Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Möge dem Uebersetzer, welcher Molieres Stücke in würdiger Gestalt
unserer Bühne zugänglich gemacht hat, auch die Freude werden, daß die
Schauspielkunst und das Publikum des Theaters die Frucht seiner Arbeit für
sich eincrndten.




Zu WWMmlNMs IMm Geburtstage.

Carl Justi: Winckelmann in Deutschland. Leipzig. F. C. W. Vogel.

In der Nachbarschaft des jüngst so ernsthaft bedrohten capitolinischen Hü¬
gels zu Rom feiert jedesmal am 9. December die von Eduard Gerhard be¬
gründete deutsche archäologische Gesellschaft in dem Geburtstage Winckelmanns
den eigenen. Künftiges Jahr erfüllen sich ihr die ersten vier Decennien des
Bestehens; vor diesem Zeitpunkt aber, am 8. Juni 1868, kehrt nach einem
Jahrhundert die Erinnerung des Tages wieder, der von einem unberechenbaren
Dämon regiert, dem Begründer der modernen Archäologie das Leben nahm. Die
Unbill dieses Schicksals wird dort an der würdigsten Stätte, wo Winckelmanns
gedacht werden kann, mit dem lauten Bekenntnisse gesühnt werden, daß das
Werk nicht mit dem Urheber zu Grunde gegangen, sondern in eifriger Nach¬
folge fortgebildet worden, und daß es vor anderen eben jener wechselnden römi¬
schen Genossen höchster Stolz ist, in allem Großen und Besten, was sie erstrebt,
sich auf Winckelmann zu berufen. Gehört denen, die sich täglich der Aufschlüsse
erfreuen, welche Rom ihnen wie dem Ahnherrn ihrer Wissenschaft gewährt,
vornehmlich die italienische Hälfte dieses großen Gelehrtenlebens, so scheint es
billig, daß wir uns mit um so größerer Zärtlichkeit an die hyperboräischen
Tage desselben halten, auf welche der eben jetzt zu feiernde hundcrtundfünfzigste
Geburtstag Winckelmanns hinweist.

Aber wie schlecht war bisher unser Pictätsbedürfniß nach dieser Seite be¬
rathen. Nicht genug, daß der große Gelehrte selbst an die Tantalusqualen
seiner Jugendjahre mit einem Verdruß zurück dachte, der nicht mittheilsam
macht, wie er ja auch die Abfassung seiner Selbstbiographie, wenn sie nicht
geradezu aufgegeben war, so lang hinausschob, daß ihn der jähe Tod daran
verhinderte, -- auch mitlebende Freunde haben gerade über diejenige Periode
seines Strebens und Ringens, die er ohnehin am kärgsten bedacht haben würde,
wenig und ungenügende Nachricht gegeben. Natürlich; denn der alle Genosse"
in Staunen versetzende Glanz der italienischen Zeit, von deren Beginn er
feinen wahren Geburtstag zu rechnen liebte, warf immer tiefere Schatten auf


Möge dem Uebersetzer, welcher Molieres Stücke in würdiger Gestalt
unserer Bühne zugänglich gemacht hat, auch die Freude werden, daß die
Schauspielkunst und das Publikum des Theaters die Frucht seiner Arbeit für
sich eincrndten.




Zu WWMmlNMs IMm Geburtstage.

Carl Justi: Winckelmann in Deutschland. Leipzig. F. C. W. Vogel.

In der Nachbarschaft des jüngst so ernsthaft bedrohten capitolinischen Hü¬
gels zu Rom feiert jedesmal am 9. December die von Eduard Gerhard be¬
gründete deutsche archäologische Gesellschaft in dem Geburtstage Winckelmanns
den eigenen. Künftiges Jahr erfüllen sich ihr die ersten vier Decennien des
Bestehens; vor diesem Zeitpunkt aber, am 8. Juni 1868, kehrt nach einem
Jahrhundert die Erinnerung des Tages wieder, der von einem unberechenbaren
Dämon regiert, dem Begründer der modernen Archäologie das Leben nahm. Die
Unbill dieses Schicksals wird dort an der würdigsten Stätte, wo Winckelmanns
gedacht werden kann, mit dem lauten Bekenntnisse gesühnt werden, daß das
Werk nicht mit dem Urheber zu Grunde gegangen, sondern in eifriger Nach¬
folge fortgebildet worden, und daß es vor anderen eben jener wechselnden römi¬
schen Genossen höchster Stolz ist, in allem Großen und Besten, was sie erstrebt,
sich auf Winckelmann zu berufen. Gehört denen, die sich täglich der Aufschlüsse
erfreuen, welche Rom ihnen wie dem Ahnherrn ihrer Wissenschaft gewährt,
vornehmlich die italienische Hälfte dieses großen Gelehrtenlebens, so scheint es
billig, daß wir uns mit um so größerer Zärtlichkeit an die hyperboräischen
Tage desselben halten, auf welche der eben jetzt zu feiernde hundcrtundfünfzigste
Geburtstag Winckelmanns hinweist.

Aber wie schlecht war bisher unser Pictätsbedürfniß nach dieser Seite be¬
rathen. Nicht genug, daß der große Gelehrte selbst an die Tantalusqualen
seiner Jugendjahre mit einem Verdruß zurück dachte, der nicht mittheilsam
macht, wie er ja auch die Abfassung seiner Selbstbiographie, wenn sie nicht
geradezu aufgegeben war, so lang hinausschob, daß ihn der jähe Tod daran
verhinderte, — auch mitlebende Freunde haben gerade über diejenige Periode
seines Strebens und Ringens, die er ohnehin am kärgsten bedacht haben würde,
wenig und ungenügende Nachricht gegeben. Natürlich; denn der alle Genosse»
in Staunen versetzende Glanz der italienischen Zeit, von deren Beginn er
feinen wahren Geburtstag zu rechnen liebte, warf immer tiefere Schatten auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192203"/>
          <p xml:id="ID_1234"> Möge dem Uebersetzer, welcher Molieres Stücke in würdiger Gestalt<lb/>
unserer Bühne zugänglich gemacht hat, auch die Freude werden, daß die<lb/>
Schauspielkunst und das Publikum des Theaters die Frucht seiner Arbeit für<lb/>
sich eincrndten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zu WWMmlNMs IMm Geburtstage.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1235"> Carl Justi: Winckelmann in Deutschland. Leipzig. F. C. W. Vogel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1236"> In der Nachbarschaft des jüngst so ernsthaft bedrohten capitolinischen Hü¬<lb/>
gels zu Rom feiert jedesmal am 9. December die von Eduard Gerhard be¬<lb/>
gründete deutsche archäologische Gesellschaft in dem Geburtstage Winckelmanns<lb/>
den eigenen. Künftiges Jahr erfüllen sich ihr die ersten vier Decennien des<lb/>
Bestehens; vor diesem Zeitpunkt aber, am 8. Juni 1868, kehrt nach einem<lb/>
Jahrhundert die Erinnerung des Tages wieder, der von einem unberechenbaren<lb/>
Dämon regiert, dem Begründer der modernen Archäologie das Leben nahm. Die<lb/>
Unbill dieses Schicksals wird dort an der würdigsten Stätte, wo Winckelmanns<lb/>
gedacht werden kann, mit dem lauten Bekenntnisse gesühnt werden, daß das<lb/>
Werk nicht mit dem Urheber zu Grunde gegangen, sondern in eifriger Nach¬<lb/>
folge fortgebildet worden, und daß es vor anderen eben jener wechselnden römi¬<lb/>
schen Genossen höchster Stolz ist, in allem Großen und Besten, was sie erstrebt,<lb/>
sich auf Winckelmann zu berufen. Gehört denen, die sich täglich der Aufschlüsse<lb/>
erfreuen, welche Rom ihnen wie dem Ahnherrn ihrer Wissenschaft gewährt,<lb/>
vornehmlich die italienische Hälfte dieses großen Gelehrtenlebens, so scheint es<lb/>
billig, daß wir uns mit um so größerer Zärtlichkeit an die hyperboräischen<lb/>
Tage desselben halten, auf welche der eben jetzt zu feiernde hundcrtundfünfzigste<lb/>
Geburtstag Winckelmanns hinweist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1237" next="#ID_1238"> Aber wie schlecht war bisher unser Pictätsbedürfniß nach dieser Seite be¬<lb/>
rathen. Nicht genug, daß der große Gelehrte selbst an die Tantalusqualen<lb/>
seiner Jugendjahre mit einem Verdruß zurück dachte, der nicht mittheilsam<lb/>
macht, wie er ja auch die Abfassung seiner Selbstbiographie, wenn sie nicht<lb/>
geradezu aufgegeben war, so lang hinausschob, daß ihn der jähe Tod daran<lb/>
verhinderte, &#x2014; auch mitlebende Freunde haben gerade über diejenige Periode<lb/>
seines Strebens und Ringens, die er ohnehin am kärgsten bedacht haben würde,<lb/>
wenig und ungenügende Nachricht gegeben. Natürlich; denn der alle Genosse»<lb/>
in Staunen versetzende Glanz der italienischen Zeit, von deren Beginn er<lb/>
feinen wahren Geburtstag zu rechnen liebte, warf immer tiefere Schatten auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] Möge dem Uebersetzer, welcher Molieres Stücke in würdiger Gestalt unserer Bühne zugänglich gemacht hat, auch die Freude werden, daß die Schauspielkunst und das Publikum des Theaters die Frucht seiner Arbeit für sich eincrndten. Zu WWMmlNMs IMm Geburtstage. Carl Justi: Winckelmann in Deutschland. Leipzig. F. C. W. Vogel. In der Nachbarschaft des jüngst so ernsthaft bedrohten capitolinischen Hü¬ gels zu Rom feiert jedesmal am 9. December die von Eduard Gerhard be¬ gründete deutsche archäologische Gesellschaft in dem Geburtstage Winckelmanns den eigenen. Künftiges Jahr erfüllen sich ihr die ersten vier Decennien des Bestehens; vor diesem Zeitpunkt aber, am 8. Juni 1868, kehrt nach einem Jahrhundert die Erinnerung des Tages wieder, der von einem unberechenbaren Dämon regiert, dem Begründer der modernen Archäologie das Leben nahm. Die Unbill dieses Schicksals wird dort an der würdigsten Stätte, wo Winckelmanns gedacht werden kann, mit dem lauten Bekenntnisse gesühnt werden, daß das Werk nicht mit dem Urheber zu Grunde gegangen, sondern in eifriger Nach¬ folge fortgebildet worden, und daß es vor anderen eben jener wechselnden römi¬ schen Genossen höchster Stolz ist, in allem Großen und Besten, was sie erstrebt, sich auf Winckelmann zu berufen. Gehört denen, die sich täglich der Aufschlüsse erfreuen, welche Rom ihnen wie dem Ahnherrn ihrer Wissenschaft gewährt, vornehmlich die italienische Hälfte dieses großen Gelehrtenlebens, so scheint es billig, daß wir uns mit um so größerer Zärtlichkeit an die hyperboräischen Tage desselben halten, auf welche der eben jetzt zu feiernde hundcrtundfünfzigste Geburtstag Winckelmanns hinweist. Aber wie schlecht war bisher unser Pictätsbedürfniß nach dieser Seite be¬ rathen. Nicht genug, daß der große Gelehrte selbst an die Tantalusqualen seiner Jugendjahre mit einem Verdruß zurück dachte, der nicht mittheilsam macht, wie er ja auch die Abfassung seiner Selbstbiographie, wenn sie nicht geradezu aufgegeben war, so lang hinausschob, daß ihn der jähe Tod daran verhinderte, — auch mitlebende Freunde haben gerade über diejenige Periode seines Strebens und Ringens, die er ohnehin am kärgsten bedacht haben würde, wenig und ungenügende Nachricht gegeben. Natürlich; denn der alle Genosse» in Staunen versetzende Glanz der italienischen Zeit, von deren Beginn er feinen wahren Geburtstag zu rechnen liebte, warf immer tiefere Schatten auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/442>, abgerufen am 26.04.2024.