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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Die Schwüle der Erwartung.

Holstein durch die Preußen besetzt, die Oestreicher artig über die Grenze
befördert, Preußen dafür beim Bunde wegen Friedensbruch verklagt, der öst¬
reichische Gesandte aus Berlin abgerufen; das ist noch nicht der Krieg, aber
es sind die letzten Schritte, welche ihn unvermeidlich machen.

Ob der nächste Tag die Nachricht von Eröffnung der Feindseligkeiten
bringt, ob noch Wochen darüber vergehen, das ist jetzt ungeduldige Frage aller,
denn auch diese Tage der Unsicherheit und aufgeregten Erwartung lahmen die
Spannkraft, die Wetterschwüle liegt auf Handel und Verkehr, träge rinnt das
Geld, das Blut unsrer Geschäftswelt, durch die Adern des deutschen Leibes,
gepreßte Herzen, gefurchte Stirnen überall.

Und doch. Vielen der sorgenvollen Menschen macht diese Zeit großer poli¬
tischer Entscheidungen zugleich etwas Neues lebendig. Viele von uns haben
Stunden, wo ihnen das eigene Treiben und die Interessen des Privatlebens
klein erscheinen, sie wundern sich vielleicht mitten in ihrer Tagesarbeit, daß sie
unmittelbar vor einem ungeheuern Schicksal, das sie selbst ergreifen mag, ihre
Wirthschaft überwachen, oder in ihrer Commune über das Amt eines neuen
Promenadenwächters berathen, oder eine schöne Abhandlung über das griechische
Medium oder über gewisse Umrisse schreiben, welche 600 Jahre vor Christus ein
griechischer Töpfer auf eine erhaltene Scherbe gezeichnet hat. Das eigene Leben
ist kleiner geworden und das Gemeingefühl größer. Wir thun unsere Pflicht
ernsthaft wie im halben Traum, die Sammlung wird nicht immer leicht, und
jedes Zeitungsblatt, das in unser Zimmer fliegt, regt einen Wirbelwind von
heftiger Empfindung, banger Sorge und dazwischen von stolzen Gedanken aus.
Wir werden andere durch die Zeit, in aller Seelen schlägt sie die Erkenntniß,
daß die letzten Grundlagen jeden privaten Gedeihens so fest im Staate wurzeln,
daß sein Unglück auch unser Unglück, seine Ehre auch unsere höchste Ehre ist.


Mtnzbotm II. 1860. .66
Die Schwüle der Erwartung.

Holstein durch die Preußen besetzt, die Oestreicher artig über die Grenze
befördert, Preußen dafür beim Bunde wegen Friedensbruch verklagt, der öst¬
reichische Gesandte aus Berlin abgerufen; das ist noch nicht der Krieg, aber
es sind die letzten Schritte, welche ihn unvermeidlich machen.

Ob der nächste Tag die Nachricht von Eröffnung der Feindseligkeiten
bringt, ob noch Wochen darüber vergehen, das ist jetzt ungeduldige Frage aller,
denn auch diese Tage der Unsicherheit und aufgeregten Erwartung lahmen die
Spannkraft, die Wetterschwüle liegt auf Handel und Verkehr, träge rinnt das
Geld, das Blut unsrer Geschäftswelt, durch die Adern des deutschen Leibes,
gepreßte Herzen, gefurchte Stirnen überall.

Und doch. Vielen der sorgenvollen Menschen macht diese Zeit großer poli¬
tischer Entscheidungen zugleich etwas Neues lebendig. Viele von uns haben
Stunden, wo ihnen das eigene Treiben und die Interessen des Privatlebens
klein erscheinen, sie wundern sich vielleicht mitten in ihrer Tagesarbeit, daß sie
unmittelbar vor einem ungeheuern Schicksal, das sie selbst ergreifen mag, ihre
Wirthschaft überwachen, oder in ihrer Commune über das Amt eines neuen
Promenadenwächters berathen, oder eine schöne Abhandlung über das griechische
Medium oder über gewisse Umrisse schreiben, welche 600 Jahre vor Christus ein
griechischer Töpfer auf eine erhaltene Scherbe gezeichnet hat. Das eigene Leben
ist kleiner geworden und das Gemeingefühl größer. Wir thun unsere Pflicht
ernsthaft wie im halben Traum, die Sammlung wird nicht immer leicht, und
jedes Zeitungsblatt, das in unser Zimmer fliegt, regt einen Wirbelwind von
heftiger Empfindung, banger Sorge und dazwischen von stolzen Gedanken aus.
Wir werden andere durch die Zeit, in aller Seelen schlägt sie die Erkenntniß,
daß die letzten Grundlagen jeden privaten Gedeihens so fest im Staate wurzeln,
daß sein Unglück auch unser Unglück, seine Ehre auch unsere höchste Ehre ist.


Mtnzbotm II. 1860. .66
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[0473] Die Schwüle der Erwartung. Holstein durch die Preußen besetzt, die Oestreicher artig über die Grenze befördert, Preußen dafür beim Bunde wegen Friedensbruch verklagt, der öst¬ reichische Gesandte aus Berlin abgerufen; das ist noch nicht der Krieg, aber es sind die letzten Schritte, welche ihn unvermeidlich machen. Ob der nächste Tag die Nachricht von Eröffnung der Feindseligkeiten bringt, ob noch Wochen darüber vergehen, das ist jetzt ungeduldige Frage aller, denn auch diese Tage der Unsicherheit und aufgeregten Erwartung lahmen die Spannkraft, die Wetterschwüle liegt auf Handel und Verkehr, träge rinnt das Geld, das Blut unsrer Geschäftswelt, durch die Adern des deutschen Leibes, gepreßte Herzen, gefurchte Stirnen überall. Und doch. Vielen der sorgenvollen Menschen macht diese Zeit großer poli¬ tischer Entscheidungen zugleich etwas Neues lebendig. Viele von uns haben Stunden, wo ihnen das eigene Treiben und die Interessen des Privatlebens klein erscheinen, sie wundern sich vielleicht mitten in ihrer Tagesarbeit, daß sie unmittelbar vor einem ungeheuern Schicksal, das sie selbst ergreifen mag, ihre Wirthschaft überwachen, oder in ihrer Commune über das Amt eines neuen Promenadenwächters berathen, oder eine schöne Abhandlung über das griechische Medium oder über gewisse Umrisse schreiben, welche 600 Jahre vor Christus ein griechischer Töpfer auf eine erhaltene Scherbe gezeichnet hat. Das eigene Leben ist kleiner geworden und das Gemeingefühl größer. Wir thun unsere Pflicht ernsthaft wie im halben Traum, die Sammlung wird nicht immer leicht, und jedes Zeitungsblatt, das in unser Zimmer fliegt, regt einen Wirbelwind von heftiger Empfindung, banger Sorge und dazwischen von stolzen Gedanken aus. Wir werden andere durch die Zeit, in aller Seelen schlägt sie die Erkenntniß, daß die letzten Grundlagen jeden privaten Gedeihens so fest im Staate wurzeln, daß sein Unglück auch unser Unglück, seine Ehre auch unsere höchste Ehre ist. Mtnzbotm II. 1860. .66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/473>, abgerufen am 29.04.2024.