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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Deutsche Studenten in alter Zeit.
Moritz Busch. Von
4. Das akademische Leben nach dem dreißigjährigen Kriege.

"Fürwahr" -- so läßt sich Meyfart in seinen oft angczognen Klageliedern
über den Verfall der deutschen Hochschulen im ersten Drittel des siebzehnten
Jahrhunderts*) vernehmen -- "die evangelischen Universitäten waren anfäng¬
lich würdig, besichtigt zu werden, nicht nur (er spielt auf das Gesicht Dan.
Cav. 7 an) bei der Nacht, sondern auch bei Hellem Tage. Sie waren wie das
vierte Thier des Danielis greulig und schrecklich: greulig und schrecklich den
Ketzern, den Rotten und Secten, den Schismatischen, die übel eiferten und
zankten, den Sophisten und Klüglingen. Sie waren sehr stark und hatten
große eiserne Zähne, von trefflicher Beredsamkeit im Disputiren, im Schreiben,
im Commentiren, sie fraßen um sich und zermalmeten, und das haben erfahren
die Ketzer, die Rotten, die Secten, die schismatischen Eiferer und Zänker, die
Sophisten und Klüglinge." "Sie hatten zehn Hörner, vier von den Facultäten
und sechs von den Morgen- und Abendsprachen. Da aber vortreffliche Pro-
fessores zum fleißigsten zuschaueten, siehe da brach hervor zwischen denselbigen
ein anderes, im Anfange kleines und geringes Horn, aber da es Stärke bekam,
mußten vor ihm drei der vordersten Hörner, darunter LlrsolOAia, xraetieg., aus¬
gerissen werden, und siehe, dasselbige Horn, die akademische Barbarei, hatte
Augen wie Menschen und ein Maul, das redete große und freche Dinge."

Meyfart ist eine lebhafte Natur, seine Schrift spricht die zu Hyperbeln
geneigte Sprache damaliger Kanzeln, sein Gleichniß ist mehr phantasievoll als
geschmackvoll, aber was er damit meint, ist leider nur zu wahr. Die Barbarei
hatte in dieser Zeit alle Fächer des akademischen Studiums überwachsen, und
sie redete nicht blos, sondern that auch die frechsten Dinge. Waren, wie wir
gesehen, die deutschen Universitäten, besonders die protestantischen, wo die Je¬
suiten ihre Schulzucht nicht einführen konnten, schon in der zweiten Hälfte des
sechzehnten Jahrhunderts stark verwildert, so steigerte die erste Hälfte des sol-
genden mit dem furchtbaren Kriege, der sie drei Decennien durchtobte, die Zucht-



") Christliche und wohlgemeinte Erinnerung von Wiedererbauung der akademischen Dis¬
ciplin, wo dieselbige etwan auf evangelischen hohen Schulen gemindert worden, wie auch dem
betrübten Elende, so bannender zu entstehen Pflegen. Vor etlichen Jahren in dem Namen
Gottes ausgesetzet, nunmehr aber an den Tag gegeben durch Johannen, Matthcium Meyfartum,
der heiligen Schrift Doctoren und Professoren: bei der uralten und erneuerten Universität
Erfurt. Schleusingen, 1K36.
Grenzboten U. ILtiö. 63
Deutsche Studenten in alter Zeit.
Moritz Busch. Von
4. Das akademische Leben nach dem dreißigjährigen Kriege.

„Fürwahr" — so läßt sich Meyfart in seinen oft angczognen Klageliedern
über den Verfall der deutschen Hochschulen im ersten Drittel des siebzehnten
Jahrhunderts*) vernehmen — „die evangelischen Universitäten waren anfäng¬
lich würdig, besichtigt zu werden, nicht nur (er spielt auf das Gesicht Dan.
Cav. 7 an) bei der Nacht, sondern auch bei Hellem Tage. Sie waren wie das
vierte Thier des Danielis greulig und schrecklich: greulig und schrecklich den
Ketzern, den Rotten und Secten, den Schismatischen, die übel eiferten und
zankten, den Sophisten und Klüglingen. Sie waren sehr stark und hatten
große eiserne Zähne, von trefflicher Beredsamkeit im Disputiren, im Schreiben,
im Commentiren, sie fraßen um sich und zermalmeten, und das haben erfahren
die Ketzer, die Rotten, die Secten, die schismatischen Eiferer und Zänker, die
Sophisten und Klüglinge." „Sie hatten zehn Hörner, vier von den Facultäten
und sechs von den Morgen- und Abendsprachen. Da aber vortreffliche Pro-
fessores zum fleißigsten zuschaueten, siehe da brach hervor zwischen denselbigen
ein anderes, im Anfange kleines und geringes Horn, aber da es Stärke bekam,
mußten vor ihm drei der vordersten Hörner, darunter LlrsolOAia, xraetieg., aus¬
gerissen werden, und siehe, dasselbige Horn, die akademische Barbarei, hatte
Augen wie Menschen und ein Maul, das redete große und freche Dinge."

Meyfart ist eine lebhafte Natur, seine Schrift spricht die zu Hyperbeln
geneigte Sprache damaliger Kanzeln, sein Gleichniß ist mehr phantasievoll als
geschmackvoll, aber was er damit meint, ist leider nur zu wahr. Die Barbarei
hatte in dieser Zeit alle Fächer des akademischen Studiums überwachsen, und
sie redete nicht blos, sondern that auch die frechsten Dinge. Waren, wie wir
gesehen, die deutschen Universitäten, besonders die protestantischen, wo die Je¬
suiten ihre Schulzucht nicht einführen konnten, schon in der zweiten Hälfte des
sechzehnten Jahrhunderts stark verwildert, so steigerte die erste Hälfte des sol-
genden mit dem furchtbaren Kriege, der sie drei Decennien durchtobte, die Zucht-



") Christliche und wohlgemeinte Erinnerung von Wiedererbauung der akademischen Dis¬
ciplin, wo dieselbige etwan auf evangelischen hohen Schulen gemindert worden, wie auch dem
betrübten Elende, so bannender zu entstehen Pflegen. Vor etlichen Jahren in dem Namen
Gottes ausgesetzet, nunmehr aber an den Tag gegeben durch Johannen, Matthcium Meyfartum,
der heiligen Schrift Doctoren und Professoren: bei der uralten und erneuerten Universität
Erfurt. Schleusingen, 1K36.
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[0447] Deutsche Studenten in alter Zeit. Moritz Busch. Von 4. Das akademische Leben nach dem dreißigjährigen Kriege. „Fürwahr" — so läßt sich Meyfart in seinen oft angczognen Klageliedern über den Verfall der deutschen Hochschulen im ersten Drittel des siebzehnten Jahrhunderts*) vernehmen — „die evangelischen Universitäten waren anfäng¬ lich würdig, besichtigt zu werden, nicht nur (er spielt auf das Gesicht Dan. Cav. 7 an) bei der Nacht, sondern auch bei Hellem Tage. Sie waren wie das vierte Thier des Danielis greulig und schrecklich: greulig und schrecklich den Ketzern, den Rotten und Secten, den Schismatischen, die übel eiferten und zankten, den Sophisten und Klüglingen. Sie waren sehr stark und hatten große eiserne Zähne, von trefflicher Beredsamkeit im Disputiren, im Schreiben, im Commentiren, sie fraßen um sich und zermalmeten, und das haben erfahren die Ketzer, die Rotten, die Secten, die schismatischen Eiferer und Zänker, die Sophisten und Klüglinge." „Sie hatten zehn Hörner, vier von den Facultäten und sechs von den Morgen- und Abendsprachen. Da aber vortreffliche Pro- fessores zum fleißigsten zuschaueten, siehe da brach hervor zwischen denselbigen ein anderes, im Anfange kleines und geringes Horn, aber da es Stärke bekam, mußten vor ihm drei der vordersten Hörner, darunter LlrsolOAia, xraetieg., aus¬ gerissen werden, und siehe, dasselbige Horn, die akademische Barbarei, hatte Augen wie Menschen und ein Maul, das redete große und freche Dinge." Meyfart ist eine lebhafte Natur, seine Schrift spricht die zu Hyperbeln geneigte Sprache damaliger Kanzeln, sein Gleichniß ist mehr phantasievoll als geschmackvoll, aber was er damit meint, ist leider nur zu wahr. Die Barbarei hatte in dieser Zeit alle Fächer des akademischen Studiums überwachsen, und sie redete nicht blos, sondern that auch die frechsten Dinge. Waren, wie wir gesehen, die deutschen Universitäten, besonders die protestantischen, wo die Je¬ suiten ihre Schulzucht nicht einführen konnten, schon in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts stark verwildert, so steigerte die erste Hälfte des sol- genden mit dem furchtbaren Kriege, der sie drei Decennien durchtobte, die Zucht- ") Christliche und wohlgemeinte Erinnerung von Wiedererbauung der akademischen Dis¬ ciplin, wo dieselbige etwan auf evangelischen hohen Schulen gemindert worden, wie auch dem betrübten Elende, so bannender zu entstehen Pflegen. Vor etlichen Jahren in dem Namen Gottes ausgesetzet, nunmehr aber an den Tag gegeben durch Johannen, Matthcium Meyfartum, der heiligen Schrift Doctoren und Professoren: bei der uralten und erneuerten Universität Erfurt. Schleusingen, 1K36. Grenzboten U. ILtiö. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/447>, abgerufen am 29.04.2024.