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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Der neue Bundesstaat.

Der deutsche Bund ist todt. Er ist schon einmal bestattet gewesen und
wieder aufgewacht; seitdem hat er nur ein Scheinleben geführt. 1863 auf dem
Fürstencongreß hat man ihn von neuem zu Grabe tragen wollen; die aller¬
höchsten und höchsten Leidtragenden waren bereits versammelt, aber der Un¬
glückliche ließ sich nicht einsargen, weil König Wilhelm im Trauergefolge fehlte.
Dem Mangel wäre jetzt abgeholfen, nur sind die Andern freilich nicht gleich zur
Stelle. Hoffen wir trotzdem, daß der Beklagenswerthe endlich zur verdienten
Ruhe eingehe.

Als er zum ersten Male starb -- ein frisches Regen ging damals durchs
deutsche Volk, und die Paulskirche tönte wieder Von aufathmender Begeisterung --,
ist Zorn Und Verwünschung ihm nachgefolgt; auf sein Grab hätte man schreiben
können: ein Menschenalter deutschen Elends! Das ist anders geworden, seit
er wieder ans Licht geschleppt wurde: er war nur noch der Schatten seiner
selbst. Keine Handvoll Erde werfen wir, wie Trauernde Pflegen, ihm nach;
aber auch ein Wort heiliger Entrüstung wäre zu Schade.

Nur Eines noch: da er denn doch von neuem gestorben ist, -- woran ist
er gestorben?

Und hier ist der Ort, eine neuliche Bemerkung, daß der Bund in der
Schleswig-holsteinischen Sache gleichermaßen über Oestreich wie über Preußen
zu klagen habe, dahin zu ergänzen, daß er drittens seine Anklage an sich selbst
adressiren möge. Er trägt vollauf ein gleiches Maß der Schuld. Mehrmals
haben ihn Preußen und Oestreich zur gemeinsamen Action aufgefordert, aber
er wies sie ab; die Tage von Düppel und Alsen wurden ohne ihn gefeiert.
Nicht einmal über die Besetzung Fehmarns konnte er schlüssig werden; über
ihn hinweg ward dann der wiener Friede geschlossen. Freilich hatte man in
Frankfurt allzeit treffliche Gründe zur Hand, man wollte für "unbestimmte
Ziele" weder Geld noch Mannschaft opfern; wer aber nicht will anthaten, soll


Grenzboten II. 18KK. 61
Der neue Bundesstaat.

Der deutsche Bund ist todt. Er ist schon einmal bestattet gewesen und
wieder aufgewacht; seitdem hat er nur ein Scheinleben geführt. 1863 auf dem
Fürstencongreß hat man ihn von neuem zu Grabe tragen wollen; die aller¬
höchsten und höchsten Leidtragenden waren bereits versammelt, aber der Un¬
glückliche ließ sich nicht einsargen, weil König Wilhelm im Trauergefolge fehlte.
Dem Mangel wäre jetzt abgeholfen, nur sind die Andern freilich nicht gleich zur
Stelle. Hoffen wir trotzdem, daß der Beklagenswerthe endlich zur verdienten
Ruhe eingehe.

Als er zum ersten Male starb — ein frisches Regen ging damals durchs
deutsche Volk, und die Paulskirche tönte wieder Von aufathmender Begeisterung —,
ist Zorn Und Verwünschung ihm nachgefolgt; auf sein Grab hätte man schreiben
können: ein Menschenalter deutschen Elends! Das ist anders geworden, seit
er wieder ans Licht geschleppt wurde: er war nur noch der Schatten seiner
selbst. Keine Handvoll Erde werfen wir, wie Trauernde Pflegen, ihm nach;
aber auch ein Wort heiliger Entrüstung wäre zu Schade.

Nur Eines noch: da er denn doch von neuem gestorben ist, — woran ist
er gestorben?

Und hier ist der Ort, eine neuliche Bemerkung, daß der Bund in der
Schleswig-holsteinischen Sache gleichermaßen über Oestreich wie über Preußen
zu klagen habe, dahin zu ergänzen, daß er drittens seine Anklage an sich selbst
adressiren möge. Er trägt vollauf ein gleiches Maß der Schuld. Mehrmals
haben ihn Preußen und Oestreich zur gemeinsamen Action aufgefordert, aber
er wies sie ab; die Tage von Düppel und Alsen wurden ohne ihn gefeiert.
Nicht einmal über die Besetzung Fehmarns konnte er schlüssig werden; über
ihn hinweg ward dann der wiener Friede geschlossen. Freilich hatte man in
Frankfurt allzeit treffliche Gründe zur Hand, man wollte für „unbestimmte
Ziele" weder Geld noch Mannschaft opfern; wer aber nicht will anthaten, soll


Grenzboten II. 18KK. 61
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[0515] Der neue Bundesstaat. Der deutsche Bund ist todt. Er ist schon einmal bestattet gewesen und wieder aufgewacht; seitdem hat er nur ein Scheinleben geführt. 1863 auf dem Fürstencongreß hat man ihn von neuem zu Grabe tragen wollen; die aller¬ höchsten und höchsten Leidtragenden waren bereits versammelt, aber der Un¬ glückliche ließ sich nicht einsargen, weil König Wilhelm im Trauergefolge fehlte. Dem Mangel wäre jetzt abgeholfen, nur sind die Andern freilich nicht gleich zur Stelle. Hoffen wir trotzdem, daß der Beklagenswerthe endlich zur verdienten Ruhe eingehe. Als er zum ersten Male starb — ein frisches Regen ging damals durchs deutsche Volk, und die Paulskirche tönte wieder Von aufathmender Begeisterung —, ist Zorn Und Verwünschung ihm nachgefolgt; auf sein Grab hätte man schreiben können: ein Menschenalter deutschen Elends! Das ist anders geworden, seit er wieder ans Licht geschleppt wurde: er war nur noch der Schatten seiner selbst. Keine Handvoll Erde werfen wir, wie Trauernde Pflegen, ihm nach; aber auch ein Wort heiliger Entrüstung wäre zu Schade. Nur Eines noch: da er denn doch von neuem gestorben ist, — woran ist er gestorben? Und hier ist der Ort, eine neuliche Bemerkung, daß der Bund in der Schleswig-holsteinischen Sache gleichermaßen über Oestreich wie über Preußen zu klagen habe, dahin zu ergänzen, daß er drittens seine Anklage an sich selbst adressiren möge. Er trägt vollauf ein gleiches Maß der Schuld. Mehrmals haben ihn Preußen und Oestreich zur gemeinsamen Action aufgefordert, aber er wies sie ab; die Tage von Düppel und Alsen wurden ohne ihn gefeiert. Nicht einmal über die Besetzung Fehmarns konnte er schlüssig werden; über ihn hinweg ward dann der wiener Friede geschlossen. Freilich hatte man in Frankfurt allzeit treffliche Gründe zur Hand, man wollte für „unbestimmte Ziele" weder Geld noch Mannschaft opfern; wer aber nicht will anthaten, soll Grenzboten II. 18KK. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/515>, abgerufen am 29.04.2024.