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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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auch nicht anrathen. Ach und wenn es noch großer Thaten bedurft hätte'.
Der deutsche Landsmann ist so bescheidener Natur, gläubiges Vertrauen ist ihm
Bedürfniß: am Neujahrsmorgen 1864 wachte er mit rührender Zuversicht auf,
daß der Bund demnächst den Augustenburger proclamiren würde; fünfzigjährige
Unthätigkeit war man weichherzig bereit für ein einziges Wort zu verzeihen!
aber der Bundestag konnte das Wort nicht finden. Ob er die Schläge der
Großmächte fürchtete? es wird niemand geschlagen, der sich nicht schlagen läßt.
So verschob er die Abstimmung von Woche zu Woche, von Monat zu Monat.
Und doch hätte die Majorität von heute, auch ohne Oestreich, die Majorität
von damals sein können. Oder mußte, um Hannover umzustimmen, erst Oest¬
reich ihm die Herzogthümer versprechen? Wie dem auch sei, -- man hat es
nicht gewollt. Uns kann es recht sein, wir klagen nicht, daß es anders ge¬
kommen; aber der Bund stirbt am Jahr 1864.

Was an seine Stelle treten wird, wer weiß es. Die Ereignisse werden
darüber entscheiden, denen wir jetzt athemlos zuschauen, bange Sorge im Herzen
-und mehr noch freudige Zuversicht, daß der Genius unsers Vaterlandes die
Waffen des Staates segnen werde, der Deutschlands Stolz ist.

Vorerst aber, da in diesen Blättern mit den äußeren Geschehnissen doch
kaum gleicher Schritt zu halten ist, wollen wir einen Blick auf das Programm
werfen, mit welchem Preußen in den Kampf tritt. Mannigfach freilich wird
der neue Reformentwurf von den Thatsachen überholt werden; eine solche Be¬
sprechung könnte daher heut mehr als je theoretisch erscheinen. Es sollen aber
,auch nur einige ganz allgemeine Gesichtspunkte angedeutet werden.

Es hat unzweifelhaft, um zu diesem Reformentwurf zu gelangen, nach
manchen Seiten hin Rücksicht geübt werden müssen, verschiedenartige Interessen
waren theils zu versöhnen, theils zu engagiren. Den Stempel solchen Com-
promisses verläugnet der Entwurf nicht. Aber der erste Fundamentalsatz der
nationalen Partei: Ausschluß Oestreichs aus dem engeren Bunde, ist mit aller
wünschenswerthen Bestimmtheit ausgesprochen. Wer den Satz nicht von vorn¬
herein acceptirt, wird ihn nie anders als gezwungen acceptiren. Und ebenso
werden alle andern Paragraphen, nimmt man diesen ersten hinweg, unmöglich.
Darüber ist kein Wort zu verlieren; vorläufig ist nicht zu überreden, nicht zu
überzeugen, die Ereignisse müssen sprechen.

Graf Bismarck hat sich mit Recht gesagt, daß zur Durchführung dieses
Programms sowohl nationale Förderung, als auch eine wenigstens nicht feind¬
selige Haltung der andern Fürsten erforderlich sei. Die Forderungen der natio¬
nalen Partei gipfelten seit Jahren in dem Verlangen nach deutschem Parlament
und Centralgewalt. Vielleicht war es möglich, die Fürsten mit dem Gedanken
des Parlaments zu versöhnen, mit dem der Centralgewalt gutwillig nie. An
Stelle der letzteren läßt der Entwurf daher, vorbehaltlich späterer Vereinbarung,


auch nicht anrathen. Ach und wenn es noch großer Thaten bedurft hätte'.
Der deutsche Landsmann ist so bescheidener Natur, gläubiges Vertrauen ist ihm
Bedürfniß: am Neujahrsmorgen 1864 wachte er mit rührender Zuversicht auf,
daß der Bund demnächst den Augustenburger proclamiren würde; fünfzigjährige
Unthätigkeit war man weichherzig bereit für ein einziges Wort zu verzeihen!
aber der Bundestag konnte das Wort nicht finden. Ob er die Schläge der
Großmächte fürchtete? es wird niemand geschlagen, der sich nicht schlagen läßt.
So verschob er die Abstimmung von Woche zu Woche, von Monat zu Monat.
Und doch hätte die Majorität von heute, auch ohne Oestreich, die Majorität
von damals sein können. Oder mußte, um Hannover umzustimmen, erst Oest¬
reich ihm die Herzogthümer versprechen? Wie dem auch sei, — man hat es
nicht gewollt. Uns kann es recht sein, wir klagen nicht, daß es anders ge¬
kommen; aber der Bund stirbt am Jahr 1864.

Was an seine Stelle treten wird, wer weiß es. Die Ereignisse werden
darüber entscheiden, denen wir jetzt athemlos zuschauen, bange Sorge im Herzen
-und mehr noch freudige Zuversicht, daß der Genius unsers Vaterlandes die
Waffen des Staates segnen werde, der Deutschlands Stolz ist.

Vorerst aber, da in diesen Blättern mit den äußeren Geschehnissen doch
kaum gleicher Schritt zu halten ist, wollen wir einen Blick auf das Programm
werfen, mit welchem Preußen in den Kampf tritt. Mannigfach freilich wird
der neue Reformentwurf von den Thatsachen überholt werden; eine solche Be¬
sprechung könnte daher heut mehr als je theoretisch erscheinen. Es sollen aber
,auch nur einige ganz allgemeine Gesichtspunkte angedeutet werden.

Es hat unzweifelhaft, um zu diesem Reformentwurf zu gelangen, nach
manchen Seiten hin Rücksicht geübt werden müssen, verschiedenartige Interessen
waren theils zu versöhnen, theils zu engagiren. Den Stempel solchen Com-
promisses verläugnet der Entwurf nicht. Aber der erste Fundamentalsatz der
nationalen Partei: Ausschluß Oestreichs aus dem engeren Bunde, ist mit aller
wünschenswerthen Bestimmtheit ausgesprochen. Wer den Satz nicht von vorn¬
herein acceptirt, wird ihn nie anders als gezwungen acceptiren. Und ebenso
werden alle andern Paragraphen, nimmt man diesen ersten hinweg, unmöglich.
Darüber ist kein Wort zu verlieren; vorläufig ist nicht zu überreden, nicht zu
überzeugen, die Ereignisse müssen sprechen.

Graf Bismarck hat sich mit Recht gesagt, daß zur Durchführung dieses
Programms sowohl nationale Förderung, als auch eine wenigstens nicht feind¬
selige Haltung der andern Fürsten erforderlich sei. Die Forderungen der natio¬
nalen Partei gipfelten seit Jahren in dem Verlangen nach deutschem Parlament
und Centralgewalt. Vielleicht war es möglich, die Fürsten mit dem Gedanken
des Parlaments zu versöhnen, mit dem der Centralgewalt gutwillig nie. An
Stelle der letzteren läßt der Entwurf daher, vorbehaltlich späterer Vereinbarung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/516>, abgerufen am 15.05.2024.