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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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barere und complicirtere gewesen als z. B. die der Bearbeiter der Geschichte
Italiens, Oestreichs oder der Türkei, da es sich in der neueren englischen Ge-
schichte eigentlich gar nicht um "Ereignisse", sondern fast ausschließlich um
einzelne Resultate eines mühsam vorrückenden inneren Processes handelt, die
sich nicht klar übersehen, nicht endgiltig beurtheilen lassen, weil er noch bei
keinem entscheidenden Punkt angelangt ist. Das Detail dieser Entwickelung ist
häusig trocken und unverdaulich und doch kann es nicht Übergängen werden
seit Greises berühmtes Werk über die Verfassung und Verwaltung Englands
die Ansprüche der deutschen Lesewelt an jedes Buch über die Zustände des
Inselstaats erhöht, das deutsche Interesse auf zahlreiche Gebiete britischen Lebens
gerichtet hat, Von denen uns bisher jede genauere Kunde gefehlt hatte. Bei
der ungeheuren Bedeutung endlich, welche England für die Geschichte des Par<
lamentarismris hat, ist jede Beurtheilung der neueren Entwickelung dieses
Staats zugleich ein Urtheil über das gestimmte parlamentarische System und
als solches einer schärferen und aufmerksameren Controle ausgesetzt, als alles,
was über einen andern europäischen Staat -- vielleicht Preußen allein aus¬
genommen, gesagt werden könnte. Von diesem Gesichtspunkt aus verdient der
vorliegende zweite Band des paulischen Buchs die Aufmerksamkeit der Lese¬
welt in ganz besonderem Maß. denn grade diesem Schwerpunkt seiner Aufgabe
ist er, wie uns scheint, gerecht geworden.




Die Stuttgarter Versammlung am 3. und 4. August.

Als im Herbst vorigen Jahres die Friedensverträge abgeschlossen waren,
deren Wortlaut den Süden vom Norden trennte, lag es nahe, daß die Männer
der nationalen Partei in den vier süddeutschen Staaten zusammentraten, um sich
über die Aufgaben zu verständigen, die ihnen durch die neue Lage gestellt waren.
Am 14. Oct. v. I. fand zu diesem Zweck in Stuttgart eine Versammlung von
Abgeordneten aus Bayern. Württemberg, Baden und' Hessen statt. Die Sache
wurde damals sehr vertraulich behandelt, man vermied alles, was wie die Or-
ganisimng einer süddeutschen nationalen Partei aussah, selbst das Resultat der
Besprechungen wurde nicht der Oeffentlichkeit anvertraut. Man hatte nämlich
Ursache in jenem Stadium alles zu vermeiden, was entfernt wie die Einleitung
zu einem Südbund aussah, und unter diesem Gesichtspunkt erschien beinahe
selbst ein Bund zur Verhinderung des Bundes nicht unbedenklich, wie ja noch


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barere und complicirtere gewesen als z. B. die der Bearbeiter der Geschichte
Italiens, Oestreichs oder der Türkei, da es sich in der neueren englischen Ge-
schichte eigentlich gar nicht um „Ereignisse", sondern fast ausschließlich um
einzelne Resultate eines mühsam vorrückenden inneren Processes handelt, die
sich nicht klar übersehen, nicht endgiltig beurtheilen lassen, weil er noch bei
keinem entscheidenden Punkt angelangt ist. Das Detail dieser Entwickelung ist
häusig trocken und unverdaulich und doch kann es nicht Übergängen werden
seit Greises berühmtes Werk über die Verfassung und Verwaltung Englands
die Ansprüche der deutschen Lesewelt an jedes Buch über die Zustände des
Inselstaats erhöht, das deutsche Interesse auf zahlreiche Gebiete britischen Lebens
gerichtet hat, Von denen uns bisher jede genauere Kunde gefehlt hatte. Bei
der ungeheuren Bedeutung endlich, welche England für die Geschichte des Par<
lamentarismris hat, ist jede Beurtheilung der neueren Entwickelung dieses
Staats zugleich ein Urtheil über das gestimmte parlamentarische System und
als solches einer schärferen und aufmerksameren Controle ausgesetzt, als alles,
was über einen andern europäischen Staat — vielleicht Preußen allein aus¬
genommen, gesagt werden könnte. Von diesem Gesichtspunkt aus verdient der
vorliegende zweite Band des paulischen Buchs die Aufmerksamkeit der Lese¬
welt in ganz besonderem Maß. denn grade diesem Schwerpunkt seiner Aufgabe
ist er, wie uns scheint, gerecht geworden.




Die Stuttgarter Versammlung am 3. und 4. August.

Als im Herbst vorigen Jahres die Friedensverträge abgeschlossen waren,
deren Wortlaut den Süden vom Norden trennte, lag es nahe, daß die Männer
der nationalen Partei in den vier süddeutschen Staaten zusammentraten, um sich
über die Aufgaben zu verständigen, die ihnen durch die neue Lage gestellt waren.
Am 14. Oct. v. I. fand zu diesem Zweck in Stuttgart eine Versammlung von
Abgeordneten aus Bayern. Württemberg, Baden und' Hessen statt. Die Sache
wurde damals sehr vertraulich behandelt, man vermied alles, was wie die Or-
ganisimng einer süddeutschen nationalen Partei aussah, selbst das Resultat der
Besprechungen wurde nicht der Oeffentlichkeit anvertraut. Man hatte nämlich
Ursache in jenem Stadium alles zu vermeiden, was entfernt wie die Einleitung
zu einem Südbund aussah, und unter diesem Gesichtspunkt erschien beinahe
selbst ein Bund zur Verhinderung des Bundes nicht unbedenklich, wie ja noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/325>, abgerufen am 08.05.2024.