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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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die frühere Landtagsmehrheit zu erzielen, als "Landesverräther" drohten, "er
habe von der Nation nur Schande und Schmach, Fluch und Abscheu zu er¬
warten". Der hohe Klerus, den Fürsterzbischvf Schwärzender", an der Spitze,
agitirte in der lebhaftesten Weise für die nationale Partei. Die Geistlichkeit
fürchtet die Regungen des hussitischen Geistes im czechischen Volte und glaubt
das Interesse der katholischen Kirche am besten durch Concessionen an die na¬
tionalen zu wahren: "Mit uns ist Gott! Wir werden siegen!" rief ein hoher
geistlicher Würdenträger aus, indem er die Häupter der böhmischen Aristokratie
aufforderte, gegen die Deutschen und die Regierung zu stimmen. Die Ankunft
des Erzherzogs Ludwig Karl, des ältesten Bruders des Kaisers, in Prag, hatte
den Zweck, die Adeligen und Geistlichen über die der deutschen verfassungs¬
freundlichen Partei günstigen Intentionen der höchsten Negierungst'reise aufzu¬
klären; allein die Herren Graf Clam-Martinitz. Thun und Genossen erklärten
trotzdem "in Seiner Majestät getreuester Opposition" zu verbleiben, und die Geist¬
lichkeit betrachtete es als ein höchst wichtiges Moment, die Unabhängigkeit der
Kirche von der weltlichen Regierung auf das deutlichste darzulegen. Der bürger¬
liche Großgrundbesitz aber raffte alle seine Kräfte zur Unterstützung der Partei
des Fürsten Auersperg zusammen, mit der eine Verständigung auf dem Boden
der Verfassung möglich ist, ohne daß eine unnatürliche Allianz wie zwischen
den czechischen Demokraten und den feudalen Rittern nöthig wäre. Dem ener¬
gischen Auftreten der deutschen Partei des Adels gelang es auch, mit einer
Majorität von 29 Stimmen den Sieg zu erringen, dessen Bedeutung eine ganz
wesentliche ist. Hierdurch ist nämlich die Neugestaltung des Landtages im deut¬
schen, verfassungsfreundlichen Sinne entschieden. Die Czechen verfügen jetzt
nur über ein Dritttheil der Stimmen der Landtagsabgeordneten. Da sich unsere
czechischen Heißsporne durchaus nicht gewöhnen können, sich einer parlamen¬
tarischen Majorität zu fügen, so wird es natürlich noch zu sehr erregten Auf¬
tritten kommen und mit nicht geringer Spannung sieht man darum der Er¬
öffnung des neuen Landtages entgegen. Die Führer der feudalen Partei, die
Herren Graf Clam-Martinitz, Leo Thun, Fürst Lvbkovitz u. in. a. müssen nun
darauf verzichten, den böhmischen Landtag zum Zeugen ihrer politisch-historischen
Evolutionen zu machen und der Schmerz, daß sie nun für sechs Jahre (die
Dauer der Periode, für welche die jetzigen Landtagswahlen gelten) politisch
mundtodt gemacht sind, ist kein geringer. Man sagt, etliche czcchische Abgeordnete
wollten zu Gunsten dieser hohen Alliirten auf ihre Mandate Verzicht leisten.


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die frühere Landtagsmehrheit zu erzielen, als „Landesverräther" drohten, „er
habe von der Nation nur Schande und Schmach, Fluch und Abscheu zu er¬
warten". Der hohe Klerus, den Fürsterzbischvf Schwärzender«, an der Spitze,
agitirte in der lebhaftesten Weise für die nationale Partei. Die Geistlichkeit
fürchtet die Regungen des hussitischen Geistes im czechischen Volte und glaubt
das Interesse der katholischen Kirche am besten durch Concessionen an die na¬
tionalen zu wahren: „Mit uns ist Gott! Wir werden siegen!" rief ein hoher
geistlicher Würdenträger aus, indem er die Häupter der böhmischen Aristokratie
aufforderte, gegen die Deutschen und die Regierung zu stimmen. Die Ankunft
des Erzherzogs Ludwig Karl, des ältesten Bruders des Kaisers, in Prag, hatte
den Zweck, die Adeligen und Geistlichen über die der deutschen verfassungs¬
freundlichen Partei günstigen Intentionen der höchsten Negierungst'reise aufzu¬
klären; allein die Herren Graf Clam-Martinitz. Thun und Genossen erklärten
trotzdem „in Seiner Majestät getreuester Opposition" zu verbleiben, und die Geist¬
lichkeit betrachtete es als ein höchst wichtiges Moment, die Unabhängigkeit der
Kirche von der weltlichen Regierung auf das deutlichste darzulegen. Der bürger¬
liche Großgrundbesitz aber raffte alle seine Kräfte zur Unterstützung der Partei
des Fürsten Auersperg zusammen, mit der eine Verständigung auf dem Boden
der Verfassung möglich ist, ohne daß eine unnatürliche Allianz wie zwischen
den czechischen Demokraten und den feudalen Rittern nöthig wäre. Dem ener¬
gischen Auftreten der deutschen Partei des Adels gelang es auch, mit einer
Majorität von 29 Stimmen den Sieg zu erringen, dessen Bedeutung eine ganz
wesentliche ist. Hierdurch ist nämlich die Neugestaltung des Landtages im deut¬
schen, verfassungsfreundlichen Sinne entschieden. Die Czechen verfügen jetzt
nur über ein Dritttheil der Stimmen der Landtagsabgeordneten. Da sich unsere
czechischen Heißsporne durchaus nicht gewöhnen können, sich einer parlamen¬
tarischen Majorität zu fügen, so wird es natürlich noch zu sehr erregten Auf¬
tritten kommen und mit nicht geringer Spannung sieht man darum der Er¬
öffnung des neuen Landtages entgegen. Die Führer der feudalen Partei, die
Herren Graf Clam-Martinitz, Leo Thun, Fürst Lvbkovitz u. in. a. müssen nun
darauf verzichten, den böhmischen Landtag zum Zeugen ihrer politisch-historischen
Evolutionen zu machen und der Schmerz, daß sie nun für sechs Jahre (die
Dauer der Periode, für welche die jetzigen Landtagswahlen gelten) politisch
mundtodt gemacht sind, ist kein geringer. Man sagt, etliche czcchische Abgeordnete
wollten zu Gunsten dieser hohen Alliirten auf ihre Mandate Verzicht leisten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/79>, abgerufen am 24.05.2024.