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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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und Sittenlosigkeit wie in allen Zuständen und Verhältnissen, so auch in denen
der akademischen Jugend zu einem Grade, der unsrer verständigen und wohl¬
geordneten Welt, wäre er nicht zu sicher bezeugt, wie ein greuelvolles, ungeheuer¬
licher Phantasie entsprungnes Märchen erscheinen müßte. Alle Gesetze und Ord¬
nungen waren aus den Fugen gegangen, die Autoritäten eingeschüchtert oder
ganz verstummt, nicht blos die meisten Schüler, sondern auch viele Lehrer ohne
sittlichen Halt und ohne wissenschaftliches Streben. Was die Schamlosigkeit,
die Gewaltthätigkeit, die Naubsucht der starken Hand draußen in der großen
Welt trieb, wurde in der kleinen Welt der Studentenschaften mit allen seinen
blutigen und unfläthigen Greueln und Freveln getreulich nachgespielt. Die
Rohheit und Liederlichkeit, das Raufen, Zechen und Renommiren erreichte den
Gipfel des Möglichen und nicht mehr, wie bisher, viele Einzelne, sondern viele
Hunderte, nach unserm Kraftmann Meyfart sogar Tausende, gingen dabei in
traurigster Weise zu Grunde.

Mcyfart meint zwar, die deutsche Zunge sei "viel zu arm, die damaligen
akademischen Harpyen nach Würden zu beschreiben". Wir werden es aber doch
versuchen, und zwar werden wir uns dabei unter anderm an die Expectorationen
seiner Entrüstung selbst, die zwar nicht immer recht sauber und salonfähig, aber
meist sehr anschaulich sind, dann an einige andere Quellen, wie Schupvius,
Moscherosch und Schöttgen, zunächst aber an Meyfarts Lehrer, den Magister
Wolfgang Heyder halten, welcher bei seinem Antritt des Rectorats zu Jena
im Jahre 1607 die nachstehend im Auszug mitgetheilte Rede über jene
Harpyen hielt.

Wie billig, beginnt unser Redner mit Untersuchung der Gottesfurcht bei
seinem Gegenstand, und in dieser Beziehung hat er gleich zu Anfang seines
sermons Greuel über Greuel zu melden. Der ruchlose Student betet nicht,
und von andern deshalb säuberlich gestraft, "spricht der Kerl: Die Säue, ob
sie wohl Gott niemals verehren und anrufen, werden sie doch sehr fett auf
ihren Mastställen." "Vor dem Tempel gehet er ungern vorüber, zu geschweige",
daß er hineinkommen sollte. Ja er ist ein so seltsamer Vogel in der Kirche,
als ein schwarzer Schwan in den afrikanischen Wäldern." "Die heilige Schrift
hat er weder zur Hand, noch achtet er sie würdig darin zu lesen, es sei denn,
daß er in Stößen tapfer ist empfangen, mit Streichen, Striemen und Schwertern
also ist zerzauset, zerschmieret, zerbuttnert und zermeistert worden, daß er kaum
Athem Schöpfet und anhebet an dem Leben zu zweifeln." "Sobald aber der
Barbier seinen Clienten heißet guter Hoffnung sein, wird jenes alte Buch wieder
weggethan."

"Grüßet ihn jemand als Studenten, so rufet er Götter und Menschen zu
Zeugen an, daß ihm die größte Schmach angethan worden. Aber wenn du
ihn einen Herrn von Adel heißest oder Junker, so kritzele ihn das aufs Süßeste


und Sittenlosigkeit wie in allen Zuständen und Verhältnissen, so auch in denen
der akademischen Jugend zu einem Grade, der unsrer verständigen und wohl¬
geordneten Welt, wäre er nicht zu sicher bezeugt, wie ein greuelvolles, ungeheuer¬
licher Phantasie entsprungnes Märchen erscheinen müßte. Alle Gesetze und Ord¬
nungen waren aus den Fugen gegangen, die Autoritäten eingeschüchtert oder
ganz verstummt, nicht blos die meisten Schüler, sondern auch viele Lehrer ohne
sittlichen Halt und ohne wissenschaftliches Streben. Was die Schamlosigkeit,
die Gewaltthätigkeit, die Naubsucht der starken Hand draußen in der großen
Welt trieb, wurde in der kleinen Welt der Studentenschaften mit allen seinen
blutigen und unfläthigen Greueln und Freveln getreulich nachgespielt. Die
Rohheit und Liederlichkeit, das Raufen, Zechen und Renommiren erreichte den
Gipfel des Möglichen und nicht mehr, wie bisher, viele Einzelne, sondern viele
Hunderte, nach unserm Kraftmann Meyfart sogar Tausende, gingen dabei in
traurigster Weise zu Grunde.

Mcyfart meint zwar, die deutsche Zunge sei „viel zu arm, die damaligen
akademischen Harpyen nach Würden zu beschreiben". Wir werden es aber doch
versuchen, und zwar werden wir uns dabei unter anderm an die Expectorationen
seiner Entrüstung selbst, die zwar nicht immer recht sauber und salonfähig, aber
meist sehr anschaulich sind, dann an einige andere Quellen, wie Schupvius,
Moscherosch und Schöttgen, zunächst aber an Meyfarts Lehrer, den Magister
Wolfgang Heyder halten, welcher bei seinem Antritt des Rectorats zu Jena
im Jahre 1607 die nachstehend im Auszug mitgetheilte Rede über jene
Harpyen hielt.

Wie billig, beginnt unser Redner mit Untersuchung der Gottesfurcht bei
seinem Gegenstand, und in dieser Beziehung hat er gleich zu Anfang seines
sermons Greuel über Greuel zu melden. Der ruchlose Student betet nicht,
und von andern deshalb säuberlich gestraft, „spricht der Kerl: Die Säue, ob
sie wohl Gott niemals verehren und anrufen, werden sie doch sehr fett auf
ihren Mastställen." „Vor dem Tempel gehet er ungern vorüber, zu geschweige«,
daß er hineinkommen sollte. Ja er ist ein so seltsamer Vogel in der Kirche,
als ein schwarzer Schwan in den afrikanischen Wäldern." „Die heilige Schrift
hat er weder zur Hand, noch achtet er sie würdig darin zu lesen, es sei denn,
daß er in Stößen tapfer ist empfangen, mit Streichen, Striemen und Schwertern
also ist zerzauset, zerschmieret, zerbuttnert und zermeistert worden, daß er kaum
Athem Schöpfet und anhebet an dem Leben zu zweifeln." „Sobald aber der
Barbier seinen Clienten heißet guter Hoffnung sein, wird jenes alte Buch wieder
weggethan."

„Grüßet ihn jemand als Studenten, so rufet er Götter und Menschen zu
Zeugen an, daß ihm die größte Schmach angethan worden. Aber wenn du
ihn einen Herrn von Adel heißest oder Junker, so kritzele ihn das aufs Süßeste


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[0448] und Sittenlosigkeit wie in allen Zuständen und Verhältnissen, so auch in denen der akademischen Jugend zu einem Grade, der unsrer verständigen und wohl¬ geordneten Welt, wäre er nicht zu sicher bezeugt, wie ein greuelvolles, ungeheuer¬ licher Phantasie entsprungnes Märchen erscheinen müßte. Alle Gesetze und Ord¬ nungen waren aus den Fugen gegangen, die Autoritäten eingeschüchtert oder ganz verstummt, nicht blos die meisten Schüler, sondern auch viele Lehrer ohne sittlichen Halt und ohne wissenschaftliches Streben. Was die Schamlosigkeit, die Gewaltthätigkeit, die Naubsucht der starken Hand draußen in der großen Welt trieb, wurde in der kleinen Welt der Studentenschaften mit allen seinen blutigen und unfläthigen Greueln und Freveln getreulich nachgespielt. Die Rohheit und Liederlichkeit, das Raufen, Zechen und Renommiren erreichte den Gipfel des Möglichen und nicht mehr, wie bisher, viele Einzelne, sondern viele Hunderte, nach unserm Kraftmann Meyfart sogar Tausende, gingen dabei in traurigster Weise zu Grunde. Mcyfart meint zwar, die deutsche Zunge sei „viel zu arm, die damaligen akademischen Harpyen nach Würden zu beschreiben". Wir werden es aber doch versuchen, und zwar werden wir uns dabei unter anderm an die Expectorationen seiner Entrüstung selbst, die zwar nicht immer recht sauber und salonfähig, aber meist sehr anschaulich sind, dann an einige andere Quellen, wie Schupvius, Moscherosch und Schöttgen, zunächst aber an Meyfarts Lehrer, den Magister Wolfgang Heyder halten, welcher bei seinem Antritt des Rectorats zu Jena im Jahre 1607 die nachstehend im Auszug mitgetheilte Rede über jene Harpyen hielt. Wie billig, beginnt unser Redner mit Untersuchung der Gottesfurcht bei seinem Gegenstand, und in dieser Beziehung hat er gleich zu Anfang seines sermons Greuel über Greuel zu melden. Der ruchlose Student betet nicht, und von andern deshalb säuberlich gestraft, „spricht der Kerl: Die Säue, ob sie wohl Gott niemals verehren und anrufen, werden sie doch sehr fett auf ihren Mastställen." „Vor dem Tempel gehet er ungern vorüber, zu geschweige«, daß er hineinkommen sollte. Ja er ist ein so seltsamer Vogel in der Kirche, als ein schwarzer Schwan in den afrikanischen Wäldern." „Die heilige Schrift hat er weder zur Hand, noch achtet er sie würdig darin zu lesen, es sei denn, daß er in Stößen tapfer ist empfangen, mit Streichen, Striemen und Schwertern also ist zerzauset, zerschmieret, zerbuttnert und zermeistert worden, daß er kaum Athem Schöpfet und anhebet an dem Leben zu zweifeln." „Sobald aber der Barbier seinen Clienten heißet guter Hoffnung sein, wird jenes alte Buch wieder weggethan." „Grüßet ihn jemand als Studenten, so rufet er Götter und Menschen zu Zeugen an, daß ihm die größte Schmach angethan worden. Aber wenn du ihn einen Herrn von Adel heißest oder Junker, so kritzele ihn das aufs Süßeste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/448>, abgerufen am 16.05.2024.