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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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aber man bedenke, was diese Verteuerung, welche für die Hauptkornarten in
England gewiß auf etwa 20 Millionen Pfd. Strlg. anzuschlagen ist, für die
arbeitenden Classen bedeutet! Schon jetzt im Anfang des Winters sind die
Brodpreise auf eine lange nicht gekannte Höhe gestiegen, wir haben in Exeter,
Oxford u. s. w. ernste Brodkrawalle gehabt und werden uns auf noch schlimmere
gefaßt machen müssen. Dabei liegen Handel und Wandel danieder, Kaufleute,
Fabrikanten und Arbeiter klagen gleichmäßig über den Stillstand des Verkehrs,
der nun schon 12 Monate dauert und selbst die Steuereinnahme" herabgedrückt
hat; 21 Millionen Pfd. Strlg. Gold liegen müsstg in der Bank, der Disconto
für kurze Wechsel ist auf 1'/- Pro Ce. gesunken, auf langaussehende Unter¬
nehmungen läßt sich niemand ein, die kleinern Fabriken in Lancashire stehen
fast still, größere arbeiten mit Verlust; im Osten Londons, in Manchester, Bir¬
mingham, Sheffield ist die Noth schon jetzt groß, wie wird es im Fortgang des
Winters werden, der so früh begonnen? -- Und diese Noth hätte zu keiner un¬
günstigeren Zeit kommen können wie zur jetzigen; schon vorher hat sich in weiten
Kreisen ein Geist der Gesetzlosigkeit kundgegeben, der ernste Besorgnisse erregen
muß. Die Sache sing vor 18 Monaten mit jenem Krawall in Hr/depart an,
ein ernstes Einschreiten der Regierung hätte wahrscheinlich schnell die Ruhe her¬
gestellt, aber der schwache Walpole drohte, bat. weinte und ließ schließlich ge¬
währen! "Großer Gott." rief ein einsichtiger Mann, als er von ferne den
Pöbel die Gitter des Parks einreihen sah, "das sollen unsere zukünftigen
Herren sein!" Als die Herren von der Ncformliga: Brales, Bradlaugh und
Konsorten sahen, wie schwach die Negierung sich zeigte, gingen sie um so
rüstiger vor, im December wurden Masscnprozessioncn für die Reform organisirt,
dann gegen Frühjahr ein Monstremceting in Regentpark, wogegen das Ministe¬
rium ein Verbot erließ, um dasselbe bald darauf zurückzuziehen; es brachte darauf
eine Bill ins Unterhaus, welche Politische Meetings in den Parks verbot, gab
sie aber bei der ersten Opposition auf. Das stärkste Stück jedoch spielte kürz¬
lich im Ministerium des Innern. Eine Massendcputation erschien dort unter
Führung eines gewissen Finlan, um eine Petition für die verurteilten Fenier
zu überreichen. Der Minister ließ dieselbe entgegen nehmen, lehnte es indeß
ab, die Deputation persönlich zu empfangen: darauf stürmt die Menge in das
Haus, überwältigt die Diener, setzt sich in Besitz eines Saales und hält dort
ein Jndignationsmeeting! Die Regierung aber läßt alles geschehen, rührt sich
nicht und versucht nicht einmal einen Prozeß gegen die Rädelsführer! -- Statt
energisch solchen Ausschreitungen entgegen zutreten, macht das Toryministerium
den Arbeitern den Hof, organisirt konservative Arbeiterbankette, bei denen Lord
John Manners und Disraeli ihr volles Vertrauen zu der politischen Einsicht
der Massen erklären. Die Mehrzahl der arbeitenden Classen läßt sich übrigens
durch solche Manöver nicht blenden und glaubt nicht an den Humbug. daß die


Grenzboten IV. 1867. 61

aber man bedenke, was diese Verteuerung, welche für die Hauptkornarten in
England gewiß auf etwa 20 Millionen Pfd. Strlg. anzuschlagen ist, für die
arbeitenden Classen bedeutet! Schon jetzt im Anfang des Winters sind die
Brodpreise auf eine lange nicht gekannte Höhe gestiegen, wir haben in Exeter,
Oxford u. s. w. ernste Brodkrawalle gehabt und werden uns auf noch schlimmere
gefaßt machen müssen. Dabei liegen Handel und Wandel danieder, Kaufleute,
Fabrikanten und Arbeiter klagen gleichmäßig über den Stillstand des Verkehrs,
der nun schon 12 Monate dauert und selbst die Steuereinnahme» herabgedrückt
hat; 21 Millionen Pfd. Strlg. Gold liegen müsstg in der Bank, der Disconto
für kurze Wechsel ist auf 1'/- Pro Ce. gesunken, auf langaussehende Unter¬
nehmungen läßt sich niemand ein, die kleinern Fabriken in Lancashire stehen
fast still, größere arbeiten mit Verlust; im Osten Londons, in Manchester, Bir¬
mingham, Sheffield ist die Noth schon jetzt groß, wie wird es im Fortgang des
Winters werden, der so früh begonnen? — Und diese Noth hätte zu keiner un¬
günstigeren Zeit kommen können wie zur jetzigen; schon vorher hat sich in weiten
Kreisen ein Geist der Gesetzlosigkeit kundgegeben, der ernste Besorgnisse erregen
muß. Die Sache sing vor 18 Monaten mit jenem Krawall in Hr/depart an,
ein ernstes Einschreiten der Regierung hätte wahrscheinlich schnell die Ruhe her¬
gestellt, aber der schwache Walpole drohte, bat. weinte und ließ schließlich ge¬
währen! „Großer Gott." rief ein einsichtiger Mann, als er von ferne den
Pöbel die Gitter des Parks einreihen sah, „das sollen unsere zukünftigen
Herren sein!" Als die Herren von der Ncformliga: Brales, Bradlaugh und
Konsorten sahen, wie schwach die Negierung sich zeigte, gingen sie um so
rüstiger vor, im December wurden Masscnprozessioncn für die Reform organisirt,
dann gegen Frühjahr ein Monstremceting in Regentpark, wogegen das Ministe¬
rium ein Verbot erließ, um dasselbe bald darauf zurückzuziehen; es brachte darauf
eine Bill ins Unterhaus, welche Politische Meetings in den Parks verbot, gab
sie aber bei der ersten Opposition auf. Das stärkste Stück jedoch spielte kürz¬
lich im Ministerium des Innern. Eine Massendcputation erschien dort unter
Führung eines gewissen Finlan, um eine Petition für die verurteilten Fenier
zu überreichen. Der Minister ließ dieselbe entgegen nehmen, lehnte es indeß
ab, die Deputation persönlich zu empfangen: darauf stürmt die Menge in das
Haus, überwältigt die Diener, setzt sich in Besitz eines Saales und hält dort
ein Jndignationsmeeting! Die Regierung aber läßt alles geschehen, rührt sich
nicht und versucht nicht einmal einen Prozeß gegen die Rädelsführer! — Statt
energisch solchen Ausschreitungen entgegen zutreten, macht das Toryministerium
den Arbeitern den Hof, organisirt konservative Arbeiterbankette, bei denen Lord
John Manners und Disraeli ihr volles Vertrauen zu der politischen Einsicht
der Massen erklären. Die Mehrzahl der arbeitenden Classen läßt sich übrigens
durch solche Manöver nicht blenden und glaubt nicht an den Humbug. daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/481>, abgerufen am 30.04.2024.