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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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eigenen Staaten sicher ist, viel weniger zu dem Ziel seiner Souveränetät gelangen
kann. Und wenn man es zu diesem Ende erlaubt findet Ströme von Blut zu
vergießen, so gestehe ich nicht zu begreifen, daß nicht auch das Mittel der Ver-
schlagenheit erlaubt sein soll. Aber wie dem auch sei, gewiß ist, daß die Künste,
welche das Haus Savoyen zu seiner Vergrößerung angewandt hat, für die
Rettung Italiens nothwendig gewesen sind und so zu einem
legitimen Ziele geführt haben.




Ein Blick auf Rumänien.

Unter den vielen kleinen Vulkanen, welche sich im Lauf der letzten beiden
Menschenalter auf dem Gebiete der Türkei erhoben haben, und deren Gesammt¬
heit, von einem und demselben unterirdischen Feuer erfüllt und bewegt, die
orientalische Frage genannt wird, ist der, welcher sich auf dem linken Ufer der
Donau aus der Vereinigung der Moldau und Walachei gebildet hat, gegenwärtig
insofern der wichtigste und interessanteste, als er den letzten Ausbruch deS
Brandes zeigt, von dem die ganze Kette raucht, und >als er vermuthlich der
erste sein wird, in dem sich der Proceß der Losreißung von dem Zusammen¬
hang mit der Pforte und der Umbildung zu völliger Unabhängigkeit vollzieht.

Ob zu dauernder Unabhängigkeit auch von der Macht, welche jenes Feuer
hauptsächlich geschürt und genährt hat, ist eine Frage, die ebenso wichtig als
schwer zu entscheiden ist. Bis auf den Krimkrieg schien es, als ob alle diese
Länder von den schwarzen Bergen des Vladika von Cettinje bis zu den Rohr¬
sümpfen des Pruth die Kraft und den Eifer ihrer Opposition gegen die Herr¬
schaft des Sultans nicht sowohl aus den Ansprüchen ihrer Nationalität als aus
den Forderungen ihres Glaubens schöpften. Nicht so sehr der asiatische Ein¬
dringling, der sie zwar in harter Knechtschaft hielt, von dem sie sich aber in
ihren Sitten und Lebensanschauungen in den meisten wesentlichen Punkten kaum
unterscheiden, sondern der Bekenner des Islam war es, gegen den sie Haß em¬
pfanden, und nicht dieser oder jener nationale Heilige war ihr Panier, sondern
das allen gemeinsame griechische Kreuz in seinem Gegensatze gegen den Halb¬
mond. Und dieses allgemeine Feldzeichen der Serben und der christlichen Bos¬
nier, der Neugriechen, Bulgaren und Rumänen hatte zu seinem obersten Banner¬
herrn den weißen Czaren in Petersburg. Von dem Moskof kam, das lehrten die


eigenen Staaten sicher ist, viel weniger zu dem Ziel seiner Souveränetät gelangen
kann. Und wenn man es zu diesem Ende erlaubt findet Ströme von Blut zu
vergießen, so gestehe ich nicht zu begreifen, daß nicht auch das Mittel der Ver-
schlagenheit erlaubt sein soll. Aber wie dem auch sei, gewiß ist, daß die Künste,
welche das Haus Savoyen zu seiner Vergrößerung angewandt hat, für die
Rettung Italiens nothwendig gewesen sind und so zu einem
legitimen Ziele geführt haben.




Ein Blick auf Rumänien.

Unter den vielen kleinen Vulkanen, welche sich im Lauf der letzten beiden
Menschenalter auf dem Gebiete der Türkei erhoben haben, und deren Gesammt¬
heit, von einem und demselben unterirdischen Feuer erfüllt und bewegt, die
orientalische Frage genannt wird, ist der, welcher sich auf dem linken Ufer der
Donau aus der Vereinigung der Moldau und Walachei gebildet hat, gegenwärtig
insofern der wichtigste und interessanteste, als er den letzten Ausbruch deS
Brandes zeigt, von dem die ganze Kette raucht, und >als er vermuthlich der
erste sein wird, in dem sich der Proceß der Losreißung von dem Zusammen¬
hang mit der Pforte und der Umbildung zu völliger Unabhängigkeit vollzieht.

Ob zu dauernder Unabhängigkeit auch von der Macht, welche jenes Feuer
hauptsächlich geschürt und genährt hat, ist eine Frage, die ebenso wichtig als
schwer zu entscheiden ist. Bis auf den Krimkrieg schien es, als ob alle diese
Länder von den schwarzen Bergen des Vladika von Cettinje bis zu den Rohr¬
sümpfen des Pruth die Kraft und den Eifer ihrer Opposition gegen die Herr¬
schaft des Sultans nicht sowohl aus den Ansprüchen ihrer Nationalität als aus
den Forderungen ihres Glaubens schöpften. Nicht so sehr der asiatische Ein¬
dringling, der sie zwar in harter Knechtschaft hielt, von dem sie sich aber in
ihren Sitten und Lebensanschauungen in den meisten wesentlichen Punkten kaum
unterscheiden, sondern der Bekenner des Islam war es, gegen den sie Haß em¬
pfanden, und nicht dieser oder jener nationale Heilige war ihr Panier, sondern
das allen gemeinsame griechische Kreuz in seinem Gegensatze gegen den Halb¬
mond. Und dieses allgemeine Feldzeichen der Serben und der christlichen Bos¬
nier, der Neugriechen, Bulgaren und Rumänen hatte zu seinem obersten Banner¬
herrn den weißen Czaren in Petersburg. Von dem Moskof kam, das lehrten die


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[0486] eigenen Staaten sicher ist, viel weniger zu dem Ziel seiner Souveränetät gelangen kann. Und wenn man es zu diesem Ende erlaubt findet Ströme von Blut zu vergießen, so gestehe ich nicht zu begreifen, daß nicht auch das Mittel der Ver- schlagenheit erlaubt sein soll. Aber wie dem auch sei, gewiß ist, daß die Künste, welche das Haus Savoyen zu seiner Vergrößerung angewandt hat, für die Rettung Italiens nothwendig gewesen sind und so zu einem legitimen Ziele geführt haben. Ein Blick auf Rumänien. Unter den vielen kleinen Vulkanen, welche sich im Lauf der letzten beiden Menschenalter auf dem Gebiete der Türkei erhoben haben, und deren Gesammt¬ heit, von einem und demselben unterirdischen Feuer erfüllt und bewegt, die orientalische Frage genannt wird, ist der, welcher sich auf dem linken Ufer der Donau aus der Vereinigung der Moldau und Walachei gebildet hat, gegenwärtig insofern der wichtigste und interessanteste, als er den letzten Ausbruch deS Brandes zeigt, von dem die ganze Kette raucht, und >als er vermuthlich der erste sein wird, in dem sich der Proceß der Losreißung von dem Zusammen¬ hang mit der Pforte und der Umbildung zu völliger Unabhängigkeit vollzieht. Ob zu dauernder Unabhängigkeit auch von der Macht, welche jenes Feuer hauptsächlich geschürt und genährt hat, ist eine Frage, die ebenso wichtig als schwer zu entscheiden ist. Bis auf den Krimkrieg schien es, als ob alle diese Länder von den schwarzen Bergen des Vladika von Cettinje bis zu den Rohr¬ sümpfen des Pruth die Kraft und den Eifer ihrer Opposition gegen die Herr¬ schaft des Sultans nicht sowohl aus den Ansprüchen ihrer Nationalität als aus den Forderungen ihres Glaubens schöpften. Nicht so sehr der asiatische Ein¬ dringling, der sie zwar in harter Knechtschaft hielt, von dem sie sich aber in ihren Sitten und Lebensanschauungen in den meisten wesentlichen Punkten kaum unterscheiden, sondern der Bekenner des Islam war es, gegen den sie Haß em¬ pfanden, und nicht dieser oder jener nationale Heilige war ihr Panier, sondern das allen gemeinsame griechische Kreuz in seinem Gegensatze gegen den Halb¬ mond. Und dieses allgemeine Feldzeichen der Serben und der christlichen Bos¬ nier, der Neugriechen, Bulgaren und Rumänen hatte zu seinem obersten Banner¬ herrn den weißen Czaren in Petersburg. Von dem Moskof kam, das lehrten die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/486>, abgerufen am 29.04.2024.