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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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Tones die rechten Volksmänner seien, Disraeli ist ihnen Wohl ein monstrous
elever tellon, aber Vertrauen zu ihm haben sie nicht. Freilich ist auch auf der
andern Seite kein Führer, dem die Nation unbedingt zu folgen geneigt wäre.
Stände jetzt eine Neuwahl des Unterhauses nach der Reformbill bevor, so
dürfte die politische Erregung, welche sie unzweifelhaft hervorrufen würde, als
Ableiter für die sociale Gährung dienen, aber der kluge Benjamin hat absicht¬
lich die schottische und irländische Reformbill bis zum nächsten Jahr verschleppt,
um so länger am Nuder zu bleiben. Auch in materieller Beziehung wirkt die
Reformbill übel, sie hat bekanntlich den sogenannten comxouliä lrouselroläer
abgeschafft, der seine Gemeindesteuern durch einen Durchschnittszuschlag auf die
Miethe bezahlte. Jeder Hausbewohner soll jetzt seine Steuern persönlich zahlen;
als Folge zeigt sich, daß die Hauseigenthümer, angeblich weil die Preise der
Lebensmittel so sehr gestiegen, durchgängig dieselbe Summe als reine Miethe
verlangen, welche bisher den Steuerabschlag einbegriff, sodaß die Leute ihre
Steuer noch außerdem zu bezahlen haben. Das muß die Unzufriedenheit noth'
wendig steigern, denn woher sollen die ärmern Classen bei schlechtem Verdienst
das Geld für solchen Mehrbedarf nehmen? Mit dem Geschrei gegen Bäcker
und Fleischer, das die Times erhoben und das in allen Provinzialblättern sein
Echo gefunden, ist auch nichts gethan, so lange nicht Mittel angegeben werden,
billigeres Brod und Fleisch zu erhalten; es reizt die Proletarier nur zu Kra¬
watten, die besonders deshalb gefährlich sind, weil sie für den Augenblick lokal
zu helfen scheinen, indem die bedrohten Händler in der Angst um ihr Leben,
sich vorübergehend oft damit helfen, mit Verlust zu verkaufen. Nehme man
zu diesem allen noch die Anarchie der Trabes-Unions und den Fcnianismus,
so wird die Behauptung kaum gewagt erscheinen, daß seit langer Zeit kein
Winter unter so drohenden Vorzeichen begonnen hat. Nach allen Nachrichten
scheinen die Dinge in Frankreich nicht viel besser zu stehen.




Die sächsische Parlamentsresorm.

X

Während sich die Theilnahme der sächsischen Staatsbürger an den Vor¬
gängen des letzten Reichstags auf gewisse Kreise beschränkt hat, die sich nach
Ansicht der Partikularistischen Partei mit der Regierung in die Verpflichtung zur
Bundestreue zu theilen haben, ist die Aussicht auf eine "Parlamentsreform"
im Königreich Sachsen allenthalben mit ziemlich lebhafter Theilnahme aufge¬
nommen worden. Gerade diejenigen Parteien, welche von der norddeutschen


Tones die rechten Volksmänner seien, Disraeli ist ihnen Wohl ein monstrous
elever tellon, aber Vertrauen zu ihm haben sie nicht. Freilich ist auch auf der
andern Seite kein Führer, dem die Nation unbedingt zu folgen geneigt wäre.
Stände jetzt eine Neuwahl des Unterhauses nach der Reformbill bevor, so
dürfte die politische Erregung, welche sie unzweifelhaft hervorrufen würde, als
Ableiter für die sociale Gährung dienen, aber der kluge Benjamin hat absicht¬
lich die schottische und irländische Reformbill bis zum nächsten Jahr verschleppt,
um so länger am Nuder zu bleiben. Auch in materieller Beziehung wirkt die
Reformbill übel, sie hat bekanntlich den sogenannten comxouliä lrouselroläer
abgeschafft, der seine Gemeindesteuern durch einen Durchschnittszuschlag auf die
Miethe bezahlte. Jeder Hausbewohner soll jetzt seine Steuern persönlich zahlen;
als Folge zeigt sich, daß die Hauseigenthümer, angeblich weil die Preise der
Lebensmittel so sehr gestiegen, durchgängig dieselbe Summe als reine Miethe
verlangen, welche bisher den Steuerabschlag einbegriff, sodaß die Leute ihre
Steuer noch außerdem zu bezahlen haben. Das muß die Unzufriedenheit noth'
wendig steigern, denn woher sollen die ärmern Classen bei schlechtem Verdienst
das Geld für solchen Mehrbedarf nehmen? Mit dem Geschrei gegen Bäcker
und Fleischer, das die Times erhoben und das in allen Provinzialblättern sein
Echo gefunden, ist auch nichts gethan, so lange nicht Mittel angegeben werden,
billigeres Brod und Fleisch zu erhalten; es reizt die Proletarier nur zu Kra¬
watten, die besonders deshalb gefährlich sind, weil sie für den Augenblick lokal
zu helfen scheinen, indem die bedrohten Händler in der Angst um ihr Leben,
sich vorübergehend oft damit helfen, mit Verlust zu verkaufen. Nehme man
zu diesem allen noch die Anarchie der Trabes-Unions und den Fcnianismus,
so wird die Behauptung kaum gewagt erscheinen, daß seit langer Zeit kein
Winter unter so drohenden Vorzeichen begonnen hat. Nach allen Nachrichten
scheinen die Dinge in Frankreich nicht viel besser zu stehen.




Die sächsische Parlamentsresorm.

X

Während sich die Theilnahme der sächsischen Staatsbürger an den Vor¬
gängen des letzten Reichstags auf gewisse Kreise beschränkt hat, die sich nach
Ansicht der Partikularistischen Partei mit der Regierung in die Verpflichtung zur
Bundestreue zu theilen haben, ist die Aussicht auf eine „Parlamentsreform"
im Königreich Sachsen allenthalben mit ziemlich lebhafter Theilnahme aufge¬
nommen worden. Gerade diejenigen Parteien, welche von der norddeutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/482>, abgerufen am 26.04.2024.