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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Es ist eine triviale Wahrheit, wir kannten sie lange, jetzt aber fühlen wir ihre
Gewalt mit Herzpochen.

Noch haben wir nicht den Krieg mit seiner Größe und feinen Schrecken,
aber schon hat uns seine Unruhe erfaßt und sie spielt mit unseren Gedanken,
wie die flatternde Luft vor Ausbruch eines Wetters mit Strohhalmen aus dem
Felde. Wir Deutsche sind ein friedliches Volk geworden, durch fünfzig Jahre
blieben uns die Gefahren eines Krieges erspart, nur eine kleine Zahl der jetzt
Lebenden bewahrt noch lebhafte Erinnerung an die wilden Jahre des Franzoscn-
krieges, wir sind in weichem Frieden aufgewachsen und waren grade jetzt da¬
bei, uns in Stadt und Land mit einigem Behagen auszubreiten; kein Wunder,
daß uns das Kettengerassel am Wagen des heranstürmenden Kriegsgottes be¬
lästigt. Aber wir sind die Enkel eines alten rauflustigen Geschlechtes, wir selbst
sind gar nicht so friedlich, als wir uns vorkommen, noch steckt etwas von der
alten Kampffreude in unserm Blut, eine geheime Sehnsucht nach Wagniß und
Fanfare, und das alte Bedürfniß, uns durch große Ereignisse fortreißen
zu lassen.

Ist dieser Kricgsteufel in unserm Blut ein nicht zeitgemäßer Ueberrest
aus dem Mittelalter? Er ist aber unleugbar vorhanden. Unter den Arbeitern
ist der Verdienst spärlicher, und doch begegnet man zum Feierabend häusiger Ge¬
sang und aufgeregtem Gewaltschritt, als sonst. Ein Secundaner, der jetzt als
Fähnrich ins Heer getreten ist, bringt seine ganze Classe in kriegerische Wallung,
und jeder kleine Kerl, der noch eine Kopfeslänge unter dem Maß ist, fühlt sich
zurückgesetzt, daß er nicht derselben Ehre theilhaftig werden kann; alle Knaben
haben das Kriegskleid angelegt, die kleinsten durch eine Papierdüte auf dem
Kopf ihre Beistimmung angezeigt; vielleicht tragen auch wir solchen unsichtbaren
Kriegshelm. Was liest jeder in seiner Zeitung am liebsten? doch wohl Nach¬
richten von dem Heere, bei welchem sein Herz ist?

Unter den Preußen ist das freilich am meisten der Fall, denn das Heer,
welches dort zum Kriege gerüstet ward, ist fast das gerade Gegentheil des
preußischen Friedenshcercs, es ist die am meisten demokratische Bildung im ganzen
deutschen Reich, eine militärische Organisation des Volkes; -- gleichviel ob neue,
ob alte Heeresverfassung,-- es ist immer die gesammte waffentüchtige Jugend
im Felde. In der Schenke eines oberschlesischen Dorfes, wo die Mannschaft
einer Compagnie oder Batterie um die Holztische gedrängt sitzt, essen vielleicht
alle Stände und Berussclassen des bürgerlichen Lebens aus derselben Schüssel.
Der Gefreite ist ein großer Kaufmann, der Unteroffizier sein Markthelfer, der
adelige Gutsherr Gemeiner, sein Wirthschaftsbeamter der Lieutenant, der Ge-
richtsrath und ein unstciter Gentleman, welcher im Frieden Vorliebe für
aufgesprungene Nocknäthe hat, sind Nebenmänner in demselben Gliede, vor
einigen Wochen hat der eine den andern in einem Protokoll bearbeitet.


Es ist eine triviale Wahrheit, wir kannten sie lange, jetzt aber fühlen wir ihre
Gewalt mit Herzpochen.

Noch haben wir nicht den Krieg mit seiner Größe und feinen Schrecken,
aber schon hat uns seine Unruhe erfaßt und sie spielt mit unseren Gedanken,
wie die flatternde Luft vor Ausbruch eines Wetters mit Strohhalmen aus dem
Felde. Wir Deutsche sind ein friedliches Volk geworden, durch fünfzig Jahre
blieben uns die Gefahren eines Krieges erspart, nur eine kleine Zahl der jetzt
Lebenden bewahrt noch lebhafte Erinnerung an die wilden Jahre des Franzoscn-
krieges, wir sind in weichem Frieden aufgewachsen und waren grade jetzt da¬
bei, uns in Stadt und Land mit einigem Behagen auszubreiten; kein Wunder,
daß uns das Kettengerassel am Wagen des heranstürmenden Kriegsgottes be¬
lästigt. Aber wir sind die Enkel eines alten rauflustigen Geschlechtes, wir selbst
sind gar nicht so friedlich, als wir uns vorkommen, noch steckt etwas von der
alten Kampffreude in unserm Blut, eine geheime Sehnsucht nach Wagniß und
Fanfare, und das alte Bedürfniß, uns durch große Ereignisse fortreißen
zu lassen.

Ist dieser Kricgsteufel in unserm Blut ein nicht zeitgemäßer Ueberrest
aus dem Mittelalter? Er ist aber unleugbar vorhanden. Unter den Arbeitern
ist der Verdienst spärlicher, und doch begegnet man zum Feierabend häusiger Ge¬
sang und aufgeregtem Gewaltschritt, als sonst. Ein Secundaner, der jetzt als
Fähnrich ins Heer getreten ist, bringt seine ganze Classe in kriegerische Wallung,
und jeder kleine Kerl, der noch eine Kopfeslänge unter dem Maß ist, fühlt sich
zurückgesetzt, daß er nicht derselben Ehre theilhaftig werden kann; alle Knaben
haben das Kriegskleid angelegt, die kleinsten durch eine Papierdüte auf dem
Kopf ihre Beistimmung angezeigt; vielleicht tragen auch wir solchen unsichtbaren
Kriegshelm. Was liest jeder in seiner Zeitung am liebsten? doch wohl Nach¬
richten von dem Heere, bei welchem sein Herz ist?

Unter den Preußen ist das freilich am meisten der Fall, denn das Heer,
welches dort zum Kriege gerüstet ward, ist fast das gerade Gegentheil des
preußischen Friedenshcercs, es ist die am meisten demokratische Bildung im ganzen
deutschen Reich, eine militärische Organisation des Volkes; — gleichviel ob neue,
ob alte Heeresverfassung,— es ist immer die gesammte waffentüchtige Jugend
im Felde. In der Schenke eines oberschlesischen Dorfes, wo die Mannschaft
einer Compagnie oder Batterie um die Holztische gedrängt sitzt, essen vielleicht
alle Stände und Berussclassen des bürgerlichen Lebens aus derselben Schüssel.
Der Gefreite ist ein großer Kaufmann, der Unteroffizier sein Markthelfer, der
adelige Gutsherr Gemeiner, sein Wirthschaftsbeamter der Lieutenant, der Ge-
richtsrath und ein unstciter Gentleman, welcher im Frieden Vorliebe für
aufgesprungene Nocknäthe hat, sind Nebenmänner in demselben Gliede, vor
einigen Wochen hat der eine den andern in einem Protokoll bearbeitet.


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[0474] Es ist eine triviale Wahrheit, wir kannten sie lange, jetzt aber fühlen wir ihre Gewalt mit Herzpochen. Noch haben wir nicht den Krieg mit seiner Größe und feinen Schrecken, aber schon hat uns seine Unruhe erfaßt und sie spielt mit unseren Gedanken, wie die flatternde Luft vor Ausbruch eines Wetters mit Strohhalmen aus dem Felde. Wir Deutsche sind ein friedliches Volk geworden, durch fünfzig Jahre blieben uns die Gefahren eines Krieges erspart, nur eine kleine Zahl der jetzt Lebenden bewahrt noch lebhafte Erinnerung an die wilden Jahre des Franzoscn- krieges, wir sind in weichem Frieden aufgewachsen und waren grade jetzt da¬ bei, uns in Stadt und Land mit einigem Behagen auszubreiten; kein Wunder, daß uns das Kettengerassel am Wagen des heranstürmenden Kriegsgottes be¬ lästigt. Aber wir sind die Enkel eines alten rauflustigen Geschlechtes, wir selbst sind gar nicht so friedlich, als wir uns vorkommen, noch steckt etwas von der alten Kampffreude in unserm Blut, eine geheime Sehnsucht nach Wagniß und Fanfare, und das alte Bedürfniß, uns durch große Ereignisse fortreißen zu lassen. Ist dieser Kricgsteufel in unserm Blut ein nicht zeitgemäßer Ueberrest aus dem Mittelalter? Er ist aber unleugbar vorhanden. Unter den Arbeitern ist der Verdienst spärlicher, und doch begegnet man zum Feierabend häusiger Ge¬ sang und aufgeregtem Gewaltschritt, als sonst. Ein Secundaner, der jetzt als Fähnrich ins Heer getreten ist, bringt seine ganze Classe in kriegerische Wallung, und jeder kleine Kerl, der noch eine Kopfeslänge unter dem Maß ist, fühlt sich zurückgesetzt, daß er nicht derselben Ehre theilhaftig werden kann; alle Knaben haben das Kriegskleid angelegt, die kleinsten durch eine Papierdüte auf dem Kopf ihre Beistimmung angezeigt; vielleicht tragen auch wir solchen unsichtbaren Kriegshelm. Was liest jeder in seiner Zeitung am liebsten? doch wohl Nach¬ richten von dem Heere, bei welchem sein Herz ist? Unter den Preußen ist das freilich am meisten der Fall, denn das Heer, welches dort zum Kriege gerüstet ward, ist fast das gerade Gegentheil des preußischen Friedenshcercs, es ist die am meisten demokratische Bildung im ganzen deutschen Reich, eine militärische Organisation des Volkes; — gleichviel ob neue, ob alte Heeresverfassung,— es ist immer die gesammte waffentüchtige Jugend im Felde. In der Schenke eines oberschlesischen Dorfes, wo die Mannschaft einer Compagnie oder Batterie um die Holztische gedrängt sitzt, essen vielleicht alle Stände und Berussclassen des bürgerlichen Lebens aus derselben Schüssel. Der Gefreite ist ein großer Kaufmann, der Unteroffizier sein Markthelfer, der adelige Gutsherr Gemeiner, sein Wirthschaftsbeamter der Lieutenant, der Ge- richtsrath und ein unstciter Gentleman, welcher im Frieden Vorliebe für aufgesprungene Nocknäthe hat, sind Nebenmänner in demselben Gliede, vor einigen Wochen hat der eine den andern in einem Protokoll bearbeitet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/474>, abgerufen am 15.05.2024.