Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen Kotzevue auf eine Linie stellte, um auch ihn für die Zwecke der Reaction
auszubeuten. Die Regierung also begann mit einem wahren Feuereifer zu nivel-
liren, zu organisiren. zu assimiliren, zu reformiren, so daß das neugeformte
Herzogthum in verhältnißmäßig kurzer Zeit aus den bunten Lappen heraus zu
einer einheitlichen wohlconstruirten Figur heranwuchs. Die überlebten, ver¬
alteten, gemeinschädlichem Ueberreste. Curiositäten, Antiquitäten und Abgeschmackt¬
heiten der kleinen weltlichen und geistlichen Duodezstätchen. an deren Stelle das
stattliche Herzogthum getreten war, wurden durch diese Regierung, in deren Adern
ein wenig von dem cäsarisch-terroristischen Feuer der Revolution und des Kaiser¬
reichs übergegangen war, gründlich hinweggefegt.

Allein das Land wechselte nur den Herrn. Aus der Knechtschaft des
geistlichen und weltlichen Adels siel es in die einer nach französischer Scha¬
blone zugeschnittnen Bureaukratie, einer centralisirten, besitz- und heimath¬
loser, bezahlten Schreiberkaste, welche der große Freiherr von Stein (der in
unserem Lande geboren und begütert, eine Zeit lang -- er bekam es schnell
satt -- sogar Mitglied unseres Herrenhauses war) bei uns in Nassau kennen
und mit der ganzen Intensität seiner starken Seele hassen gelernt hat. Alles,
der Staat, die Kirche, die Gemeinde, die Volkswirthschaft, wurde in den Händen
dieser allmächtigen Büreaukratie concentrirt. Sie erstreckte ihre Vormundschaft
über jeden und über jedes. Der besoldete und bureaukratisch disciplinirte Arzt
kurirte die Unterthanen von Obrigkeits wegen; die Geschäfte der freiwilligen
Gerichtsbarkeit wurden besoldeten Staatsdienern übertragen; wer bauen wollte,
mußte sich eines zu diesem Zwecke angestellten Staatsbaubcamten bedienen; die
Forstbüreaukratie bewirthschaftete die Waldungen, ohne sich von den Eigen¬
thümern drein reden zu lassen; Kirche und Schule wurden absolut durch die
Landesregierung regiert; die Gemeinden waren keine Corporationen mehr, son¬
dern nur noch die untersten Staatsverwaltungsbezirke; an ihrer Spitze stand
der "herzogliche Schultheiß", welcher nur zu gehorchen und zu vollstrecken hatte.
Die bürgerliche und die wirthschaftliche Gesellschaft. Kunst und Wissenschaft,
Gemeinde, Schule, Kirche -- alles hatte "das Ungeheuer Staat" verschlungen.
Und doch war damals die Regierung im höchsten Grade populär. Obgleich
zuweilen etwas gewaltsam, war sie im Uebrigen aufgeklärt, wohlmeinend, un¬
ermüdlich thätig. Die büreaukratische Mühle klapperte betäubend, aber sie arbeitete
und lieferte, was sie später nicht mehr that, gutes Mehl.. Die Leute fühlten
sich wohl in dem Gefühl einem geordneten, größeren Ganzen anzugehören, von
der Unordnung der alten Zwerggestaltungen, unter welchen das Land nur aus
Grenzen bestand und einzelne Orte "drei-" oder gar "vierherrisch" waren, von
den Fesseln des Feudalismus und der Hierarchie erlöst zu sein durch ein Be-
amtenthum, welches seine Stacheln gegen das Mittelalter und dessen Ueberreste
kehrte und das moderne Bürgerthum mit dem Wohlwollen eines etwas gestrengen


gegen Kotzevue auf eine Linie stellte, um auch ihn für die Zwecke der Reaction
auszubeuten. Die Regierung also begann mit einem wahren Feuereifer zu nivel-
liren, zu organisiren. zu assimiliren, zu reformiren, so daß das neugeformte
Herzogthum in verhältnißmäßig kurzer Zeit aus den bunten Lappen heraus zu
einer einheitlichen wohlconstruirten Figur heranwuchs. Die überlebten, ver¬
alteten, gemeinschädlichem Ueberreste. Curiositäten, Antiquitäten und Abgeschmackt¬
heiten der kleinen weltlichen und geistlichen Duodezstätchen. an deren Stelle das
stattliche Herzogthum getreten war, wurden durch diese Regierung, in deren Adern
ein wenig von dem cäsarisch-terroristischen Feuer der Revolution und des Kaiser¬
reichs übergegangen war, gründlich hinweggefegt.

Allein das Land wechselte nur den Herrn. Aus der Knechtschaft des
geistlichen und weltlichen Adels siel es in die einer nach französischer Scha¬
blone zugeschnittnen Bureaukratie, einer centralisirten, besitz- und heimath¬
loser, bezahlten Schreiberkaste, welche der große Freiherr von Stein (der in
unserem Lande geboren und begütert, eine Zeit lang — er bekam es schnell
satt — sogar Mitglied unseres Herrenhauses war) bei uns in Nassau kennen
und mit der ganzen Intensität seiner starken Seele hassen gelernt hat. Alles,
der Staat, die Kirche, die Gemeinde, die Volkswirthschaft, wurde in den Händen
dieser allmächtigen Büreaukratie concentrirt. Sie erstreckte ihre Vormundschaft
über jeden und über jedes. Der besoldete und bureaukratisch disciplinirte Arzt
kurirte die Unterthanen von Obrigkeits wegen; die Geschäfte der freiwilligen
Gerichtsbarkeit wurden besoldeten Staatsdienern übertragen; wer bauen wollte,
mußte sich eines zu diesem Zwecke angestellten Staatsbaubcamten bedienen; die
Forstbüreaukratie bewirthschaftete die Waldungen, ohne sich von den Eigen¬
thümern drein reden zu lassen; Kirche und Schule wurden absolut durch die
Landesregierung regiert; die Gemeinden waren keine Corporationen mehr, son¬
dern nur noch die untersten Staatsverwaltungsbezirke; an ihrer Spitze stand
der „herzogliche Schultheiß", welcher nur zu gehorchen und zu vollstrecken hatte.
Die bürgerliche und die wirthschaftliche Gesellschaft. Kunst und Wissenschaft,
Gemeinde, Schule, Kirche — alles hatte „das Ungeheuer Staat" verschlungen.
Und doch war damals die Regierung im höchsten Grade populär. Obgleich
zuweilen etwas gewaltsam, war sie im Uebrigen aufgeklärt, wohlmeinend, un¬
ermüdlich thätig. Die büreaukratische Mühle klapperte betäubend, aber sie arbeitete
und lieferte, was sie später nicht mehr that, gutes Mehl.. Die Leute fühlten
sich wohl in dem Gefühl einem geordneten, größeren Ganzen anzugehören, von
der Unordnung der alten Zwerggestaltungen, unter welchen das Land nur aus
Grenzen bestand und einzelne Orte „drei-" oder gar „vierherrisch" waren, von
den Fesseln des Feudalismus und der Hierarchie erlöst zu sein durch ein Be-
amtenthum, welches seine Stacheln gegen das Mittelalter und dessen Ueberreste
kehrte und das moderne Bürgerthum mit dem Wohlwollen eines etwas gestrengen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285418"/>
          <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> gegen Kotzevue auf eine Linie stellte, um auch ihn für die Zwecke der Reaction<lb/>
auszubeuten. Die Regierung also begann mit einem wahren Feuereifer zu nivel-<lb/>
liren, zu organisiren. zu assimiliren, zu reformiren, so daß das neugeformte<lb/>
Herzogthum in verhältnißmäßig kurzer Zeit aus den bunten Lappen heraus zu<lb/>
einer einheitlichen wohlconstruirten Figur heranwuchs. Die überlebten, ver¬<lb/>
alteten, gemeinschädlichem Ueberreste. Curiositäten, Antiquitäten und Abgeschmackt¬<lb/>
heiten der kleinen weltlichen und geistlichen Duodezstätchen. an deren Stelle das<lb/>
stattliche Herzogthum getreten war, wurden durch diese Regierung, in deren Adern<lb/>
ein wenig von dem cäsarisch-terroristischen Feuer der Revolution und des Kaiser¬<lb/>
reichs übergegangen war, gründlich hinweggefegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171" next="#ID_1172"> Allein das Land wechselte nur den Herrn. Aus der Knechtschaft des<lb/>
geistlichen und weltlichen Adels siel es in die einer nach französischer Scha¬<lb/>
blone zugeschnittnen Bureaukratie, einer centralisirten, besitz- und heimath¬<lb/>
loser, bezahlten Schreiberkaste, welche der große Freiherr von Stein (der in<lb/>
unserem Lande geboren und begütert, eine Zeit lang &#x2014; er bekam es schnell<lb/>
satt &#x2014; sogar Mitglied unseres Herrenhauses war) bei uns in Nassau kennen<lb/>
und mit der ganzen Intensität seiner starken Seele hassen gelernt hat. Alles,<lb/>
der Staat, die Kirche, die Gemeinde, die Volkswirthschaft, wurde in den Händen<lb/>
dieser allmächtigen Büreaukratie concentrirt. Sie erstreckte ihre Vormundschaft<lb/>
über jeden und über jedes. Der besoldete und bureaukratisch disciplinirte Arzt<lb/>
kurirte die Unterthanen von Obrigkeits wegen; die Geschäfte der freiwilligen<lb/>
Gerichtsbarkeit wurden besoldeten Staatsdienern übertragen; wer bauen wollte,<lb/>
mußte sich eines zu diesem Zwecke angestellten Staatsbaubcamten bedienen; die<lb/>
Forstbüreaukratie bewirthschaftete die Waldungen, ohne sich von den Eigen¬<lb/>
thümern drein reden zu lassen; Kirche und Schule wurden absolut durch die<lb/>
Landesregierung regiert; die Gemeinden waren keine Corporationen mehr, son¬<lb/>
dern nur noch die untersten Staatsverwaltungsbezirke; an ihrer Spitze stand<lb/>
der &#x201E;herzogliche Schultheiß", welcher nur zu gehorchen und zu vollstrecken hatte.<lb/>
Die bürgerliche und die wirthschaftliche Gesellschaft. Kunst und Wissenschaft,<lb/>
Gemeinde, Schule, Kirche &#x2014; alles hatte &#x201E;das Ungeheuer Staat" verschlungen.<lb/>
Und doch war damals die Regierung im höchsten Grade populär. Obgleich<lb/>
zuweilen etwas gewaltsam, war sie im Uebrigen aufgeklärt, wohlmeinend, un¬<lb/>
ermüdlich thätig. Die büreaukratische Mühle klapperte betäubend, aber sie arbeitete<lb/>
und lieferte, was sie später nicht mehr that, gutes Mehl.. Die Leute fühlten<lb/>
sich wohl in dem Gefühl einem geordneten, größeren Ganzen anzugehören, von<lb/>
der Unordnung der alten Zwerggestaltungen, unter welchen das Land nur aus<lb/>
Grenzen bestand und einzelne Orte &#x201E;drei-" oder gar &#x201E;vierherrisch" waren, von<lb/>
den Fesseln des Feudalismus und der Hierarchie erlöst zu sein durch ein Be-<lb/>
amtenthum, welches seine Stacheln gegen das Mittelalter und dessen Ueberreste<lb/>
kehrte und das moderne Bürgerthum mit dem Wohlwollen eines etwas gestrengen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] gegen Kotzevue auf eine Linie stellte, um auch ihn für die Zwecke der Reaction auszubeuten. Die Regierung also begann mit einem wahren Feuereifer zu nivel- liren, zu organisiren. zu assimiliren, zu reformiren, so daß das neugeformte Herzogthum in verhältnißmäßig kurzer Zeit aus den bunten Lappen heraus zu einer einheitlichen wohlconstruirten Figur heranwuchs. Die überlebten, ver¬ alteten, gemeinschädlichem Ueberreste. Curiositäten, Antiquitäten und Abgeschmackt¬ heiten der kleinen weltlichen und geistlichen Duodezstätchen. an deren Stelle das stattliche Herzogthum getreten war, wurden durch diese Regierung, in deren Adern ein wenig von dem cäsarisch-terroristischen Feuer der Revolution und des Kaiser¬ reichs übergegangen war, gründlich hinweggefegt. Allein das Land wechselte nur den Herrn. Aus der Knechtschaft des geistlichen und weltlichen Adels siel es in die einer nach französischer Scha¬ blone zugeschnittnen Bureaukratie, einer centralisirten, besitz- und heimath¬ loser, bezahlten Schreiberkaste, welche der große Freiherr von Stein (der in unserem Lande geboren und begütert, eine Zeit lang — er bekam es schnell satt — sogar Mitglied unseres Herrenhauses war) bei uns in Nassau kennen und mit der ganzen Intensität seiner starken Seele hassen gelernt hat. Alles, der Staat, die Kirche, die Gemeinde, die Volkswirthschaft, wurde in den Händen dieser allmächtigen Büreaukratie concentrirt. Sie erstreckte ihre Vormundschaft über jeden und über jedes. Der besoldete und bureaukratisch disciplinirte Arzt kurirte die Unterthanen von Obrigkeits wegen; die Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurden besoldeten Staatsdienern übertragen; wer bauen wollte, mußte sich eines zu diesem Zwecke angestellten Staatsbaubcamten bedienen; die Forstbüreaukratie bewirthschaftete die Waldungen, ohne sich von den Eigen¬ thümern drein reden zu lassen; Kirche und Schule wurden absolut durch die Landesregierung regiert; die Gemeinden waren keine Corporationen mehr, son¬ dern nur noch die untersten Staatsverwaltungsbezirke; an ihrer Spitze stand der „herzogliche Schultheiß", welcher nur zu gehorchen und zu vollstrecken hatte. Die bürgerliche und die wirthschaftliche Gesellschaft. Kunst und Wissenschaft, Gemeinde, Schule, Kirche — alles hatte „das Ungeheuer Staat" verschlungen. Und doch war damals die Regierung im höchsten Grade populär. Obgleich zuweilen etwas gewaltsam, war sie im Uebrigen aufgeklärt, wohlmeinend, un¬ ermüdlich thätig. Die büreaukratische Mühle klapperte betäubend, aber sie arbeitete und lieferte, was sie später nicht mehr that, gutes Mehl.. Die Leute fühlten sich wohl in dem Gefühl einem geordneten, größeren Ganzen anzugehören, von der Unordnung der alten Zwerggestaltungen, unter welchen das Land nur aus Grenzen bestand und einzelne Orte „drei-" oder gar „vierherrisch" waren, von den Fesseln des Feudalismus und der Hierarchie erlöst zu sein durch ein Be- amtenthum, welches seine Stacheln gegen das Mittelalter und dessen Ueberreste kehrte und das moderne Bürgerthum mit dem Wohlwollen eines etwas gestrengen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/390>, abgerufen am 15.05.2024.