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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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ihre Wirkung machen und machte sie. Uebrigens ist in den Liebesgeschichten
allerdings Abwechslung. Die für eine Mittheilung zu lang ausgeführte Novelle
von der treuen Charite, welche den Mörder ihres Gemahls, der ihrer Ehre
nachstellt, blendet und sich selbst vor versammeltem Volke erdolcht, ist im hoch¬
pathetischen Stil gehalten. In den meisten bilden aber der Genuß und die
Intrigue das Hauptinteresse und diese lustigen schwanke sind auch am besten
gelungen. Sie sind daher auch, wie die Matrone von Ephesus bei Pe¬
rron, Gemeingut der Novellisten geworden und zum Theil schon aus Boecaz
und seinen Nachfolgern allgemein bekannt, deren schlichtere Darstellung sich meistens
besser liest, als die gezierten Schnörkel des Apulejus. Als ein Beispiel dieses für
die Novellistik so wichtigen Zweiges, wie es hier ohne Bedenken mitgetheilt
werden kann, folge


3. Ein Liebesschwank.

Du kennst doch den Barbarus, den Ortsvorsteher, den die Leute seiner
Bissigkeit wegen den Scorpion nennen. Der hat eine Frau aus guter Fa¬
milie, von ungewöhnlicher Schönheit, die er mit der ängstlichsten Vorsicht im
Hause unter Verschluß hält und bewacht. Als er neuerdings eine Geschäfts¬
reise vorhatte und die Keuschheit seiner theuren Gattin vor jeder Versuchung
sicher bewahren wollte, gab er seinem Sclaven von längst erprobter Treue Myr-
mex insgeheim den Auftrag, über seine Herrin zu wachen, und drohte ihm mit
Kerker und Banden, ja mit dem grausamsten Hungertod, wenn ein Mensch
auch nur im Vorbeigehen sie mit dem Finger anrühre, und schwur ihm das
mit einem heiligen Eide bei allen Göttern zu. Ruhig trat er nun seine Reise
an, da er so den in Schrecken gesetzten Myrmex als besorgten Aufpasser seiner Frau
zurückließ. In seiner Herzensangst ließ der seine Herrin denn auch nirgends
hingehen, war ihr unzertrennlicher Gesellschafter, wenn sie bei der häuslichen
Arbeit saß und bei dem unvermeidlichen abendlichen Gange ins Bad folgte er
ihr wie angeheftet und ließ den Zipfel ihres Gewandes nicht los. So bot er
allen Scharfsinn auf, um seines Amts mit der größten Gewissenhaftigkeit zu
Warten. Aber dem Spürsinn des Philetärus konnte die Schönheit einer
angesehenen Dame nicht entgehen. Durch den allgemeinen Ruf ihrer Keusch¬
heit und die übertriebene Strenge der Aufsicht angespornt und entflammt, alles
zu wagen und zu erdulden entschlossen, rüstete er sich mit aller Macht die
wohlbewachte Festung zu erobern. Er wußte aus Erfahrung, wie zerbrechlich
Menschliche Treue sei, daß Geld alle Schwierigkeiten besiegt und ein goldner
Schlüssel auch eiserne Thore öffnet. Als daher ein günstiger Zufall ihn den Myr-
Mex allein treffen ließ, offenbarte er ihm seine Leidenschaft und beschwor ihn fu߬
fällig, ihm zur Linderung seiner Pein behilflich zu sein, sein Tod sei eine be¬
schlossene Sache, wenn er nicht bald ans Ziel seiner Wünsche gelange; er ver-


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ihre Wirkung machen und machte sie. Uebrigens ist in den Liebesgeschichten
allerdings Abwechslung. Die für eine Mittheilung zu lang ausgeführte Novelle
von der treuen Charite, welche den Mörder ihres Gemahls, der ihrer Ehre
nachstellt, blendet und sich selbst vor versammeltem Volke erdolcht, ist im hoch¬
pathetischen Stil gehalten. In den meisten bilden aber der Genuß und die
Intrigue das Hauptinteresse und diese lustigen schwanke sind auch am besten
gelungen. Sie sind daher auch, wie die Matrone von Ephesus bei Pe¬
rron, Gemeingut der Novellisten geworden und zum Theil schon aus Boecaz
und seinen Nachfolgern allgemein bekannt, deren schlichtere Darstellung sich meistens
besser liest, als die gezierten Schnörkel des Apulejus. Als ein Beispiel dieses für
die Novellistik so wichtigen Zweiges, wie es hier ohne Bedenken mitgetheilt
werden kann, folge


3. Ein Liebesschwank.

Du kennst doch den Barbarus, den Ortsvorsteher, den die Leute seiner
Bissigkeit wegen den Scorpion nennen. Der hat eine Frau aus guter Fa¬
milie, von ungewöhnlicher Schönheit, die er mit der ängstlichsten Vorsicht im
Hause unter Verschluß hält und bewacht. Als er neuerdings eine Geschäfts¬
reise vorhatte und die Keuschheit seiner theuren Gattin vor jeder Versuchung
sicher bewahren wollte, gab er seinem Sclaven von längst erprobter Treue Myr-
mex insgeheim den Auftrag, über seine Herrin zu wachen, und drohte ihm mit
Kerker und Banden, ja mit dem grausamsten Hungertod, wenn ein Mensch
auch nur im Vorbeigehen sie mit dem Finger anrühre, und schwur ihm das
mit einem heiligen Eide bei allen Göttern zu. Ruhig trat er nun seine Reise
an, da er so den in Schrecken gesetzten Myrmex als besorgten Aufpasser seiner Frau
zurückließ. In seiner Herzensangst ließ der seine Herrin denn auch nirgends
hingehen, war ihr unzertrennlicher Gesellschafter, wenn sie bei der häuslichen
Arbeit saß und bei dem unvermeidlichen abendlichen Gange ins Bad folgte er
ihr wie angeheftet und ließ den Zipfel ihres Gewandes nicht los. So bot er
allen Scharfsinn auf, um seines Amts mit der größten Gewissenhaftigkeit zu
Warten. Aber dem Spürsinn des Philetärus konnte die Schönheit einer
angesehenen Dame nicht entgehen. Durch den allgemeinen Ruf ihrer Keusch¬
heit und die übertriebene Strenge der Aufsicht angespornt und entflammt, alles
zu wagen und zu erdulden entschlossen, rüstete er sich mit aller Macht die
wohlbewachte Festung zu erobern. Er wußte aus Erfahrung, wie zerbrechlich
Menschliche Treue sei, daß Geld alle Schwierigkeiten besiegt und ein goldner
Schlüssel auch eiserne Thore öffnet. Als daher ein günstiger Zufall ihn den Myr-
Mex allein treffen ließ, offenbarte er ihm seine Leidenschaft und beschwor ihn fu߬
fällig, ihm zur Linderung seiner Pein behilflich zu sein, sein Tod sei eine be¬
schlossene Sache, wenn er nicht bald ans Ziel seiner Wünsche gelange; er ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/465>, abgerufen am 26.04.2024.