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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Jetzt hätte denn doch endlich trotz der unglaublich schlechten PostVerbindung
im Bregenzerwalde ein Briefchen von dort anlangen können.

"Wenn ihr ein Unglück begegnet sein sollte?" fragte ich mich oft. aber der
Gedanke war mir so ungeheuer, daß ich ihn gar nicht zu ertragen vermochte.
Ich hielt das so ganz gegen alle Weltordnung und -- muß ich offen gestehen --
gegen die darin sich überall offenbarende göttliche Weisheit und Güte, daß
nach und nach die Furcht vor dem Allerschrecklichsten sich in demüthiges Gott-
vertrauen verwandelte und ich dem jetzt eintretenden Freunde fröhlicher entgegen"
lächeln konnte, als er das jetzt an mir gewohnt sein mochte. Die Jgsser
neben uns hatten so laut zu streiten angefangen, daß wir unbeachtet plaudern
konnten.

"Was bringst du Neues?" frug ich ängstlich in seinem Gesichte lesend.

"Morgen wird in unseren Blättern eine Erklärung von mir erscheinen, die
die Behörden auf die jüngsten Vorgänge im Bregenzerwald aufmerksam macht."

"Und dann?"

"Wird wahrscheinlich vom Staatsanwalt eine Untersuchung eingeleitet
werden."

"Endlich!" jubelte ich.

"Ist dir nicht bang?"

"O mir gar nicht! Alles ist mir willkommen, was in meiner Angelegen¬
heit die Wahrheit an den Tag bringen kann."

Mir war auf einmal wunderbar wohl. Es war also doch nicht umsonst
gewesen, als ich floh, um die Gesetze und den Geist unseres Jahrhunderts an¬
zurufen. Da saß ich Tropf, dachte an das Wiegenfest von 1863 und wollte
mit dem heutigen, trotz einer gestrigen schönen Vorfeier bei den Liberalen in
Feldkirch, nicht einmal zufrieden sein! Und doch hatte ich seitdem eigentlich gar
nichts verloren, dagegen unendlich viel gewonnen, wurde sogar gewürdiget, den
Kampf aufzunehmen für eine heilige Sache und vielleicht an der Brücke zu
bauen, von der mir der Zimmermann gesagt hatte.

Ich kam in der heitersten Stimmung in das Haus meines Schwagers und
auf meinem Tische fand sich der heißersehnte Brief vom Wible, welcher die glück¬
liche Heimkehr und das Wohlbefinden der Meinigen meldete.

Im Traume, der diesem Tage folgte, sah ich mein Heimathsdorf, wie ich
es vor vier Jahren vom Berg aus in der Abenddämmerung gesehen hatte.




Jetzt hätte denn doch endlich trotz der unglaublich schlechten PostVerbindung
im Bregenzerwalde ein Briefchen von dort anlangen können.

„Wenn ihr ein Unglück begegnet sein sollte?" fragte ich mich oft. aber der
Gedanke war mir so ungeheuer, daß ich ihn gar nicht zu ertragen vermochte.
Ich hielt das so ganz gegen alle Weltordnung und — muß ich offen gestehen —
gegen die darin sich überall offenbarende göttliche Weisheit und Güte, daß
nach und nach die Furcht vor dem Allerschrecklichsten sich in demüthiges Gott-
vertrauen verwandelte und ich dem jetzt eintretenden Freunde fröhlicher entgegen»
lächeln konnte, als er das jetzt an mir gewohnt sein mochte. Die Jgsser
neben uns hatten so laut zu streiten angefangen, daß wir unbeachtet plaudern
konnten.

„Was bringst du Neues?" frug ich ängstlich in seinem Gesichte lesend.

„Morgen wird in unseren Blättern eine Erklärung von mir erscheinen, die
die Behörden auf die jüngsten Vorgänge im Bregenzerwald aufmerksam macht."

„Und dann?"

„Wird wahrscheinlich vom Staatsanwalt eine Untersuchung eingeleitet
werden."

„Endlich!" jubelte ich.

„Ist dir nicht bang?"

„O mir gar nicht! Alles ist mir willkommen, was in meiner Angelegen¬
heit die Wahrheit an den Tag bringen kann."

Mir war auf einmal wunderbar wohl. Es war also doch nicht umsonst
gewesen, als ich floh, um die Gesetze und den Geist unseres Jahrhunderts an¬
zurufen. Da saß ich Tropf, dachte an das Wiegenfest von 1863 und wollte
mit dem heutigen, trotz einer gestrigen schönen Vorfeier bei den Liberalen in
Feldkirch, nicht einmal zufrieden sein! Und doch hatte ich seitdem eigentlich gar
nichts verloren, dagegen unendlich viel gewonnen, wurde sogar gewürdiget, den
Kampf aufzunehmen für eine heilige Sache und vielleicht an der Brücke zu
bauen, von der mir der Zimmermann gesagt hatte.

Ich kam in der heitersten Stimmung in das Haus meines Schwagers und
auf meinem Tische fand sich der heißersehnte Brief vom Wible, welcher die glück¬
liche Heimkehr und das Wohlbefinden der Meinigen meldete.

Im Traume, der diesem Tage folgte, sah ich mein Heimathsdorf, wie ich
es vor vier Jahren vom Berg aus in der Abenddämmerung gesehen hatte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/510>, abgerufen am 25.05.2024.