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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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des Reichs zerfallen sein, es galt, den Mechanismus zu erhalten, um mittels
desselben im eigenen Interesse zu operiren. So im deutschen Reich, so im
deutschen Bund. Es ist wahr. Preußen hat oft den Bund mißachtet, wie
Friedrich der Große nach der Ansicht mancher das Reich mißachtete; aber wie
dieser einen staatlichen Organismus an die Stelle abgelebter und zerbröckelnder
Elemente setzte, so bietet Preußen mit Parlament und Reform Mittel zu ge¬
sunder Neugestaltung. Es ist kein preußischer, sondern ein östreichischer Historiker,
und ein gut östreichisch gesinnter, der von der Zeit nach dem Interregnum
schreibt: "Wenn schon das Reich selbst zu keiner vollkommeneren Regierung,
zu keiner einheitlichen Gestaltung, zu keiner durchgreifenden inneren Verbesserung
kam, so bot es noch durch Jahrhunderte den bequemen Steigbügel dar. um
hoch zu Rosse mit erobernder Hand Länder zu erwerben und Dynastien zu
gründen. Jetzt war es Rudolf, der im Sattel saß." Die Zeiten sind freilich
vorüber; heut gilt es für Habsburg nicht mehr, "Länder zu erwerben und
Dynastien zu gründen"; man wirft wohl noch einen lüsternen Blick auf eine
ehemals besessene Provinz, im Ganzen aber begnügt man sich in seiner "Un-
eigennützigkeit". das Bestehende zu erhalten. Wir aber wissen, daß Deutschland
am Bestehenden krankt, und daß wir nicht gesund werden ohne Erneuerung.


O. ,


Brief aus Schwaben.

Einen hervorragenden Antheil der Schuld, wenn es zum inneren Bürger¬
krieg in Deutschland kommen sollte, wird man einst den würtemvergischen
Staatslenkern zuerkennen müssen. In Würtemberg, wie in Nassau und Groß-
herzogthum Hessen, ist die unbedingte Neigung zu Oestreich sehr früh und in
sehr provocatorischer Weise zu Tage getreten. Schon seit Anfang März, also
noch vor dem geheimen östreichischen Rundschreiben vom 16. März, fing das
officielle Organ der würtembergischen Negierung an eine Sprache gegen Preußen
zu führen, die in einem Regierungsblatt gradezu unerhört war. Mit den hef¬
tigen Ausfällen auf die preußische Regierung wie auf das preußische Volk ver-
band sich bald ein widerliches Kokettiren mit dem Ausland, eine Rheinbündelei,


des Reichs zerfallen sein, es galt, den Mechanismus zu erhalten, um mittels
desselben im eigenen Interesse zu operiren. So im deutschen Reich, so im
deutschen Bund. Es ist wahr. Preußen hat oft den Bund mißachtet, wie
Friedrich der Große nach der Ansicht mancher das Reich mißachtete; aber wie
dieser einen staatlichen Organismus an die Stelle abgelebter und zerbröckelnder
Elemente setzte, so bietet Preußen mit Parlament und Reform Mittel zu ge¬
sunder Neugestaltung. Es ist kein preußischer, sondern ein östreichischer Historiker,
und ein gut östreichisch gesinnter, der von der Zeit nach dem Interregnum
schreibt: „Wenn schon das Reich selbst zu keiner vollkommeneren Regierung,
zu keiner einheitlichen Gestaltung, zu keiner durchgreifenden inneren Verbesserung
kam, so bot es noch durch Jahrhunderte den bequemen Steigbügel dar. um
hoch zu Rosse mit erobernder Hand Länder zu erwerben und Dynastien zu
gründen. Jetzt war es Rudolf, der im Sattel saß." Die Zeiten sind freilich
vorüber; heut gilt es für Habsburg nicht mehr, „Länder zu erwerben und
Dynastien zu gründen"; man wirft wohl noch einen lüsternen Blick auf eine
ehemals besessene Provinz, im Ganzen aber begnügt man sich in seiner „Un-
eigennützigkeit". das Bestehende zu erhalten. Wir aber wissen, daß Deutschland
am Bestehenden krankt, und daß wir nicht gesund werden ohne Erneuerung.


O. ,


Brief aus Schwaben.

Einen hervorragenden Antheil der Schuld, wenn es zum inneren Bürger¬
krieg in Deutschland kommen sollte, wird man einst den würtemvergischen
Staatslenkern zuerkennen müssen. In Würtemberg, wie in Nassau und Groß-
herzogthum Hessen, ist die unbedingte Neigung zu Oestreich sehr früh und in
sehr provocatorischer Weise zu Tage getreten. Schon seit Anfang März, also
noch vor dem geheimen östreichischen Rundschreiben vom 16. März, fing das
officielle Organ der würtembergischen Negierung an eine Sprache gegen Preußen
zu führen, die in einem Regierungsblatt gradezu unerhört war. Mit den hef¬
tigen Ausfällen auf die preußische Regierung wie auf das preußische Volk ver-
band sich bald ein widerliches Kokettiren mit dem Ausland, eine Rheinbündelei,


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[0509] des Reichs zerfallen sein, es galt, den Mechanismus zu erhalten, um mittels desselben im eigenen Interesse zu operiren. So im deutschen Reich, so im deutschen Bund. Es ist wahr. Preußen hat oft den Bund mißachtet, wie Friedrich der Große nach der Ansicht mancher das Reich mißachtete; aber wie dieser einen staatlichen Organismus an die Stelle abgelebter und zerbröckelnder Elemente setzte, so bietet Preußen mit Parlament und Reform Mittel zu ge¬ sunder Neugestaltung. Es ist kein preußischer, sondern ein östreichischer Historiker, und ein gut östreichisch gesinnter, der von der Zeit nach dem Interregnum schreibt: „Wenn schon das Reich selbst zu keiner vollkommeneren Regierung, zu keiner einheitlichen Gestaltung, zu keiner durchgreifenden inneren Verbesserung kam, so bot es noch durch Jahrhunderte den bequemen Steigbügel dar. um hoch zu Rosse mit erobernder Hand Länder zu erwerben und Dynastien zu gründen. Jetzt war es Rudolf, der im Sattel saß." Die Zeiten sind freilich vorüber; heut gilt es für Habsburg nicht mehr, „Länder zu erwerben und Dynastien zu gründen"; man wirft wohl noch einen lüsternen Blick auf eine ehemals besessene Provinz, im Ganzen aber begnügt man sich in seiner „Un- eigennützigkeit". das Bestehende zu erhalten. Wir aber wissen, daß Deutschland am Bestehenden krankt, und daß wir nicht gesund werden ohne Erneuerung. O. , Brief aus Schwaben. Einen hervorragenden Antheil der Schuld, wenn es zum inneren Bürger¬ krieg in Deutschland kommen sollte, wird man einst den würtemvergischen Staatslenkern zuerkennen müssen. In Würtemberg, wie in Nassau und Groß- herzogthum Hessen, ist die unbedingte Neigung zu Oestreich sehr früh und in sehr provocatorischer Weise zu Tage getreten. Schon seit Anfang März, also noch vor dem geheimen östreichischen Rundschreiben vom 16. März, fing das officielle Organ der würtembergischen Negierung an eine Sprache gegen Preußen zu führen, die in einem Regierungsblatt gradezu unerhört war. Mit den hef¬ tigen Ausfällen auf die preußische Regierung wie auf das preußische Volk ver- band sich bald ein widerliches Kokettiren mit dem Ausland, eine Rheinbündelei,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/509>, abgerufen am 29.04.2024.