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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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an der nur dies auffiel, wie ungescheut und unbefangen sie sich hervorwagte.
Die Neutralität wurde im Staatsanzeiger bald lächerlich gemacht, bald als Ver-
rätherei gebrandmarkt. Im Anfang mochte man glauben, daß nur das be¬
ruhigende Bewußtsein, in der Verborgenheit der süddeutschen Ecke sich in einer
gefahrlosen Lage zu befinden, den Muth zu jener renommirenden Sprache ein¬
gegeben habe. Allein seitdem es ruchbar wurde, daß schon im März Wörtern-
berg einen östreichischen General zum Befehlshaber des achten Armeecorps de-
signirte. war kein Zweifel, daß es sich um eine systematische Bearbeitung der
Volksmeinung gehandelt und die Regierung ihre Partei genommen hatte. Der
Widerstand des friedfertig gesinnten Königs wurde eben mit Hilfe des Prinzen
Alexander von Hessen überwunden. Gleichzeitig wirkte die Königin Olga am
Se. Petersburger Hofe gegen Preußen. Es erfolgten die> ersten kriegerischen
Maßnahmen, und wenn diese auch noch sehr bescheiden waren und die Be¬
schwerdenote des Grafen Bismarck nicht rechtfertigen konnten, so war dafür ihr
Sinn um so weniger mißverständlich. Selbst die würtenbergische Thronrede
zeigte eine schärfere Nuance als die übrigen. Man befleißigte sich in Stuttgart
offenbar mit Absicht einer lebhaften Sprache, um auf die Entschlüsse Badens
und Bayerns zu drücken.

Leider hat die Landesvertretung die östreichische Politik der Regierung ge¬
billigt, und die Kammer hat damit nur der weit vorherrschenden Stimmung
im Lande Ausdruck gegeben. Warum die peinliche Thatsache verschweigen?
Der Krieg gegen Preußen ist populär. Man hat zwar seiner Zeit, als die
Resolutionen gegen den Bruderkrieg ihren epidemischen Rundgang machten,
gleichfalls ein entsprechendes Contingent dazu gestellt. Aber man wollte damit
nur seinen Abscheu vor der aggressiven Politik des berliner Hoff ausdrücken.
Als die Frage der Betheiligung am Krieg dem eigenen Land näher rückte, hörte
man wenig mehr von Bedenken gegen den Bruderkrieg. Man schien nicht zu
empfinden, daß in Preußen so zu sagen auch eine Art deutscher Brüder wohnt.
Man dachte noch weniger daran, daß der Krieg der beiden Großmächte erst
durch die Theilnahme der andern deutschen Staaten zu einem wirklichen Bruder¬
krieg wird. Die Verbrüderung zwischen der Regierung und der radicalen "Volks¬
parten trug jetzt ihre Früchte. -- Einen Augenblick hatte die letztere die Parole
ausgegeben, diesem Ministerium "keinen Mann und keinen Gulden" zur Ver¬
fügung zu stellen. Aber man kam rasch von dieser Verirrung zurück, und was
gestern noch mit Fettschrift als Programm der Volkspartei proclamirt worden
war, galt heute schon als schwarzer Verrath. Die Union der Officiellen und
der Radicalen war vollständig, Staatsanzeiger und Beobachter waren Zwillings¬
brüder geworden und behandelten sich mit einer Courtoisie, die nicht mehr über¬
laschen konnte.


an der nur dies auffiel, wie ungescheut und unbefangen sie sich hervorwagte.
Die Neutralität wurde im Staatsanzeiger bald lächerlich gemacht, bald als Ver-
rätherei gebrandmarkt. Im Anfang mochte man glauben, daß nur das be¬
ruhigende Bewußtsein, in der Verborgenheit der süddeutschen Ecke sich in einer
gefahrlosen Lage zu befinden, den Muth zu jener renommirenden Sprache ein¬
gegeben habe. Allein seitdem es ruchbar wurde, daß schon im März Wörtern-
berg einen östreichischen General zum Befehlshaber des achten Armeecorps de-
signirte. war kein Zweifel, daß es sich um eine systematische Bearbeitung der
Volksmeinung gehandelt und die Regierung ihre Partei genommen hatte. Der
Widerstand des friedfertig gesinnten Königs wurde eben mit Hilfe des Prinzen
Alexander von Hessen überwunden. Gleichzeitig wirkte die Königin Olga am
Se. Petersburger Hofe gegen Preußen. Es erfolgten die> ersten kriegerischen
Maßnahmen, und wenn diese auch noch sehr bescheiden waren und die Be¬
schwerdenote des Grafen Bismarck nicht rechtfertigen konnten, so war dafür ihr
Sinn um so weniger mißverständlich. Selbst die würtenbergische Thronrede
zeigte eine schärfere Nuance als die übrigen. Man befleißigte sich in Stuttgart
offenbar mit Absicht einer lebhaften Sprache, um auf die Entschlüsse Badens
und Bayerns zu drücken.

Leider hat die Landesvertretung die östreichische Politik der Regierung ge¬
billigt, und die Kammer hat damit nur der weit vorherrschenden Stimmung
im Lande Ausdruck gegeben. Warum die peinliche Thatsache verschweigen?
Der Krieg gegen Preußen ist populär. Man hat zwar seiner Zeit, als die
Resolutionen gegen den Bruderkrieg ihren epidemischen Rundgang machten,
gleichfalls ein entsprechendes Contingent dazu gestellt. Aber man wollte damit
nur seinen Abscheu vor der aggressiven Politik des berliner Hoff ausdrücken.
Als die Frage der Betheiligung am Krieg dem eigenen Land näher rückte, hörte
man wenig mehr von Bedenken gegen den Bruderkrieg. Man schien nicht zu
empfinden, daß in Preußen so zu sagen auch eine Art deutscher Brüder wohnt.
Man dachte noch weniger daran, daß der Krieg der beiden Großmächte erst
durch die Theilnahme der andern deutschen Staaten zu einem wirklichen Bruder¬
krieg wird. Die Verbrüderung zwischen der Regierung und der radicalen „Volks¬
parten trug jetzt ihre Früchte. — Einen Augenblick hatte die letztere die Parole
ausgegeben, diesem Ministerium „keinen Mann und keinen Gulden" zur Ver¬
fügung zu stellen. Aber man kam rasch von dieser Verirrung zurück, und was
gestern noch mit Fettschrift als Programm der Volkspartei proclamirt worden
war, galt heute schon als schwarzer Verrath. Die Union der Officiellen und
der Radicalen war vollständig, Staatsanzeiger und Beobachter waren Zwillings¬
brüder geworden und behandelten sich mit einer Courtoisie, die nicht mehr über¬
laschen konnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/510>, abgerufen am 26.05.2024.