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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Kleine Chronik vom Reichstage.
3.

Die vergangene Woche schloß mit einer Verstimmung zwischen der natio¬
nalen Partei und der preußischen Regierung, es steht zu hoffen, daß die luxem-
burgcr Frage die eingetretene Kälte wieder gehoben hat.

Jene Verstimmung war durch die Annahme der Amendements, daß Be¬
amte wählbar seien und daß die Mitglieder künftiger Reichstage Diäten be¬
ziehen sollen, herbeigeführt. Wenn man nicht bei jedem der früheren Artikel
den Drang in Kleinigkeiten zu amendiren loben konnte, so darf doch nicht ver¬
kannt werden, daß in dem Abschnitt über den Reichstag die Versammlung nur
die häuslichen Verhältnisse ihrer eigenen Zukunft ordnete, als sie die spärlichen
Bestimmungen der betreffenden Artikel des Gesetzentwurfs ergänzte. Ob sie
dies in der geeigneten Weise gethan, ist eine Frage, w lebe auch außerhalb des
Hauses sehr verschieden beurtheilt werden wird.

Schwerlich in Betreff der Beamten. Denn wie wünschenswert!) man auch
erachte" mag, daß die Beamten, welche Recht, Verwaltung und Cultus der
einzelnen Kreise leiten, daß Richter, Landräthe, Geistliche nicht durch die Wahl
zum Reichstag ihrem Amte entzogen werden, so wäre ein principielles Aus¬
schließen der Beamten doch in Deutschland zur Zeit eine für den Staat selbst
nachtheilige Maßregel. Denn seit länger als zweihundert Jahren sind die
deutschen Staaten in ganz einziger Weise Beamtenstaalen gewesen, und sie alle
haben unablässig gearbeitet, ihrem Beamtenthum mit der Herrschaft über das
Volk auch die politischen Kenntnisse als Monopol zu sichern und alle Intelligenz
und Tüchtigkeit mit einem Beamtenrock zu umkleiden. Deshalb würde für die
nächste Zukunft der Reichstag nach Ausschluß der Beamten fast nur große
Grundbesitzer und industrielle Speculanten umfassen, nicht zum Heil für den
Staat.

In der Diätcnfrage haben auch solche, welche eine persönliche Abneigung
gegen Diäten haben, für die künftige Zahlung derselben gestimmt. Nicht nur
deshalb, weil Diäten fast nothwendige Consequenz der Zulassung von Beamten
sind. Die meisten halten noch einen andern Grund. In Mitteldeutschland ist
unter den Wählern keine volksmäßige Forderung den Candidaten so sehr an
das Herz gelegt, als die der Diäten. Und zwar weil die Wähler in der Sorge
leben, grade durch das allgemeine Wahlrecht Deutsche zweiter Classe zu werden,


Kleine Chronik vom Reichstage.
3.

Die vergangene Woche schloß mit einer Verstimmung zwischen der natio¬
nalen Partei und der preußischen Regierung, es steht zu hoffen, daß die luxem-
burgcr Frage die eingetretene Kälte wieder gehoben hat.

Jene Verstimmung war durch die Annahme der Amendements, daß Be¬
amte wählbar seien und daß die Mitglieder künftiger Reichstage Diäten be¬
ziehen sollen, herbeigeführt. Wenn man nicht bei jedem der früheren Artikel
den Drang in Kleinigkeiten zu amendiren loben konnte, so darf doch nicht ver¬
kannt werden, daß in dem Abschnitt über den Reichstag die Versammlung nur
die häuslichen Verhältnisse ihrer eigenen Zukunft ordnete, als sie die spärlichen
Bestimmungen der betreffenden Artikel des Gesetzentwurfs ergänzte. Ob sie
dies in der geeigneten Weise gethan, ist eine Frage, w lebe auch außerhalb des
Hauses sehr verschieden beurtheilt werden wird.

Schwerlich in Betreff der Beamten. Denn wie wünschenswert!) man auch
erachte» mag, daß die Beamten, welche Recht, Verwaltung und Cultus der
einzelnen Kreise leiten, daß Richter, Landräthe, Geistliche nicht durch die Wahl
zum Reichstag ihrem Amte entzogen werden, so wäre ein principielles Aus¬
schließen der Beamten doch in Deutschland zur Zeit eine für den Staat selbst
nachtheilige Maßregel. Denn seit länger als zweihundert Jahren sind die
deutschen Staaten in ganz einziger Weise Beamtenstaalen gewesen, und sie alle
haben unablässig gearbeitet, ihrem Beamtenthum mit der Herrschaft über das
Volk auch die politischen Kenntnisse als Monopol zu sichern und alle Intelligenz
und Tüchtigkeit mit einem Beamtenrock zu umkleiden. Deshalb würde für die
nächste Zukunft der Reichstag nach Ausschluß der Beamten fast nur große
Grundbesitzer und industrielle Speculanten umfassen, nicht zum Heil für den
Staat.

In der Diätcnfrage haben auch solche, welche eine persönliche Abneigung
gegen Diäten haben, für die künftige Zahlung derselben gestimmt. Nicht nur
deshalb, weil Diäten fast nothwendige Consequenz der Zulassung von Beamten
sind. Die meisten halten noch einen andern Grund. In Mitteldeutschland ist
unter den Wählern keine volksmäßige Forderung den Candidaten so sehr an
das Herz gelegt, als die der Diäten. Und zwar weil die Wähler in der Sorge
leben, grade durch das allgemeine Wahlrecht Deutsche zweiter Classe zu werden,


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[0080] Kleine Chronik vom Reichstage. 3. Die vergangene Woche schloß mit einer Verstimmung zwischen der natio¬ nalen Partei und der preußischen Regierung, es steht zu hoffen, daß die luxem- burgcr Frage die eingetretene Kälte wieder gehoben hat. Jene Verstimmung war durch die Annahme der Amendements, daß Be¬ amte wählbar seien und daß die Mitglieder künftiger Reichstage Diäten be¬ ziehen sollen, herbeigeführt. Wenn man nicht bei jedem der früheren Artikel den Drang in Kleinigkeiten zu amendiren loben konnte, so darf doch nicht ver¬ kannt werden, daß in dem Abschnitt über den Reichstag die Versammlung nur die häuslichen Verhältnisse ihrer eigenen Zukunft ordnete, als sie die spärlichen Bestimmungen der betreffenden Artikel des Gesetzentwurfs ergänzte. Ob sie dies in der geeigneten Weise gethan, ist eine Frage, w lebe auch außerhalb des Hauses sehr verschieden beurtheilt werden wird. Schwerlich in Betreff der Beamten. Denn wie wünschenswert!) man auch erachte» mag, daß die Beamten, welche Recht, Verwaltung und Cultus der einzelnen Kreise leiten, daß Richter, Landräthe, Geistliche nicht durch die Wahl zum Reichstag ihrem Amte entzogen werden, so wäre ein principielles Aus¬ schließen der Beamten doch in Deutschland zur Zeit eine für den Staat selbst nachtheilige Maßregel. Denn seit länger als zweihundert Jahren sind die deutschen Staaten in ganz einziger Weise Beamtenstaalen gewesen, und sie alle haben unablässig gearbeitet, ihrem Beamtenthum mit der Herrschaft über das Volk auch die politischen Kenntnisse als Monopol zu sichern und alle Intelligenz und Tüchtigkeit mit einem Beamtenrock zu umkleiden. Deshalb würde für die nächste Zukunft der Reichstag nach Ausschluß der Beamten fast nur große Grundbesitzer und industrielle Speculanten umfassen, nicht zum Heil für den Staat. In der Diätcnfrage haben auch solche, welche eine persönliche Abneigung gegen Diäten haben, für die künftige Zahlung derselben gestimmt. Nicht nur deshalb, weil Diäten fast nothwendige Consequenz der Zulassung von Beamten sind. Die meisten halten noch einen andern Grund. In Mitteldeutschland ist unter den Wählern keine volksmäßige Forderung den Candidaten so sehr an das Herz gelegt, als die der Diäten. Und zwar weil die Wähler in der Sorge leben, grade durch das allgemeine Wahlrecht Deutsche zweiter Classe zu werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/80>, abgerufen am 05.05.2024.