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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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lung der Maria, Jesu Geburt, seine Taufe, die Verklärung, die Speisung u. s. w.
ausgerechnet. Auf allen Wanderungen Jesu zwischen Galiläa und Judäa hin
und her, auf allen Ausflügen, die zwischen die größeren Reisen fallen, begleitet
ihn der genaue Chronist und verzeichnet Tag und Stunde, bis zum 19. April
782, dem Tag der Auferstehung. Die Kleinlichkeit dieser Berechnungen, die
einen großen Raum einnehmen, ist um so ausfallender, als über die eigentlich
historischen Probleme, die in einem Leben Jesu zur Sprache kommen, fast ganz
hinweggegangen wird, so über die religiösen Zustände der Juden in der da¬
maligen Zeit, über das Verhältniß Jesu zur Messiasidee, über die Entwicklung
seines religiösen Bewußtseins, über seine Stellung zum Judenthum und zum
Heidenthum. Konnte das Buch, an welchem Vunscn bis ins Jahr 1860 gear¬
beitet hat, als Vervollständigung des Bibelwerks nicht ungedruckt bleiben, so
ist doch schwer zu sagen, in welchem Punkt es unsere historische Kenntniß vom
Leben Jesu wirklich fördert. Freilich ist auch dies ein Gewinn an einem
neuen, in edler Absicht und mit ungewöhnlichem Geist und Gelehrsamkeit unter¬
nommenen Versuch, die Consequenzen falscher Prämissen und willkürlichen Schwan¬
kens zwischen Kritik und Tradition zu constatiren.




Der Apostel Paulus. Von Lie. A. Hausrath. Heidelberg, Basser¬
mann. 1865.

Die Schwierigkeit, ein Leben Jesu zu schreiben, liegt in der Beschaffenheit
der Quellen. Ungleich besser steht es in dieser Beziehung mit dem Apostel
Paulus, dessen Gestalt uns mit scharf markirten Zügen entgegentritt, dessen
Lebensgang im Ganzen hell vor uns liegt, dessen persönliche und geschichtliche
Stellung in seinen eigenen Briefen documcntarisch bezeugt ist. Dazu ist die
Zeit der claudischcn Kaiser vollkommen aufgehellt, und das Leben des Paulus
hat so viele Berührungspunkte mit der römischen Welt, daß der Versuch, eine
Biographie des Apostels zu schreiben, nicht allzukühn erscheint. Hausrath hat
diesen Versuch unternommen und sehr glücklich durchgeführt. Hier durste man,
ohne bei jedem Schritt in kritische Untersuchungen verwickelt zu werden, den
Ton der geschichtlichen Erzählung wäg.en, die Schrift ist ein Muster, wie solche
Gegenstände, die bisher entweder der erbaulichen Literatur oder der gelehrten
Untersuchung angehörten, für das Gebiet der Historie gewonnen werden kön¬
nen: man vergißt, daß der Verfasser Theologe ist. In erster Linie sind natür¬
lich die Briefe des Apostels beruht. Aber auch aus den Prvfanschriftstellcrn
sind mit großem Fleiß aufklärende Notizen zusammengetragen, und der Bezug,
der stets auf die allgemeinen Zeitverhältnisse genommen wird, vollendet den


lung der Maria, Jesu Geburt, seine Taufe, die Verklärung, die Speisung u. s. w.
ausgerechnet. Auf allen Wanderungen Jesu zwischen Galiläa und Judäa hin
und her, auf allen Ausflügen, die zwischen die größeren Reisen fallen, begleitet
ihn der genaue Chronist und verzeichnet Tag und Stunde, bis zum 19. April
782, dem Tag der Auferstehung. Die Kleinlichkeit dieser Berechnungen, die
einen großen Raum einnehmen, ist um so ausfallender, als über die eigentlich
historischen Probleme, die in einem Leben Jesu zur Sprache kommen, fast ganz
hinweggegangen wird, so über die religiösen Zustände der Juden in der da¬
maligen Zeit, über das Verhältniß Jesu zur Messiasidee, über die Entwicklung
seines religiösen Bewußtseins, über seine Stellung zum Judenthum und zum
Heidenthum. Konnte das Buch, an welchem Vunscn bis ins Jahr 1860 gear¬
beitet hat, als Vervollständigung des Bibelwerks nicht ungedruckt bleiben, so
ist doch schwer zu sagen, in welchem Punkt es unsere historische Kenntniß vom
Leben Jesu wirklich fördert. Freilich ist auch dies ein Gewinn an einem
neuen, in edler Absicht und mit ungewöhnlichem Geist und Gelehrsamkeit unter¬
nommenen Versuch, die Consequenzen falscher Prämissen und willkürlichen Schwan¬
kens zwischen Kritik und Tradition zu constatiren.




Der Apostel Paulus. Von Lie. A. Hausrath. Heidelberg, Basser¬
mann. 1865.

Die Schwierigkeit, ein Leben Jesu zu schreiben, liegt in der Beschaffenheit
der Quellen. Ungleich besser steht es in dieser Beziehung mit dem Apostel
Paulus, dessen Gestalt uns mit scharf markirten Zügen entgegentritt, dessen
Lebensgang im Ganzen hell vor uns liegt, dessen persönliche und geschichtliche
Stellung in seinen eigenen Briefen documcntarisch bezeugt ist. Dazu ist die
Zeit der claudischcn Kaiser vollkommen aufgehellt, und das Leben des Paulus
hat so viele Berührungspunkte mit der römischen Welt, daß der Versuch, eine
Biographie des Apostels zu schreiben, nicht allzukühn erscheint. Hausrath hat
diesen Versuch unternommen und sehr glücklich durchgeführt. Hier durste man,
ohne bei jedem Schritt in kritische Untersuchungen verwickelt zu werden, den
Ton der geschichtlichen Erzählung wäg.en, die Schrift ist ein Muster, wie solche
Gegenstände, die bisher entweder der erbaulichen Literatur oder der gelehrten
Untersuchung angehörten, für das Gebiet der Historie gewonnen werden kön¬
nen: man vergißt, daß der Verfasser Theologe ist. In erster Linie sind natür¬
lich die Briefe des Apostels beruht. Aber auch aus den Prvfanschriftstellcrn
sind mit großem Fleiß aufklärende Notizen zusammengetragen, und der Bezug,
der stets auf die allgemeinen Zeitverhältnisse genommen wird, vollendet den


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[0044] lung der Maria, Jesu Geburt, seine Taufe, die Verklärung, die Speisung u. s. w. ausgerechnet. Auf allen Wanderungen Jesu zwischen Galiläa und Judäa hin und her, auf allen Ausflügen, die zwischen die größeren Reisen fallen, begleitet ihn der genaue Chronist und verzeichnet Tag und Stunde, bis zum 19. April 782, dem Tag der Auferstehung. Die Kleinlichkeit dieser Berechnungen, die einen großen Raum einnehmen, ist um so ausfallender, als über die eigentlich historischen Probleme, die in einem Leben Jesu zur Sprache kommen, fast ganz hinweggegangen wird, so über die religiösen Zustände der Juden in der da¬ maligen Zeit, über das Verhältniß Jesu zur Messiasidee, über die Entwicklung seines religiösen Bewußtseins, über seine Stellung zum Judenthum und zum Heidenthum. Konnte das Buch, an welchem Vunscn bis ins Jahr 1860 gear¬ beitet hat, als Vervollständigung des Bibelwerks nicht ungedruckt bleiben, so ist doch schwer zu sagen, in welchem Punkt es unsere historische Kenntniß vom Leben Jesu wirklich fördert. Freilich ist auch dies ein Gewinn an einem neuen, in edler Absicht und mit ungewöhnlichem Geist und Gelehrsamkeit unter¬ nommenen Versuch, die Consequenzen falscher Prämissen und willkürlichen Schwan¬ kens zwischen Kritik und Tradition zu constatiren. Der Apostel Paulus. Von Lie. A. Hausrath. Heidelberg, Basser¬ mann. 1865. Die Schwierigkeit, ein Leben Jesu zu schreiben, liegt in der Beschaffenheit der Quellen. Ungleich besser steht es in dieser Beziehung mit dem Apostel Paulus, dessen Gestalt uns mit scharf markirten Zügen entgegentritt, dessen Lebensgang im Ganzen hell vor uns liegt, dessen persönliche und geschichtliche Stellung in seinen eigenen Briefen documcntarisch bezeugt ist. Dazu ist die Zeit der claudischcn Kaiser vollkommen aufgehellt, und das Leben des Paulus hat so viele Berührungspunkte mit der römischen Welt, daß der Versuch, eine Biographie des Apostels zu schreiben, nicht allzukühn erscheint. Hausrath hat diesen Versuch unternommen und sehr glücklich durchgeführt. Hier durste man, ohne bei jedem Schritt in kritische Untersuchungen verwickelt zu werden, den Ton der geschichtlichen Erzählung wäg.en, die Schrift ist ein Muster, wie solche Gegenstände, die bisher entweder der erbaulichen Literatur oder der gelehrten Untersuchung angehörten, für das Gebiet der Historie gewonnen werden kön¬ nen: man vergißt, daß der Verfasser Theologe ist. In erster Linie sind natür¬ lich die Briefe des Apostels beruht. Aber auch aus den Prvfanschriftstellcrn sind mit großem Fleiß aufklärende Notizen zusammengetragen, und der Bezug, der stets auf die allgemeinen Zeitverhältnisse genommen wird, vollendet den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/44>, abgerufen am 29.04.2024.