mit dem Bewußtsein gethan haben, daß sie eine
dehnbare Phrase gebrauchen. Wird der ein Friedensbrecher, welcher den ersten
Kanonenschuß abfeuert oder die erste Salve? Es steht jeden Augenblick in der
Gewalt eines Gegners, der den Krieg will, solche militärische Aeußerung seines
Gegners zu provociren. Kleine Tracasserien an der Grenze, für welche die
Genugthuung verweigert wird, oder der Amtseifer eines Offiziers vermögen im
Augenblick einen Streit hervorzurufen, durch welchen grade dem, welcher den
Frieden will, unvermeidlich wird, anzugreifen. Ist Verletzung neutralen Bodens
ein Friedensbruch? Wie die deutschen Territorien durchcinanderliegen, mag eine
hessische oder meiningische Parcelle, ein Grenzstreif, den der Feldherr besetzen
muß, um nicht sein Heer zu opfern, jeden Tag grade die friedesuchende Partei
zum Friedenebrccher machen. Die Majorität des Bundes aber, welche über


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[0348] Demungeachtet war es richtige Politik, daß Preußen bereitwillig auf die Idee des Congresses eingegangen ist, denn dadurch wird zum großen Theil die brüske Weise, in welcher vor einigen Wochen der Trotz der Gegner erregt wurde, gut gemacht, und die deutschen Mittelstaaten, Regierungen und Völker erhalten eine für sie selbst wünschenswerthe Zeit zu ernster Erwägung. Bei dem Conflict zwischen Preußen und Oestreich ist den deutschen Mittel¬ staaten eine wichtige Rolle zugetheilt. Sie stellen bei aufrichtigen Zusammen¬ halten einen wesentlichen Theil deutscher Interessen und deutscher Streitkrciste dar und eS würde Hannover, Sachsen und der großen südwestlichen Gruppe derselben nicht schwer sein, von beiden Gegnern Anerkennung ihrer Neutralität durchzusetzen. Dadurch vermögen sie einen ausbrechenden Krieg zu localisiren, ihm den größten Theil seiner verderblichen Folgen für Glück und Wohlstand der Deutschen zu nehmen, auch seine politischen Gefahren für Deutschland we¬ sentlich zu verringern. Das wäre vom Standpunkt dieses Blattes nicht alles, was die Regierungen thun könnten, aber es wäre für ihren eigenen Vortheil das Nächstliegende und würde den Wünschen ihrer eigenen Bevölkerung am meisten entsprechen. Was aber zu Bcunberg beschlossen worden, ist, wie zu fürchten steht, das Gegentheil einer solchen vorsichtigen Politik. Der Antrag auf Neutralität, welchen der Vertreter Badens nach dem Willen seines Fürsten zu stellen genöthigt war, ist einstimmig verworfen, dagegen ist beschlossen Worden, auch ohne Bundesbeschluß mobil zu machen, und es ist serner be¬ schlossen worden, den Friedensbrecher anzugreifen; wer aber der Friedensbrecher sei, soll durch eine Erklärung des Bundes constatirt werden. Wer wird Friedensbrecher? Wenn eine Volksversammlung ihren Haß gegen einen solchen Missethäter ausspricht und sich ihn dabei als moralisches Ungethüm mit geballten Fäusten und einem unerträglich boshaften Gesicht vorstellt, so wird man sich dergleichen kindliche Phantasie gefallen lassen müssen; wenn die Vertreter der auswärtigen Geschäfte in deutschen Staaten dasselbe festsetzen, so können sie das doch nur mit dem Bewußtsein gethan haben, daß sie eine dehnbare Phrase gebrauchen. Wird der ein Friedensbrecher, welcher den ersten Kanonenschuß abfeuert oder die erste Salve? Es steht jeden Augenblick in der Gewalt eines Gegners, der den Krieg will, solche militärische Aeußerung seines Gegners zu provociren. Kleine Tracasserien an der Grenze, für welche die Genugthuung verweigert wird, oder der Amtseifer eines Offiziers vermögen im Augenblick einen Streit hervorzurufen, durch welchen grade dem, welcher den Frieden will, unvermeidlich wird, anzugreifen. Ist Verletzung neutralen Bodens ein Friedensbruch? Wie die deutschen Territorien durchcinanderliegen, mag eine hessische oder meiningische Parcelle, ein Grenzstreif, den der Feldherr besetzen muß, um nicht sein Heer zu opfern, jeden Tag grade die friedesuchende Partei zum Friedenebrccher machen. Die Majorität des Bundes aber, welche über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/348>, abgerufen am 16.05.2024.