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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Bier Briefe eines Süddeutschen an den Verfasser der "Vier
Fragen eines Ostpreußen".
Zweiter Brief.

Vielleicht erinnern Sie Sich, Verehrtester Herr, daß wir eines Tags -- ich
glaube, es war im März 1865 --, zurückkehrend Von einem gemeinsamen Be¬
kannten selband durch den berliner Thiergarten wandelten und uns über jenen
Gegenstand unterhielten, welchen man damals die Schleswig-holsteinsche Frage
nannte und welchen man jetzt glücklicherweise nicht mehr so nennt, man hat
keine Ursache mehr dazu. Damals aber stand die Sache noch sehr kütisch.
Bekanntlich hatte Preußen am 22. Februar 1865 in definitiver Form die bundes-
staatlichen Bedingungen für die Constituirung des neuen Staates Schleswig-
Holstein aufgestellt. Der Prinz von Augustenburg hatte deren unveränderte
Annahme geweigert und erwidert, Preußen thue klüger, wenn es, statt ihm Be¬
dingungen aufzuerlegen, sein Herz zu gewinnen suche. Oestreich hatte als höhere
Instanz am S. März den abschläglichen Bescheid des Augustenburgers bestätigt,
des nämlichen Fürsten, welchen schier ein Jahr zuvor -- am 2. Januar 1864
-- dasselbe Oestreich beim Bundestag aus Schleswig-Holstein auszuweisen be¬
antragt hatte, als einen nicht heimathsberechtigten Störefried. So hatten sich
die Dinge in einem Jahre geändert und mit ihnen die Menschen.

Sie fragten mich damals. Mitte März 186S, was man in Süddeutschland
von der Schleswig-holsteinschen Angelegenheit halte. Ich antwortete, die Mei¬
nungen seien sehr getheilt. .Was mich für meine Person anlangt," schloß ich,
"ich wünschte Preußen anneciirte Schleswig-Holstein lieber heute als morgen;
wozu die Zahl der centrifugalen Klein- und Mittelstaaten noch um einen ver¬
mehren und noch dazu auf einem so enorm wichtigen Territorium!"

Sie sahen mich mit Ihrem durchdringenden Blick forschend und zweifelnd
an, wie einen Menschen, der eine rechte Sottise gesagt hat, oder etwas Schlim¬
meres. Zögernd fragten Sie: "Ich glaube, Sie scherzen? Wissen Sie denn
nicht, daß die Meinstaaten in Deutschland das Asyl der Freiheit sind?"

Jetzt war die Reihe an mir, zu fragen, ob Sie scherzten. Leider konnten
wir einander gegenseitig nicht überzeugen. Sie mich so wenig von dem Werthe,
als ich Sie von dem Unwerthe der Kleinstaaterei. Ich trennte mich von Ihnen
mit dem frommen Wunsche, es möge Ihnen vergönnt sein, auch einmal fünf¬
undzwanzig Jahre lang von dem souveränen Herzog A. v. N. regiert zu wer-


Bier Briefe eines Süddeutschen an den Verfasser der „Vier
Fragen eines Ostpreußen".
Zweiter Brief.

Vielleicht erinnern Sie Sich, Verehrtester Herr, daß wir eines Tags — ich
glaube, es war im März 1865 —, zurückkehrend Von einem gemeinsamen Be¬
kannten selband durch den berliner Thiergarten wandelten und uns über jenen
Gegenstand unterhielten, welchen man damals die Schleswig-holsteinsche Frage
nannte und welchen man jetzt glücklicherweise nicht mehr so nennt, man hat
keine Ursache mehr dazu. Damals aber stand die Sache noch sehr kütisch.
Bekanntlich hatte Preußen am 22. Februar 1865 in definitiver Form die bundes-
staatlichen Bedingungen für die Constituirung des neuen Staates Schleswig-
Holstein aufgestellt. Der Prinz von Augustenburg hatte deren unveränderte
Annahme geweigert und erwidert, Preußen thue klüger, wenn es, statt ihm Be¬
dingungen aufzuerlegen, sein Herz zu gewinnen suche. Oestreich hatte als höhere
Instanz am S. März den abschläglichen Bescheid des Augustenburgers bestätigt,
des nämlichen Fürsten, welchen schier ein Jahr zuvor — am 2. Januar 1864
— dasselbe Oestreich beim Bundestag aus Schleswig-Holstein auszuweisen be¬
antragt hatte, als einen nicht heimathsberechtigten Störefried. So hatten sich
die Dinge in einem Jahre geändert und mit ihnen die Menschen.

Sie fragten mich damals. Mitte März 186S, was man in Süddeutschland
von der Schleswig-holsteinschen Angelegenheit halte. Ich antwortete, die Mei¬
nungen seien sehr getheilt. .Was mich für meine Person anlangt," schloß ich,
„ich wünschte Preußen anneciirte Schleswig-Holstein lieber heute als morgen;
wozu die Zahl der centrifugalen Klein- und Mittelstaaten noch um einen ver¬
mehren und noch dazu auf einem so enorm wichtigen Territorium!"

Sie sahen mich mit Ihrem durchdringenden Blick forschend und zweifelnd
an, wie einen Menschen, der eine rechte Sottise gesagt hat, oder etwas Schlim¬
meres. Zögernd fragten Sie: „Ich glaube, Sie scherzen? Wissen Sie denn
nicht, daß die Meinstaaten in Deutschland das Asyl der Freiheit sind?"

Jetzt war die Reihe an mir, zu fragen, ob Sie scherzten. Leider konnten
wir einander gegenseitig nicht überzeugen. Sie mich so wenig von dem Werthe,
als ich Sie von dem Unwerthe der Kleinstaaterei. Ich trennte mich von Ihnen
mit dem frommen Wunsche, es möge Ihnen vergönnt sein, auch einmal fünf¬
undzwanzig Jahre lang von dem souveränen Herzog A. v. N. regiert zu wer-


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[0511] Bier Briefe eines Süddeutschen an den Verfasser der „Vier Fragen eines Ostpreußen". Zweiter Brief. Vielleicht erinnern Sie Sich, Verehrtester Herr, daß wir eines Tags — ich glaube, es war im März 1865 —, zurückkehrend Von einem gemeinsamen Be¬ kannten selband durch den berliner Thiergarten wandelten und uns über jenen Gegenstand unterhielten, welchen man damals die Schleswig-holsteinsche Frage nannte und welchen man jetzt glücklicherweise nicht mehr so nennt, man hat keine Ursache mehr dazu. Damals aber stand die Sache noch sehr kütisch. Bekanntlich hatte Preußen am 22. Februar 1865 in definitiver Form die bundes- staatlichen Bedingungen für die Constituirung des neuen Staates Schleswig- Holstein aufgestellt. Der Prinz von Augustenburg hatte deren unveränderte Annahme geweigert und erwidert, Preußen thue klüger, wenn es, statt ihm Be¬ dingungen aufzuerlegen, sein Herz zu gewinnen suche. Oestreich hatte als höhere Instanz am S. März den abschläglichen Bescheid des Augustenburgers bestätigt, des nämlichen Fürsten, welchen schier ein Jahr zuvor — am 2. Januar 1864 — dasselbe Oestreich beim Bundestag aus Schleswig-Holstein auszuweisen be¬ antragt hatte, als einen nicht heimathsberechtigten Störefried. So hatten sich die Dinge in einem Jahre geändert und mit ihnen die Menschen. Sie fragten mich damals. Mitte März 186S, was man in Süddeutschland von der Schleswig-holsteinschen Angelegenheit halte. Ich antwortete, die Mei¬ nungen seien sehr getheilt. .Was mich für meine Person anlangt," schloß ich, „ich wünschte Preußen anneciirte Schleswig-Holstein lieber heute als morgen; wozu die Zahl der centrifugalen Klein- und Mittelstaaten noch um einen ver¬ mehren und noch dazu auf einem so enorm wichtigen Territorium!" Sie sahen mich mit Ihrem durchdringenden Blick forschend und zweifelnd an, wie einen Menschen, der eine rechte Sottise gesagt hat, oder etwas Schlim¬ meres. Zögernd fragten Sie: „Ich glaube, Sie scherzen? Wissen Sie denn nicht, daß die Meinstaaten in Deutschland das Asyl der Freiheit sind?" Jetzt war die Reihe an mir, zu fragen, ob Sie scherzten. Leider konnten wir einander gegenseitig nicht überzeugen. Sie mich so wenig von dem Werthe, als ich Sie von dem Unwerthe der Kleinstaaterei. Ich trennte mich von Ihnen mit dem frommen Wunsche, es möge Ihnen vergönnt sein, auch einmal fünf¬ undzwanzig Jahre lang von dem souveränen Herzog A. v. N. regiert zu wer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/511>, abgerufen am 05.05.2024.