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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Zustände in Nassau.

"Es geht ein finstrer Geist durch dieses Haus"

So möchte man klagen, wenn man den Riß, der in Nassau zwischen der
Regierung und dem Lande entstanden, sich täglich erweitern sieht; -- und man
fragt: wie das alles so kommen konnte, da doch in der Regierung eine große
Anzahl wohlmeinender Männer sitzt, das Volk gutmüthig, leichtlebig und
aufgeweckt ist, und die natürlichen Verhältnisse des Landes an sich sehr glück¬
liche sind?

Legen Sie obige Frage einem echten Kinde Nassaus vor, so werden Sie
nie eine andere Antwort hören, als: "Daran sind die Jesuiten schuld und
der -- W ... . n", -- ein Name, der nie ausgesprochen wird ohne ein Bei¬
wort, das hier durch Gedankenstriche zierlich angedeutet wird. Fragen Sie
weiter: "Wie konnten aber Werren und die Jesuiten einen solchen Einfluß
erlangen in einem zur Mehrzahl protestantischen Land und bei einem pro-,
testantischen Fürsten?" -- so erzählt man Ihnen einige kleine Geschichten
aus dem Kreise des Hofes, die ich nicht wiedergeben werde, weil ich nicht weiß,
ob sie wahr sind, und weil, wenn sie wahr wären, sie doch die Erscheinung
nicht erklären würden.

Um letzteres zu können, müssen wir einen kurzen Rückblick werfen auf die
Geschichte des Herzogtums, welches vor sechzig Jahren als Rheinbundsstaat
das Licht der Welt erblickte, zusammengesetzt aus einer zahlreichen und bunten
Reihe von Fragmenten annectirter geistlicher und weltlicher Territorien des zu
den Vätern versammelten heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Kaum
war das Herzogthum entstanden, so regte sich die Regierung, an deren Spitze
von 1806 bis 1819 wirkliche Kapacitäten standen, von welchen der Regierungs¬
präsident von Jbell auch über die Grenzen unseres Ländchens hinaus bekannt
ist -- namentlich durch den Mordversuch, welchen ein durch den Trunk
heruntergekommener Apothekerlchrling. Namens Löning. am I.Juli 1819 im
Bade Schwalbach gegen ihn machte und den man mit Sands unseliger That


Grenzboten II- 186V. 46
Zustände in Nassau.

„Es geht ein finstrer Geist durch dieses Haus"

So möchte man klagen, wenn man den Riß, der in Nassau zwischen der
Regierung und dem Lande entstanden, sich täglich erweitern sieht; — und man
fragt: wie das alles so kommen konnte, da doch in der Regierung eine große
Anzahl wohlmeinender Männer sitzt, das Volk gutmüthig, leichtlebig und
aufgeweckt ist, und die natürlichen Verhältnisse des Landes an sich sehr glück¬
liche sind?

Legen Sie obige Frage einem echten Kinde Nassaus vor, so werden Sie
nie eine andere Antwort hören, als: „Daran sind die Jesuiten schuld und
der — W ... . n", — ein Name, der nie ausgesprochen wird ohne ein Bei¬
wort, das hier durch Gedankenstriche zierlich angedeutet wird. Fragen Sie
weiter: „Wie konnten aber Werren und die Jesuiten einen solchen Einfluß
erlangen in einem zur Mehrzahl protestantischen Land und bei einem pro-,
testantischen Fürsten?" — so erzählt man Ihnen einige kleine Geschichten
aus dem Kreise des Hofes, die ich nicht wiedergeben werde, weil ich nicht weiß,
ob sie wahr sind, und weil, wenn sie wahr wären, sie doch die Erscheinung
nicht erklären würden.

Um letzteres zu können, müssen wir einen kurzen Rückblick werfen auf die
Geschichte des Herzogtums, welches vor sechzig Jahren als Rheinbundsstaat
das Licht der Welt erblickte, zusammengesetzt aus einer zahlreichen und bunten
Reihe von Fragmenten annectirter geistlicher und weltlicher Territorien des zu
den Vätern versammelten heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Kaum
war das Herzogthum entstanden, so regte sich die Regierung, an deren Spitze
von 1806 bis 1819 wirkliche Kapacitäten standen, von welchen der Regierungs¬
präsident von Jbell auch über die Grenzen unseres Ländchens hinaus bekannt
ist — namentlich durch den Mordversuch, welchen ein durch den Trunk
heruntergekommener Apothekerlchrling. Namens Löning. am I.Juli 1819 im
Bade Schwalbach gegen ihn machte und den man mit Sands unseliger That


Grenzboten II- 186V. 46
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[0389] Zustände in Nassau. „Es geht ein finstrer Geist durch dieses Haus" So möchte man klagen, wenn man den Riß, der in Nassau zwischen der Regierung und dem Lande entstanden, sich täglich erweitern sieht; — und man fragt: wie das alles so kommen konnte, da doch in der Regierung eine große Anzahl wohlmeinender Männer sitzt, das Volk gutmüthig, leichtlebig und aufgeweckt ist, und die natürlichen Verhältnisse des Landes an sich sehr glück¬ liche sind? Legen Sie obige Frage einem echten Kinde Nassaus vor, so werden Sie nie eine andere Antwort hören, als: „Daran sind die Jesuiten schuld und der — W ... . n", — ein Name, der nie ausgesprochen wird ohne ein Bei¬ wort, das hier durch Gedankenstriche zierlich angedeutet wird. Fragen Sie weiter: „Wie konnten aber Werren und die Jesuiten einen solchen Einfluß erlangen in einem zur Mehrzahl protestantischen Land und bei einem pro-, testantischen Fürsten?" — so erzählt man Ihnen einige kleine Geschichten aus dem Kreise des Hofes, die ich nicht wiedergeben werde, weil ich nicht weiß, ob sie wahr sind, und weil, wenn sie wahr wären, sie doch die Erscheinung nicht erklären würden. Um letzteres zu können, müssen wir einen kurzen Rückblick werfen auf die Geschichte des Herzogtums, welches vor sechzig Jahren als Rheinbundsstaat das Licht der Welt erblickte, zusammengesetzt aus einer zahlreichen und bunten Reihe von Fragmenten annectirter geistlicher und weltlicher Territorien des zu den Vätern versammelten heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Kaum war das Herzogthum entstanden, so regte sich die Regierung, an deren Spitze von 1806 bis 1819 wirkliche Kapacitäten standen, von welchen der Regierungs¬ präsident von Jbell auch über die Grenzen unseres Ländchens hinaus bekannt ist — namentlich durch den Mordversuch, welchen ein durch den Trunk heruntergekommener Apothekerlchrling. Namens Löning. am I.Juli 1819 im Bade Schwalbach gegen ihn machte und den man mit Sands unseliger That Grenzboten II- 186V. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/389>, abgerufen am 29.04.2024.