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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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durchaus nicht. Wir kennen sie nur als ein Ganzes, welches den Namen
"Klagelieder", hebräisch KinotK, griechisch tlironoi, lateinisch ebenso tkrern
oder laiuLntativnög, bei den Juden aber häufiger nach dem Ansangswort
der beiden ersten cela. "wie!"-) führt.




Aus

Der hannoversche Städtetag, der vom 12.--14. Mai in der Landeshaupt¬
stadt abgehalten wurde, gab den Liberalen des Landes eine mehr als jemals
erwünschte Gelegenheit, ihre Auffassung der politischen Lage ausdrücklich festzu¬
stellen. R. v. Bennigsen war freilich zur Versammlung des Nationaivereins-
ausschusses nach Berlin abgereist; aber Miquel, der ihm an politischer Fähigkeit
und Bedeutung kaum nachsteht, übernahm an seiner Stelle die Leitung. Ueber
den Abschluß eines Neutralitäts- oder Allianz-Vertrags mit Preußen war zur
Zeit, als diese Besprechungen stattfanden, noch nichts bekannt geworden. Man
erwartete vielmehr, daß die Negierung eine oder zwei Millionen für Mobili-
sirungskosten verlangen werde. Diese nur unter ganz bestimmten Voraus¬
setzungen zu bewilligen, einigte man sich bald. Entweder legt das Ministerium
den Ständen, wenn auch nur in vertraulicher Sitzung, seine deutsche Politik
offen und erschöpfend dar; oder es tritt zurück, und der König setzt an seine
Stelle Männer des öffentlichen Vertrauens. Nur wenn das Letztere geschieht,
oder aber das Erstere in einer Weise, daß die Vertreter des hannoverschen Volks
sich damit einverstanden erklären können, darf die Regierung auf Bewilligungen
rechnen. Die bloße Berufung auf ihre Bundespflicht würde ihr nichts helfen,
selbst wenn sie sich auf einen förmlichen Beschluß der Bundesversammlung be¬
rufen könnte. Man würde ihr in diesem Falle ungefähr so antworten, wie
Bluntschli sich in der ersten Kammer zu Karlsruhe ausgelassen hat, oder
wie ein wohlgeleitetes Provinzialblatt, die Hildesheimer Allgemeine Zeitung,
wenn sie sagt: "Jedes Kind weiß nachgrade, daß die Mehrheit am Bunde ab¬
wechselnd ein Spielzeug in Oestreichs Hand oder eine mittelstaatliche Angst¬
und Schmolk-Gesellschaft ist; und mehr als kindisch wäre es, große verhängniß-



') Dies Wort spielte in der hebräischen Elegie eine große Rolle, vgl. 2 Sam. 1, 19, 2V,
27; Ich. 14. 4, 12.

durchaus nicht. Wir kennen sie nur als ein Ganzes, welches den Namen
„Klagelieder", hebräisch KinotK, griechisch tlironoi, lateinisch ebenso tkrern
oder laiuLntativnög, bei den Juden aber häufiger nach dem Ansangswort
der beiden ersten cela. „wie!"-) führt.




Aus

Der hannoversche Städtetag, der vom 12.—14. Mai in der Landeshaupt¬
stadt abgehalten wurde, gab den Liberalen des Landes eine mehr als jemals
erwünschte Gelegenheit, ihre Auffassung der politischen Lage ausdrücklich festzu¬
stellen. R. v. Bennigsen war freilich zur Versammlung des Nationaivereins-
ausschusses nach Berlin abgereist; aber Miquel, der ihm an politischer Fähigkeit
und Bedeutung kaum nachsteht, übernahm an seiner Stelle die Leitung. Ueber
den Abschluß eines Neutralitäts- oder Allianz-Vertrags mit Preußen war zur
Zeit, als diese Besprechungen stattfanden, noch nichts bekannt geworden. Man
erwartete vielmehr, daß die Negierung eine oder zwei Millionen für Mobili-
sirungskosten verlangen werde. Diese nur unter ganz bestimmten Voraus¬
setzungen zu bewilligen, einigte man sich bald. Entweder legt das Ministerium
den Ständen, wenn auch nur in vertraulicher Sitzung, seine deutsche Politik
offen und erschöpfend dar; oder es tritt zurück, und der König setzt an seine
Stelle Männer des öffentlichen Vertrauens. Nur wenn das Letztere geschieht,
oder aber das Erstere in einer Weise, daß die Vertreter des hannoverschen Volks
sich damit einverstanden erklären können, darf die Regierung auf Bewilligungen
rechnen. Die bloße Berufung auf ihre Bundespflicht würde ihr nichts helfen,
selbst wenn sie sich auf einen förmlichen Beschluß der Bundesversammlung be¬
rufen könnte. Man würde ihr in diesem Falle ungefähr so antworten, wie
Bluntschli sich in der ersten Kammer zu Karlsruhe ausgelassen hat, oder
wie ein wohlgeleitetes Provinzialblatt, die Hildesheimer Allgemeine Zeitung,
wenn sie sagt: „Jedes Kind weiß nachgrade, daß die Mehrheit am Bunde ab¬
wechselnd ein Spielzeug in Oestreichs Hand oder eine mittelstaatliche Angst¬
und Schmolk-Gesellschaft ist; und mehr als kindisch wäre es, große verhängniß-



') Dies Wort spielte in der hebräischen Elegie eine große Rolle, vgl. 2 Sam. 1, 19, 2V,
27; Ich. 14. 4, 12.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/420>, abgerufen am 29.04.2024.