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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Literatur.
Dr. H. Jolowicz, Geschichte der Juden in Königsberg in Preußen.
Ein Beitrag zur Sittengeschichte des preußischen Staates. Nach urkundlichen
Quellen bearbeitet.

Diese Schrift, deren Material mit großem Fleiße aus zahlreichen gedruckten und
archivalischen Quellen zusammengetragen ist, hat allerdings zunächst ein locales, doch
auch ein allgemeines, culturgeschichtlichcs Interesse und enthält viele interessante
Einzelnheiten. Wir heben einiges hervor. Die königsberger Kaufmannschaft war
seit der Mitte des 14. Jahrhunderts im Besitze des seit Karl dem Großen im gan¬
zen Nordosten von Deutschland eingeführten Niederlagsrcchts, wonach fremde Kauf¬
und Handelsleute ihre Waaren an dem Ort nicht an Fremde, sondern an die kauf¬
männischen Bürger verkaufen, auch von diesen und von keinen andern ihre nöthigen
Nctourwaaren entnehmen sollten, bei Verlust des dritten Wcrttheils ihrer Waaren.
Der Handel als solcher war überdem, nach Muster anderer deutschen Städte, das
ausschließliche Vorrecht der sogenannten Großbürger, welche aus den beiden Zünften
der Kaufleute und Mälzenbräuer bestanden; sie wachten mit Argusaugen über ihre
Privilegien, gestatteten nur Eingebornen und deutschen, vorzugsweise hanseatischen
Kaufleuten die Aufnahme in die Zunft und beschränkten dieselbe später auf Luthe¬
raner und Katholiken. Fremden Kaufleuten war demnach der Handelsbetrieb so gut
wie verboten, sie wurden als Handelsgäste betrachtet, in verschiedene Classen getheilt
und unter der Benennung Lieg er vielen Bedrückungen unterworfen. Während
nun die Zünfte aufs äußerste bemüht waren, alle fremden Concurrenten (nament¬
lich die Juden) wo möglich ganz auszuschließen oder ihnen doch die Concurrenz
aufs äußerste zu erschweren, sehen wir die Regierungen im Ganzen geneigt, sie zu
schützen, theils in richtiger Erkenntniß des Handclsintcresscs, theils weil sie die Ein¬
künfte des Judcnschutzcs nicht entbehren konnten. Die zahlreichen Beschwerden der
Privilegium Handel- und Gewerbetreibenden gegen die verhaßten Concurrenten zeigen
manchmal, daß diese verstanden hatten sich unentbehrlich zu machen. Im Jahre
1703 klagte das Kürschnergcwcrk zu Königsberg, daß die Juden Hirsch und Moses
mit ihrem Anhange es ihnen im Ein- und Verkauf des rohen und ausgearbeiteten
Pclzwcrks zuvorthäten, wodurch ihnen ein großer Schaden erwachse, nur dem Ju¬
den Schmerz sei als geschicktem Zobclfärbcr, welcher bereits eine Zeit lang für die
hiesigen Kürschner gut gefärbt, der längere Aufenthalt zu gestatten, nicht aber dem
Moses, der diese Kunst nur wenig verstände. Aber nicht nur am Orte, sondern
auch auswärts schadeten ihnen die Juden, denn der Großhändler Meyer Schlanke
und sein Sohn "verlegen gantze Buden mit Ihren .wahren, als eben anitzo die
Brieffe von den.Mämmclschen (Memelschen) Meistern berichten". Wem fällt hier
nicht Atta Troll ein, der sich zwar für die Emancipation der Juden erklärt: "nur


Literatur.
Dr. H. Jolowicz, Geschichte der Juden in Königsberg in Preußen.
Ein Beitrag zur Sittengeschichte des preußischen Staates. Nach urkundlichen
Quellen bearbeitet.

Diese Schrift, deren Material mit großem Fleiße aus zahlreichen gedruckten und
archivalischen Quellen zusammengetragen ist, hat allerdings zunächst ein locales, doch
auch ein allgemeines, culturgeschichtlichcs Interesse und enthält viele interessante
Einzelnheiten. Wir heben einiges hervor. Die königsberger Kaufmannschaft war
seit der Mitte des 14. Jahrhunderts im Besitze des seit Karl dem Großen im gan¬
zen Nordosten von Deutschland eingeführten Niederlagsrcchts, wonach fremde Kauf¬
und Handelsleute ihre Waaren an dem Ort nicht an Fremde, sondern an die kauf¬
männischen Bürger verkaufen, auch von diesen und von keinen andern ihre nöthigen
Nctourwaaren entnehmen sollten, bei Verlust des dritten Wcrttheils ihrer Waaren.
Der Handel als solcher war überdem, nach Muster anderer deutschen Städte, das
ausschließliche Vorrecht der sogenannten Großbürger, welche aus den beiden Zünften
der Kaufleute und Mälzenbräuer bestanden; sie wachten mit Argusaugen über ihre
Privilegien, gestatteten nur Eingebornen und deutschen, vorzugsweise hanseatischen
Kaufleuten die Aufnahme in die Zunft und beschränkten dieselbe später auf Luthe¬
raner und Katholiken. Fremden Kaufleuten war demnach der Handelsbetrieb so gut
wie verboten, sie wurden als Handelsgäste betrachtet, in verschiedene Classen getheilt
und unter der Benennung Lieg er vielen Bedrückungen unterworfen. Während
nun die Zünfte aufs äußerste bemüht waren, alle fremden Concurrenten (nament¬
lich die Juden) wo möglich ganz auszuschließen oder ihnen doch die Concurrenz
aufs äußerste zu erschweren, sehen wir die Regierungen im Ganzen geneigt, sie zu
schützen, theils in richtiger Erkenntniß des Handclsintcresscs, theils weil sie die Ein¬
künfte des Judcnschutzcs nicht entbehren konnten. Die zahlreichen Beschwerden der
Privilegium Handel- und Gewerbetreibenden gegen die verhaßten Concurrenten zeigen
manchmal, daß diese verstanden hatten sich unentbehrlich zu machen. Im Jahre
1703 klagte das Kürschnergcwcrk zu Königsberg, daß die Juden Hirsch und Moses
mit ihrem Anhange es ihnen im Ein- und Verkauf des rohen und ausgearbeiteten
Pclzwcrks zuvorthäten, wodurch ihnen ein großer Schaden erwachse, nur dem Ju¬
den Schmerz sei als geschicktem Zobclfärbcr, welcher bereits eine Zeit lang für die
hiesigen Kürschner gut gefärbt, der längere Aufenthalt zu gestatten, nicht aber dem
Moses, der diese Kunst nur wenig verstände. Aber nicht nur am Orte, sondern
auch auswärts schadeten ihnen die Juden, denn der Großhändler Meyer Schlanke
und sein Sohn „verlegen gantze Buden mit Ihren .wahren, als eben anitzo die
Brieffe von den.Mämmclschen (Memelschen) Meistern berichten". Wem fällt hier
nicht Atta Troll ein, der sich zwar für die Emancipation der Juden erklärt: „nur


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[0202] Literatur. Dr. H. Jolowicz, Geschichte der Juden in Königsberg in Preußen. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des preußischen Staates. Nach urkundlichen Quellen bearbeitet. Diese Schrift, deren Material mit großem Fleiße aus zahlreichen gedruckten und archivalischen Quellen zusammengetragen ist, hat allerdings zunächst ein locales, doch auch ein allgemeines, culturgeschichtlichcs Interesse und enthält viele interessante Einzelnheiten. Wir heben einiges hervor. Die königsberger Kaufmannschaft war seit der Mitte des 14. Jahrhunderts im Besitze des seit Karl dem Großen im gan¬ zen Nordosten von Deutschland eingeführten Niederlagsrcchts, wonach fremde Kauf¬ und Handelsleute ihre Waaren an dem Ort nicht an Fremde, sondern an die kauf¬ männischen Bürger verkaufen, auch von diesen und von keinen andern ihre nöthigen Nctourwaaren entnehmen sollten, bei Verlust des dritten Wcrttheils ihrer Waaren. Der Handel als solcher war überdem, nach Muster anderer deutschen Städte, das ausschließliche Vorrecht der sogenannten Großbürger, welche aus den beiden Zünften der Kaufleute und Mälzenbräuer bestanden; sie wachten mit Argusaugen über ihre Privilegien, gestatteten nur Eingebornen und deutschen, vorzugsweise hanseatischen Kaufleuten die Aufnahme in die Zunft und beschränkten dieselbe später auf Luthe¬ raner und Katholiken. Fremden Kaufleuten war demnach der Handelsbetrieb so gut wie verboten, sie wurden als Handelsgäste betrachtet, in verschiedene Classen getheilt und unter der Benennung Lieg er vielen Bedrückungen unterworfen. Während nun die Zünfte aufs äußerste bemüht waren, alle fremden Concurrenten (nament¬ lich die Juden) wo möglich ganz auszuschließen oder ihnen doch die Concurrenz aufs äußerste zu erschweren, sehen wir die Regierungen im Ganzen geneigt, sie zu schützen, theils in richtiger Erkenntniß des Handclsintcresscs, theils weil sie die Ein¬ künfte des Judcnschutzcs nicht entbehren konnten. Die zahlreichen Beschwerden der Privilegium Handel- und Gewerbetreibenden gegen die verhaßten Concurrenten zeigen manchmal, daß diese verstanden hatten sich unentbehrlich zu machen. Im Jahre 1703 klagte das Kürschnergcwcrk zu Königsberg, daß die Juden Hirsch und Moses mit ihrem Anhange es ihnen im Ein- und Verkauf des rohen und ausgearbeiteten Pclzwcrks zuvorthäten, wodurch ihnen ein großer Schaden erwachse, nur dem Ju¬ den Schmerz sei als geschicktem Zobclfärbcr, welcher bereits eine Zeit lang für die hiesigen Kürschner gut gefärbt, der längere Aufenthalt zu gestatten, nicht aber dem Moses, der diese Kunst nur wenig verstände. Aber nicht nur am Orte, sondern auch auswärts schadeten ihnen die Juden, denn der Großhändler Meyer Schlanke und sein Sohn „verlegen gantze Buden mit Ihren .wahren, als eben anitzo die Brieffe von den.Mämmclschen (Memelschen) Meistern berichten". Wem fällt hier nicht Atta Troll ein, der sich zwar für die Emancipation der Juden erklärt: „nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/202>, abgerufen am 05.05.2024.