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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Christian Kling.
Eine Episode aus der nassauischen Kriegsgeschichte.

In dem nunmehr glücklich beendigten Kriege hat auch die uassauischc Armee
ihren Ehrentag gehabt. Es ist der Tag der Schlacht bei Zorn i und damit ver¬
hält es sich so:

Die nassauischen Truppen waren auf Befehl des Bundestages zu dem
achten Bundesanncccorps unter Prinz Alexander von Hessen gestoßen und lagen
in der Nähe von Frankfurt. Die Bundestagscmncc war dem ihr gegenüber¬
stehende" falkcnsteinschcn, später manteufselschen Corps an Zahl weit überlegen.
Die Preußen suchten deshalb die einzelnen Contingente der Reichsarmee durch
allerlei Neckereien möglichst auseinander zu zerren und dadurch das Hauptcorps
zu schwächen. Mit wiederholtem und glücklichem Erfolg wurde dies Manöver
gegenüber Nassau und Hessen-Darmstadt angewandt. Zeigten sich ein paar
preußische Landwchrmänner in Bürgen, dann verließ das Hessen-darmstädtische
Contingent, verstärkt durch Oestreich", das achte Armeecorps, um nach Buigen zu
eilen. Telegraphirte ein Spaßvogel von Bad Eins, es seien dort 15,000 Mann
Preußen eingerückt und hätten dann die Richtung nach Wiesbade" eingeschlagen,
so verabschiedete sich der nassauischc Gcncralbrigadier bei dem Prinzen Alexander
und eilte mit den zwei nassauischcn Regimentern auf das Plateau zwischen
Rhein und Lahn. Als ein paar preußische Landwehrleute den Dvmanialwein-
keller in Nüdcsheim leerten, verließ die nassauischc Brigade das deutsche Reich,
um den nassauischen Wein zu retten. Nicht weniger als siebenmal haben die
Offiziere von ihren Familien, die Soldaten von ihren Geliebten in Wiesbaden
ahnungsgrauend und todesmuthig Abschied genommen, um nach wenigen Tagen
von Frankfurt aus wieder zu erscheinen und alsbald die Scene des Abschieds
zu erneuern.

Bei einer dieser zahlreichen, stets unblutigen Expeditionen hatte sich die
nassauische Brigade auf der "hohen Wurzel", einem waldreichen Berge zwischen
Wiesbaden und Bad Schwalbach, ausgestellt. Ihr kriegerischer Muth schien
indeß weniger gegen die Preußen, als gegen "den Fortschritt" gerichtet zu sein.
Unter dem "Fortschritt" verstanden nämlich die Soldaten infolge der ihnen
ertheilten Belehrung die nationale Partei in Nassau, welche damals die Majo¬
rität in der Ständeversammlung besaß und trotz wiederholter Anforderungen der
Regierung die Mittel zur Führung eines Kriegs für Oestreich und gegen Preu¬
ßen verweigert hatte. Man hatte den Soldaten, ,die man sorgfältig von der
übrigen Welt abzuschließen wußte, eingeredet, der Landtag habe das Geld für


Grenzboten III. 18W. 52
Christian Kling.
Eine Episode aus der nassauischen Kriegsgeschichte.

In dem nunmehr glücklich beendigten Kriege hat auch die uassauischc Armee
ihren Ehrentag gehabt. Es ist der Tag der Schlacht bei Zorn i und damit ver¬
hält es sich so:

Die nassauischen Truppen waren auf Befehl des Bundestages zu dem
achten Bundesanncccorps unter Prinz Alexander von Hessen gestoßen und lagen
in der Nähe von Frankfurt. Die Bundestagscmncc war dem ihr gegenüber¬
stehende» falkcnsteinschcn, später manteufselschen Corps an Zahl weit überlegen.
Die Preußen suchten deshalb die einzelnen Contingente der Reichsarmee durch
allerlei Neckereien möglichst auseinander zu zerren und dadurch das Hauptcorps
zu schwächen. Mit wiederholtem und glücklichem Erfolg wurde dies Manöver
gegenüber Nassau und Hessen-Darmstadt angewandt. Zeigten sich ein paar
preußische Landwchrmänner in Bürgen, dann verließ das Hessen-darmstädtische
Contingent, verstärkt durch Oestreich», das achte Armeecorps, um nach Buigen zu
eilen. Telegraphirte ein Spaßvogel von Bad Eins, es seien dort 15,000 Mann
Preußen eingerückt und hätten dann die Richtung nach Wiesbade» eingeschlagen,
so verabschiedete sich der nassauischc Gcncralbrigadier bei dem Prinzen Alexander
und eilte mit den zwei nassauischcn Regimentern auf das Plateau zwischen
Rhein und Lahn. Als ein paar preußische Landwehrleute den Dvmanialwein-
keller in Nüdcsheim leerten, verließ die nassauischc Brigade das deutsche Reich,
um den nassauischen Wein zu retten. Nicht weniger als siebenmal haben die
Offiziere von ihren Familien, die Soldaten von ihren Geliebten in Wiesbaden
ahnungsgrauend und todesmuthig Abschied genommen, um nach wenigen Tagen
von Frankfurt aus wieder zu erscheinen und alsbald die Scene des Abschieds
zu erneuern.

Bei einer dieser zahlreichen, stets unblutigen Expeditionen hatte sich die
nassauische Brigade auf der „hohen Wurzel", einem waldreichen Berge zwischen
Wiesbaden und Bad Schwalbach, ausgestellt. Ihr kriegerischer Muth schien
indeß weniger gegen die Preußen, als gegen „den Fortschritt" gerichtet zu sein.
Unter dem „Fortschritt" verstanden nämlich die Soldaten infolge der ihnen
ertheilten Belehrung die nationale Partei in Nassau, welche damals die Majo¬
rität in der Ständeversammlung besaß und trotz wiederholter Anforderungen der
Regierung die Mittel zur Führung eines Kriegs für Oestreich und gegen Preu¬
ßen verweigert hatte. Man hatte den Soldaten, ,die man sorgfältig von der
übrigen Welt abzuschließen wußte, eingeredet, der Landtag habe das Geld für


Grenzboten III. 18W. 52
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[0439] Christian Kling. Eine Episode aus der nassauischen Kriegsgeschichte. In dem nunmehr glücklich beendigten Kriege hat auch die uassauischc Armee ihren Ehrentag gehabt. Es ist der Tag der Schlacht bei Zorn i und damit ver¬ hält es sich so: Die nassauischen Truppen waren auf Befehl des Bundestages zu dem achten Bundesanncccorps unter Prinz Alexander von Hessen gestoßen und lagen in der Nähe von Frankfurt. Die Bundestagscmncc war dem ihr gegenüber¬ stehende» falkcnsteinschcn, später manteufselschen Corps an Zahl weit überlegen. Die Preußen suchten deshalb die einzelnen Contingente der Reichsarmee durch allerlei Neckereien möglichst auseinander zu zerren und dadurch das Hauptcorps zu schwächen. Mit wiederholtem und glücklichem Erfolg wurde dies Manöver gegenüber Nassau und Hessen-Darmstadt angewandt. Zeigten sich ein paar preußische Landwchrmänner in Bürgen, dann verließ das Hessen-darmstädtische Contingent, verstärkt durch Oestreich», das achte Armeecorps, um nach Buigen zu eilen. Telegraphirte ein Spaßvogel von Bad Eins, es seien dort 15,000 Mann Preußen eingerückt und hätten dann die Richtung nach Wiesbade» eingeschlagen, so verabschiedete sich der nassauischc Gcncralbrigadier bei dem Prinzen Alexander und eilte mit den zwei nassauischcn Regimentern auf das Plateau zwischen Rhein und Lahn. Als ein paar preußische Landwehrleute den Dvmanialwein- keller in Nüdcsheim leerten, verließ die nassauischc Brigade das deutsche Reich, um den nassauischen Wein zu retten. Nicht weniger als siebenmal haben die Offiziere von ihren Familien, die Soldaten von ihren Geliebten in Wiesbaden ahnungsgrauend und todesmuthig Abschied genommen, um nach wenigen Tagen von Frankfurt aus wieder zu erscheinen und alsbald die Scene des Abschieds zu erneuern. Bei einer dieser zahlreichen, stets unblutigen Expeditionen hatte sich die nassauische Brigade auf der „hohen Wurzel", einem waldreichen Berge zwischen Wiesbaden und Bad Schwalbach, ausgestellt. Ihr kriegerischer Muth schien indeß weniger gegen die Preußen, als gegen „den Fortschritt" gerichtet zu sein. Unter dem „Fortschritt" verstanden nämlich die Soldaten infolge der ihnen ertheilten Belehrung die nationale Partei in Nassau, welche damals die Majo¬ rität in der Ständeversammlung besaß und trotz wiederholter Anforderungen der Regierung die Mittel zur Führung eines Kriegs für Oestreich und gegen Preu¬ ßen verweigert hatte. Man hatte den Soldaten, ,die man sorgfältig von der übrigen Welt abzuschließen wußte, eingeredet, der Landtag habe das Geld für Grenzboten III. 18W. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/439>, abgerufen am 04.05.2024.