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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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volle Entscheidungen von dem formellen Rechte abhängig zu machen, das ein
Protokoll-Auszug dieser Körperschaft für sich in Anspruch nehmen mag. Nur
in Japan ist es gebräuchlich, daß ein Mensch sich auf Geheiß eines Andern
selbst ums Leben bringt. Ueber das deutsche Voll hat der Bundestag keine
solche den Selbstmord vorschreibende Gewalt. Der Bund ist gestiftet worden,
um Deutschlands nationale Existenz in gewöhnlichen Zeiten sicherzustellen; aber
nicht, der Nagel zu werden, an welchem die Nation sich im Fanatismus juri¬
stischen Buchstabendienstes aufhängt."

Mit Oestreich zu gehen, wird das Volk der Regierung unter keinen Um¬
ständen erlauben. In der Ueberzeugung, mit Preußen stehn und fallen zu
müssen, wenn es zu blutigen Entscheidungen kommt, begegnet man sich hier zu
Lande so sehr, daß selbst die gemäßigtem unter den Katholiken Hildesheims und
Osnabrücks dieselbe laut äußern. Der Gedanke, die welfischen Truppen Oestreich
zur Verfügung zu stellen, hat nirgends schärfere Verurtheilung gefunden, als
bei den besonnercn Freunden der Dynastie und Interessenten der hannoverscden
Sonderexistenz. Widerwillig und Zorn im Herzen, aber erkannter Noth¬
wendigkeit weichend, wendet der Hof sich wieder Preußen zu. Die "Theorie von
der preußischen Machtsphäre" ist nicht völlig die Fabel, zu welcher die Wiener
Abendpost sie Herabdrücken möchte. ,

Von der unbedingt antiöstreichischen Haltung werden unsre Liberalen
sich auch nicht dadurch zurückbringen lassen, daß man ihnen den Köder der
Herstellung des alten Verfassungsrechts, etwa an der Angel eines Ministeriums
Münchhausen hinwürfe. Die Lection von 18LS über die Haltbarkeit einer
Hannover allein beglückenden Freiheit ist noch zu frisch, um schon vergessen
zu sein. Man ist vollkommen einig, daß die wichtigsten innern Fragen setzt
zurücktreten vor der einen großen nationalen, und daß zwar Preußens Sieg
nicht nothwendig gleich auf der Stelle zur Freiheit führen, Oestreichs Sieg aber
allezeit unbedingt gleichbedeutend sein wird mit der tödlichsten Reaction. Im
Uebrigen wird der König sie schwerlich in solche Verlegenheit setzen. Es wird
diesem Herrn so schwer, sein Zeichen unter irgendeine halbwegs freisinnige und
volksthümliche Maßregel zu setzen, daß an eine mehr oder weniger freiwillige,
aus politischer Berechnung hervorgehende Neactivirung des gebrochenen Ver-
fassungsrechtes schlechterdings nicht zu denken sein wird.

An der drohenden Auslöschung des eignen Staats aus der Zahl der Leben¬
den nimmt die Bevölkerung nicht mehr Antheil, als wenn es sich um die Neu¬
gestaltung einer Provinz oder Gemeinde handelte. Alles Interesse knüpft sich
ausschließlich an den preußisch-östreichischen Entscheidungskampf. Aber es wäre
zu sanguinisch, wenn man daraus schließen wollte, daß die Stimmung Positiv
Preußisch wäre. Das kann sie erst nach einem tiefgehenden Umschwung in
Berlin werden. Vorläufig hält man sich notgedrungen zurück. Sollten die


Grenzboten II. 18os. 50

volle Entscheidungen von dem formellen Rechte abhängig zu machen, das ein
Protokoll-Auszug dieser Körperschaft für sich in Anspruch nehmen mag. Nur
in Japan ist es gebräuchlich, daß ein Mensch sich auf Geheiß eines Andern
selbst ums Leben bringt. Ueber das deutsche Voll hat der Bundestag keine
solche den Selbstmord vorschreibende Gewalt. Der Bund ist gestiftet worden,
um Deutschlands nationale Existenz in gewöhnlichen Zeiten sicherzustellen; aber
nicht, der Nagel zu werden, an welchem die Nation sich im Fanatismus juri¬
stischen Buchstabendienstes aufhängt."

Mit Oestreich zu gehen, wird das Volk der Regierung unter keinen Um¬
ständen erlauben. In der Ueberzeugung, mit Preußen stehn und fallen zu
müssen, wenn es zu blutigen Entscheidungen kommt, begegnet man sich hier zu
Lande so sehr, daß selbst die gemäßigtem unter den Katholiken Hildesheims und
Osnabrücks dieselbe laut äußern. Der Gedanke, die welfischen Truppen Oestreich
zur Verfügung zu stellen, hat nirgends schärfere Verurtheilung gefunden, als
bei den besonnercn Freunden der Dynastie und Interessenten der hannoverscden
Sonderexistenz. Widerwillig und Zorn im Herzen, aber erkannter Noth¬
wendigkeit weichend, wendet der Hof sich wieder Preußen zu. Die „Theorie von
der preußischen Machtsphäre" ist nicht völlig die Fabel, zu welcher die Wiener
Abendpost sie Herabdrücken möchte. ,

Von der unbedingt antiöstreichischen Haltung werden unsre Liberalen
sich auch nicht dadurch zurückbringen lassen, daß man ihnen den Köder der
Herstellung des alten Verfassungsrechts, etwa an der Angel eines Ministeriums
Münchhausen hinwürfe. Die Lection von 18LS über die Haltbarkeit einer
Hannover allein beglückenden Freiheit ist noch zu frisch, um schon vergessen
zu sein. Man ist vollkommen einig, daß die wichtigsten innern Fragen setzt
zurücktreten vor der einen großen nationalen, und daß zwar Preußens Sieg
nicht nothwendig gleich auf der Stelle zur Freiheit führen, Oestreichs Sieg aber
allezeit unbedingt gleichbedeutend sein wird mit der tödlichsten Reaction. Im
Uebrigen wird der König sie schwerlich in solche Verlegenheit setzen. Es wird
diesem Herrn so schwer, sein Zeichen unter irgendeine halbwegs freisinnige und
volksthümliche Maßregel zu setzen, daß an eine mehr oder weniger freiwillige,
aus politischer Berechnung hervorgehende Neactivirung des gebrochenen Ver-
fassungsrechtes schlechterdings nicht zu denken sein wird.

An der drohenden Auslöschung des eignen Staats aus der Zahl der Leben¬
den nimmt die Bevölkerung nicht mehr Antheil, als wenn es sich um die Neu¬
gestaltung einer Provinz oder Gemeinde handelte. Alles Interesse knüpft sich
ausschließlich an den preußisch-östreichischen Entscheidungskampf. Aber es wäre
zu sanguinisch, wenn man daraus schließen wollte, daß die Stimmung Positiv
Preußisch wäre. Das kann sie erst nach einem tiefgehenden Umschwung in
Berlin werden. Vorläufig hält man sich notgedrungen zurück. Sollten die


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[0421] volle Entscheidungen von dem formellen Rechte abhängig zu machen, das ein Protokoll-Auszug dieser Körperschaft für sich in Anspruch nehmen mag. Nur in Japan ist es gebräuchlich, daß ein Mensch sich auf Geheiß eines Andern selbst ums Leben bringt. Ueber das deutsche Voll hat der Bundestag keine solche den Selbstmord vorschreibende Gewalt. Der Bund ist gestiftet worden, um Deutschlands nationale Existenz in gewöhnlichen Zeiten sicherzustellen; aber nicht, der Nagel zu werden, an welchem die Nation sich im Fanatismus juri¬ stischen Buchstabendienstes aufhängt." Mit Oestreich zu gehen, wird das Volk der Regierung unter keinen Um¬ ständen erlauben. In der Ueberzeugung, mit Preußen stehn und fallen zu müssen, wenn es zu blutigen Entscheidungen kommt, begegnet man sich hier zu Lande so sehr, daß selbst die gemäßigtem unter den Katholiken Hildesheims und Osnabrücks dieselbe laut äußern. Der Gedanke, die welfischen Truppen Oestreich zur Verfügung zu stellen, hat nirgends schärfere Verurtheilung gefunden, als bei den besonnercn Freunden der Dynastie und Interessenten der hannoverscden Sonderexistenz. Widerwillig und Zorn im Herzen, aber erkannter Noth¬ wendigkeit weichend, wendet der Hof sich wieder Preußen zu. Die „Theorie von der preußischen Machtsphäre" ist nicht völlig die Fabel, zu welcher die Wiener Abendpost sie Herabdrücken möchte. , Von der unbedingt antiöstreichischen Haltung werden unsre Liberalen sich auch nicht dadurch zurückbringen lassen, daß man ihnen den Köder der Herstellung des alten Verfassungsrechts, etwa an der Angel eines Ministeriums Münchhausen hinwürfe. Die Lection von 18LS über die Haltbarkeit einer Hannover allein beglückenden Freiheit ist noch zu frisch, um schon vergessen zu sein. Man ist vollkommen einig, daß die wichtigsten innern Fragen setzt zurücktreten vor der einen großen nationalen, und daß zwar Preußens Sieg nicht nothwendig gleich auf der Stelle zur Freiheit führen, Oestreichs Sieg aber allezeit unbedingt gleichbedeutend sein wird mit der tödlichsten Reaction. Im Uebrigen wird der König sie schwerlich in solche Verlegenheit setzen. Es wird diesem Herrn so schwer, sein Zeichen unter irgendeine halbwegs freisinnige und volksthümliche Maßregel zu setzen, daß an eine mehr oder weniger freiwillige, aus politischer Berechnung hervorgehende Neactivirung des gebrochenen Ver- fassungsrechtes schlechterdings nicht zu denken sein wird. An der drohenden Auslöschung des eignen Staats aus der Zahl der Leben¬ den nimmt die Bevölkerung nicht mehr Antheil, als wenn es sich um die Neu¬ gestaltung einer Provinz oder Gemeinde handelte. Alles Interesse knüpft sich ausschließlich an den preußisch-östreichischen Entscheidungskampf. Aber es wäre zu sanguinisch, wenn man daraus schließen wollte, daß die Stimmung Positiv Preußisch wäre. Das kann sie erst nach einem tiefgehenden Umschwung in Berlin werden. Vorläufig hält man sich notgedrungen zurück. Sollten die Grenzboten II. 18os. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/421>, abgerufen am 15.05.2024.