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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Mittheilungen aus andern russischen Quellen, namentlich officiellen, zu ergänzen,
bemerken wir nur, daß die fadejcwsche Schrift schon wegen der Niicksichtslosig-
keit ihrer Kritik der früheren russischen Militärzustände ein Interesse hat, das
über specifisch russische Kreise hinausreicht.




Eine neue Ausgabe von Winckelmanns Versuch einer Allegorie.

Johann Winckelmanns Versuch einer Allegorie, besonders für die
Kunst. Säcularausgabe. Aus des Verfassers Handexemplar mit vielen
Zusähen von seiner Hand, sowie mit inedirten Briefen Winckelmanns und
gleichzeitigen Aufzeichnungen, über seine legten Stunden herausgegeben
von Albert Dressel. Mit einer Vorbemerkung von Constantin Tischendorf.
Mit Portrait und Facsimile. Leipzig, Hermann Mendelssohn. 1866. -

Der kundige Leser, welcher das schön ausgestattete Quartheft zur Hand
nimmt, wird sich schwerlich eines mehrfachen Erstaunens erwehren können. Zu¬
nächst fällt sein Blick auf das dem Titel gegenüberstehende Portrait Winckel¬
manns. Mag er nun an das weitverbreitete Bild Macons mit dem turban¬
artig ums Haupt geschlungenen Tuche oder an das männlich kräftige Portrait
von der Hand Angelika Kaufmanns denken, immer müssen ihn diese unerfreu¬
lichen Züge befremden, die fast gar nichts mit jenen Bildern gemein haben,
diese lange spitze Nase, dieses scharfe vorspringende Kinn, diese runzelige fal¬
tige Haut. Der Verfasser der Vorbemerkung belehrt uns, die Lithographie sei
nach Casanova gefertigt. Das kann wohl nicht richtig sein, da Casanovas
Bild in strengem Profil gezeichnet ist, krauses Haar statt des kurzen schlichten
und kräftige derbe Formen statt der mageren aufweist. Oder sollte Tischendorf
im Besitz einer ganz abweichenden, bisher unbekannten Zeichnung Casanovas
sein? Dann war es doch wohl der Mühe werth dies anzuführen. Wir sind
nicht im Stande dieses Räthsel zu lösen, dürfen aber wohl unser Bedauern
aussprechen, daß nicht das schöne Oelgemcilde Angelika Kaufmanns zu Grunde
Aelegt ist; es war ja doch ohne Zweifel den Herausgebern bekannt, daß Winckel-
wann selbst einmal brieflich den Wunsch äußert, dasselbe seiner Schrift über die
Allegorie vorgesetzt zu sehen. Nachdem die geistreiche Radirung der Künstlerin
selbst äußerst selten geworden, eine zweite Radirung einer leipziger Dame


Mittheilungen aus andern russischen Quellen, namentlich officiellen, zu ergänzen,
bemerken wir nur, daß die fadejcwsche Schrift schon wegen der Niicksichtslosig-
keit ihrer Kritik der früheren russischen Militärzustände ein Interesse hat, das
über specifisch russische Kreise hinausreicht.




Eine neue Ausgabe von Winckelmanns Versuch einer Allegorie.

Johann Winckelmanns Versuch einer Allegorie, besonders für die
Kunst. Säcularausgabe. Aus des Verfassers Handexemplar mit vielen
Zusähen von seiner Hand, sowie mit inedirten Briefen Winckelmanns und
gleichzeitigen Aufzeichnungen, über seine legten Stunden herausgegeben
von Albert Dressel. Mit einer Vorbemerkung von Constantin Tischendorf.
Mit Portrait und Facsimile. Leipzig, Hermann Mendelssohn. 1866. -

Der kundige Leser, welcher das schön ausgestattete Quartheft zur Hand
nimmt, wird sich schwerlich eines mehrfachen Erstaunens erwehren können. Zu¬
nächst fällt sein Blick auf das dem Titel gegenüberstehende Portrait Winckel¬
manns. Mag er nun an das weitverbreitete Bild Macons mit dem turban¬
artig ums Haupt geschlungenen Tuche oder an das männlich kräftige Portrait
von der Hand Angelika Kaufmanns denken, immer müssen ihn diese unerfreu¬
lichen Züge befremden, die fast gar nichts mit jenen Bildern gemein haben,
diese lange spitze Nase, dieses scharfe vorspringende Kinn, diese runzelige fal¬
tige Haut. Der Verfasser der Vorbemerkung belehrt uns, die Lithographie sei
nach Casanova gefertigt. Das kann wohl nicht richtig sein, da Casanovas
Bild in strengem Profil gezeichnet ist, krauses Haar statt des kurzen schlichten
und kräftige derbe Formen statt der mageren aufweist. Oder sollte Tischendorf
im Besitz einer ganz abweichenden, bisher unbekannten Zeichnung Casanovas
sein? Dann war es doch wohl der Mühe werth dies anzuführen. Wir sind
nicht im Stande dieses Räthsel zu lösen, dürfen aber wohl unser Bedauern
aussprechen, daß nicht das schöne Oelgemcilde Angelika Kaufmanns zu Grunde
Aelegt ist; es war ja doch ohne Zweifel den Herausgebern bekannt, daß Winckel-
wann selbst einmal brieflich den Wunsch äußert, dasselbe seiner Schrift über die
Allegorie vorgesetzt zu sehen. Nachdem die geistreiche Radirung der Künstlerin
selbst äußerst selten geworden, eine zweite Radirung einer leipziger Dame


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[0503] Mittheilungen aus andern russischen Quellen, namentlich officiellen, zu ergänzen, bemerken wir nur, daß die fadejcwsche Schrift schon wegen der Niicksichtslosig- keit ihrer Kritik der früheren russischen Militärzustände ein Interesse hat, das über specifisch russische Kreise hinausreicht. Eine neue Ausgabe von Winckelmanns Versuch einer Allegorie. Johann Winckelmanns Versuch einer Allegorie, besonders für die Kunst. Säcularausgabe. Aus des Verfassers Handexemplar mit vielen Zusähen von seiner Hand, sowie mit inedirten Briefen Winckelmanns und gleichzeitigen Aufzeichnungen, über seine legten Stunden herausgegeben von Albert Dressel. Mit einer Vorbemerkung von Constantin Tischendorf. Mit Portrait und Facsimile. Leipzig, Hermann Mendelssohn. 1866. - Der kundige Leser, welcher das schön ausgestattete Quartheft zur Hand nimmt, wird sich schwerlich eines mehrfachen Erstaunens erwehren können. Zu¬ nächst fällt sein Blick auf das dem Titel gegenüberstehende Portrait Winckel¬ manns. Mag er nun an das weitverbreitete Bild Macons mit dem turban¬ artig ums Haupt geschlungenen Tuche oder an das männlich kräftige Portrait von der Hand Angelika Kaufmanns denken, immer müssen ihn diese unerfreu¬ lichen Züge befremden, die fast gar nichts mit jenen Bildern gemein haben, diese lange spitze Nase, dieses scharfe vorspringende Kinn, diese runzelige fal¬ tige Haut. Der Verfasser der Vorbemerkung belehrt uns, die Lithographie sei nach Casanova gefertigt. Das kann wohl nicht richtig sein, da Casanovas Bild in strengem Profil gezeichnet ist, krauses Haar statt des kurzen schlichten und kräftige derbe Formen statt der mageren aufweist. Oder sollte Tischendorf im Besitz einer ganz abweichenden, bisher unbekannten Zeichnung Casanovas sein? Dann war es doch wohl der Mühe werth dies anzuführen. Wir sind nicht im Stande dieses Räthsel zu lösen, dürfen aber wohl unser Bedauern aussprechen, daß nicht das schöne Oelgemcilde Angelika Kaufmanns zu Grunde Aelegt ist; es war ja doch ohne Zweifel den Herausgebern bekannt, daß Winckel- wann selbst einmal brieflich den Wunsch äußert, dasselbe seiner Schrift über die Allegorie vorgesetzt zu sehen. Nachdem die geistreiche Radirung der Künstlerin selbst äußerst selten geworden, eine zweite Radirung einer leipziger Dame

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/503>, abgerufen am 08.05.2024.