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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ohne Zweifel große Heiterkeit und bei näherer Nachforschung Dankbarkeit gegen
den Meister von Nazareth hervorrufen mußten. Der Speisemeister hatte das
Treffliche des Getränks hervorgehoben, und mit Recht; daß der köstliche Wein
sehr verdünnt war. wurde ohne Zweifel von den Wohlgesinnten. Mäßigen mit
Dankbarkeit empfunden, denn der Trank war erfrischend und wohlschmeckend zu¬
gleich, und sein Genuß erhöhte die heitere Stimmung der Gäste, ohne den Rausch
zu vermehren. Mit Einem Worte: das Gute siegte. Jesus hatte seinen menschen¬
freundlichen Zweck erreicht und das Fest hatte schön geendet. -- Nun wenn
das der Vorgang war, welcher der Erzählung des Johannes zu Grunde liegt, so hat
Jesus ohne Zweifel für die Heiterkeit der Hochzeitsgäste Von Kana, sein Ge¬
schichtsschreiber und Ausleger aber für die Heiterkeit spätester Geschlechter
gesorgt!

Nicht minder rationalistisch ist die Erklärung der Auferstehung Jesu. Die
Auflösung war noch nicht eingetreten, Jesus kam mit demselben Leibe wieder
aus dem Grabe hervor, kurz, er war nur scheintodt gewesen, verkehrte noch 40
Tage mit seinen Jüngern und ging nach dem Abschied von ihnen über die
Grenze nach Phönixen, um den Heiden zu predigen, ohne jedoch die Aufregung
der letzten Wochen und Tage lange zu überleben. Leider vermißt man eine
eingehende Erklärung der vom "Augenzeugen" Johannes berichteten Aufer-
weckung des Lazarus. dieses Prüfsteins für alle Auslegungskunst. Doch geht aus
einer hingeworfenen Aeußerung von der "tödtlichen Krankheit" des Lazarus
hervor, daß auch hier der Scheintod das bequeme Auskunftsmittel ist.

Bekannt ist die mystische Terminologie, mit welcher Bunsen die Bibel in
den Mittelpunkt der Weltgeschichte zu rücken bestrebt war. Damit hängen seine
Theorien über Offenbarung und Schrift, seine Ausführungen über den "welt¬
geschichtlichen Bibclschlüssel", über "weltgeschichtliche Kritik" u. s. w. zusammen,
denen kaum mehr als eine rein subjective Bedeutung zukommt; was um so
Water ist, als das ganze Bibelwerk bekanntlich für die Gemeinde bestimmt sein
s°U. Man kann es fast tragisch nennen, daß hinter diesem Werk, das eine so
umfassende Bestimmung zur Aufschrift hat, niemand steht, als die Persönlichkeit
seines Verfassers. Auch' in der Vorliebe, mit der gewisse Partien behandelt
sind, verräth sich die Subjektivität des Verfassers. Bunsens besondere Lieb¬
haberei war die Chronologie, und so ist auch in dem Leben Jesu auf die chro-
nologischen Untersuchungen ein undenklicher Fleiß und Scharfsinn verwandt, der
mit der Wichtigkeit der Ergebnisse in gar keinem Verhältnisse steht, davon ab-
gesehen, daß die Berechnungen durchaus aus sehr unsicherem Grund ruhen.
Bunsen weiß ganz genau, daß Zacharias seinen Dienst am Tempel am 3. October
des Jahres 748 angetreten und am 9. beendigt hat. Bis auf den Monat und
fast den Tag wird die Empfängnis; des Johannes, seine Geburt, die Vermach-


Grenzbotm II. 18S6. 8

ohne Zweifel große Heiterkeit und bei näherer Nachforschung Dankbarkeit gegen
den Meister von Nazareth hervorrufen mußten. Der Speisemeister hatte das
Treffliche des Getränks hervorgehoben, und mit Recht; daß der köstliche Wein
sehr verdünnt war. wurde ohne Zweifel von den Wohlgesinnten. Mäßigen mit
Dankbarkeit empfunden, denn der Trank war erfrischend und wohlschmeckend zu¬
gleich, und sein Genuß erhöhte die heitere Stimmung der Gäste, ohne den Rausch
zu vermehren. Mit Einem Worte: das Gute siegte. Jesus hatte seinen menschen¬
freundlichen Zweck erreicht und das Fest hatte schön geendet. — Nun wenn
das der Vorgang war, welcher der Erzählung des Johannes zu Grunde liegt, so hat
Jesus ohne Zweifel für die Heiterkeit der Hochzeitsgäste Von Kana, sein Ge¬
schichtsschreiber und Ausleger aber für die Heiterkeit spätester Geschlechter
gesorgt!

Nicht minder rationalistisch ist die Erklärung der Auferstehung Jesu. Die
Auflösung war noch nicht eingetreten, Jesus kam mit demselben Leibe wieder
aus dem Grabe hervor, kurz, er war nur scheintodt gewesen, verkehrte noch 40
Tage mit seinen Jüngern und ging nach dem Abschied von ihnen über die
Grenze nach Phönixen, um den Heiden zu predigen, ohne jedoch die Aufregung
der letzten Wochen und Tage lange zu überleben. Leider vermißt man eine
eingehende Erklärung der vom „Augenzeugen" Johannes berichteten Aufer-
weckung des Lazarus. dieses Prüfsteins für alle Auslegungskunst. Doch geht aus
einer hingeworfenen Aeußerung von der „tödtlichen Krankheit" des Lazarus
hervor, daß auch hier der Scheintod das bequeme Auskunftsmittel ist.

Bekannt ist die mystische Terminologie, mit welcher Bunsen die Bibel in
den Mittelpunkt der Weltgeschichte zu rücken bestrebt war. Damit hängen seine
Theorien über Offenbarung und Schrift, seine Ausführungen über den „welt¬
geschichtlichen Bibclschlüssel", über „weltgeschichtliche Kritik" u. s. w. zusammen,
denen kaum mehr als eine rein subjective Bedeutung zukommt; was um so
Water ist, als das ganze Bibelwerk bekanntlich für die Gemeinde bestimmt sein
s°U. Man kann es fast tragisch nennen, daß hinter diesem Werk, das eine so
umfassende Bestimmung zur Aufschrift hat, niemand steht, als die Persönlichkeit
seines Verfassers. Auch' in der Vorliebe, mit der gewisse Partien behandelt
sind, verräth sich die Subjektivität des Verfassers. Bunsens besondere Lieb¬
haberei war die Chronologie, und so ist auch in dem Leben Jesu auf die chro-
nologischen Untersuchungen ein undenklicher Fleiß und Scharfsinn verwandt, der
mit der Wichtigkeit der Ergebnisse in gar keinem Verhältnisse steht, davon ab-
gesehen, daß die Berechnungen durchaus aus sehr unsicherem Grund ruhen.
Bunsen weiß ganz genau, daß Zacharias seinen Dienst am Tempel am 3. October
des Jahres 748 angetreten und am 9. beendigt hat. Bis auf den Monat und
fast den Tag wird die Empfängnis; des Johannes, seine Geburt, die Vermach-


Grenzbotm II. 18S6. 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/43>, abgerufen am 15.05.2024.